Haushaltspläne in NRW Alle sparen, nur die Neue nicht

Frisch gewählt - und schon wird kräftig Geld ausgegeben: Nordrhein-Westfalens neue Ministerpräsidentin Kraft will in diesem Jahr neun Milliarden Euro Schulden machen, deutlich mehr als bisher. Das erzürnt die Finanzminister in anderen Ländern, denn sie wollen sparen.
Neu gewählte Ministerpräsidentin Kraft: Deutlich höheres Defizit als bisher geplant

Neu gewählte Ministerpräsidentin Kraft: Deutlich höheres Defizit als bisher geplant

Foto: Roland Weihrauch/ dpa

Hamburg - Hannelore Kraft ist neue Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen - doch sie hatte ihr Amt noch nicht mal angetreten, da brachte sie die halbe Republik gegen sich auf. Grund ist die von ihr angekündigte Schuldenpolitik im größten deutschen Bundesland.

"Rot-Grün fährt übers Land und verteilt nach dem Gießkannenprinzip Milliarden Euro auf Pump", sagte Georg Fahrenschon, CSU-Finanzminister aus Bayern, dem manager magazin. "Das hat nichts mit solider Finanzpolitik zu tun." Sparen müsse jetzt oberste Priorität haben, erklärte der Minister. "Statt Schuldenmachen und Gießkannenprinzip ist Konsolidierung notwendig."

Die Protagonisten der rot-grünen Minderheitsregierung in NRW hatten angekündigt, das Defizit in dem Land für 2010 von bislang geplanten 6,6 Milliarden Euro auf 9,0 Milliarden Euro drastisch zu erhöhen. Rot-Grün begründet die Maßnahme mit angeblichen Versäumnissen der bisherigen Regierung von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) bei der Risikovorsorge für die kriselnde Landesbank WestLB sowie bei der Finanzierung von Kindergärten und Schulen.

Vorwürfe, welche die Vorgänger brüsk zurückweisen. In einer eigens anberaumten Pressekonferenz legte der bisherige Finanzminister Helmut Linssen (CDU) jüngst seine Schlussbilanz vor. 2006 bis 2008 seien die NRW-Finanzen erfolgreich konsolidiert worden, erklärte er. Die Neuverschuldung sei von 6,7 Milliarden Euro im Jahr 2005 auf 1,1 Milliarden Euro im Jahr 2008 um 83 Prozent gesunken. Lediglich 2009 und 2010 falle krisenbedingt ein höheres Defizit an, das allerdings "immer noch unter der Neuverschuldung von Rot-Grün in den Jahren 2003, 2004 und 2005" liege.

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Insgesamt hat NRW mit mehr als 120 Milliarden Euro bundesweit den höchsten Schuldenberg angehäuft. Bezogen auf die Einwohnerzahl belegt das bevölkerungsreichste Bundesland aber noch einen Platz im Mittelfeld. Angesichts der Ankündigungen von SPD und Grünen schwant CDU-Mann Linssen allerdings Böses: "Mit dem Prinzip Hoffnung wird man die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse nicht einhalten können."

Sagt Hannelore Kraft die Unwahrheit?

Noch deutlicher wird der bisherige Finanzminister in einem Brief, den er an SPD-Frontfrau Kraft persönlich richtete. In dem Schreiben, das dem manager magazin vorliegt, wirft Linssen der künftigen Ministerpräsidentin vor, in Bezug auf die Finanzlage des Landes bewusst die Unwahrheit zu verbreiten. Für die Risiken der WestLB etwa sei ein Rettungsschirm von 1,16 Milliarden Euro angelegt worden. Davon seien jedoch erst 108 Millionen Euro in Anspruch genommen worden, der Vermögensstock werde voraussichtlich "bis mindestens Ende 2011 ausreichen".

Die Behauptung, es mangele an der Finanzierung von Kindergärten, weist Linssen ebenfalls zurück. Im Etat seien Mittel für 100.500 Betreuungsplätze eingeplant - von denen aber erst knapp 89.000 angefordert worden seien.

Der CDU-Mann hat einen ganz anderen Verdacht: Mit den neuen Milliardenschulden wolle Kraft die rot-grünen Wahlversprechen bezahlen. "Das Manöver ist durchsichtig", schreibt Linssen. "Mit Ihrem Vorgehen nehmen Sie billigend in Kauf, die Schulden ohne Not und in verfassungswidriger Weise in Rekordhöhen zu treiben und damit dem Land zu schaden."

Tatsächlich hat sich Rot-Grün viel vorgenommen für die gemeinsame Regierungszeit. Und wer den Koalitionsvertrag liest, merkt schnell: Die wichtigsten Projekte sind gerade jene, die am meisten Geld kosten dürften.

Beispiel Bildungspolitik: "Wir dürfen kein Kind mehr zurücklassen", lautet der lobenswerte Vorsatz. Bildung dürfe daher nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Um dies zu erreichen, will Rot-Grün "schrittweise die Elternbeitragsfreiheit in den Kindertageseinrichtungen einführen". Für junge Eltern ist das eine gute Nachricht. Klar ist aber auch: Was nicht aus dem Geldbeutel der Eltern kommt, muss aus dem Geldbeutel der Steuerzahler kommen - oder der Schuldenberg des Landes wächst.

Kritik vom Steuerzahlerbund

Gleiches gilt für die Studiengebühren, die die neue Regierung abschaffen will, sowie für die Hilfen, die für klamme Kommunen angekündigt wurden. All dies belastet zusätzlich die öffentlichen Finanzen. Und das ausgerechnet zu einer Zeit, in der die Staatseinnahmen krisenbedingt gering sind. So gingen die NRW-Steuereinnahmen von gut 42 Milliarden Euro im Jahr 2008 auf voraussichtlich knapp 37 Milliarden Euro im laufenden Jahr drastisch zurück.

Vor diesem Hintergrund ist der alte CDU-Finanzminister Linssen nicht der Einzige, der Zweifel an der Seriosität der rot-grünen Finanzplanung hat. Auch der nordrhein-westfälische Steuerzahlerbund hat die avisierte Neuverschuldung bereits scharf verurteilt. "Für diesen Kreditnachschlag gibt es keine plausible Begründung", sagte der Vorsitzende Georg Lampen. Auch er vermutet, die künftige Landesregierung wolle sich ein Polster anlegen, um später ihre Wahlkampfversprechen zu finanzieren.

Ohnehin passt der Kurswechsel in NRW nicht ins allgemeine Bild: Denn während die neue Regierung in Düsseldorf kräftig Geld ausgibt, denken andere Bundesländer und der Bund vor allem ans Sparen.

In Sachsen-Anhalt etwa will Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) schon ab 2013 keine neuen Schulden mehr machen. "Als Ministerpräsident eines selbst hoch verschuldeten Landes würde ich niemandem empfehlen, die Probleme der Gegenwart durch höhere Neuverschuldung und damit zulasten der kommenden Generationen zu lösen", sagte Böhmer dem manager magazin.

Ähnlich klingt die Einschätzung aus Baden-Württemberg. "In der Tat ist die explodierende Neuverschuldung in Nordrhein-Westfalen besorgniserregend", sagt Finanzminister Willi Stächele (CDU). Auch er weist auf die "enormen finanziellen Belastungen für künftige Generationen" hin.

Was passiert, wenn die Zinsen steigen?

Noch profitiert Nordrhein-Westfalen von den niedrigen Zinsen - Schuldenmachen fällt da leicht. So muss das Land für zehnjährige Anleihen momentan lediglich 2,9 Prozent Zinsen zahlen. Bei Papieren mit fünfjähriger Laufzeit sind es sogar nur gut 2 Prozent.

Die Frage ist jedoch, wie lange sich die Zinsen auf einem solch niedrigen Niveau halten werden. Ein Grund, der zu einem Anstieg führen dürfte, wäre eine Anhebung der Leitzinsen durch die Europäische Zentralbank (EZB). Aber auch ein von den Finanzmärkten befürchtetes höheres Ausfallrisiko kann zu steigenden Kreditkosten führen. Und die hohe Verschuldung in NRW hat auf die Märkte nicht gerade beruhigende Wirkung.

Im Düsseldorfer Finanzministerium weist man dies von sich. Eine höhere Verschuldung sei zwar nicht von Vorteil. Eine Reaktion des Kapitalmarktes sei jedoch nicht zu erkennen. Lediglich falls eine der großen Agenturen das Kreditrating Nordrhein-Westfalens herabstufen sollte, sei mit einer signifikanten Steigerung der Kreditkosten zu rechnen.

Derzeit erhält die Kreditwürdigkeit NRWs noch Spitzennoten. Standard & Poor's etwa vergibt mit "AA-" das viertbeste Urteil des Hauses, bei Moody's ist es mit "AA1" das zweitbeste. Ein "AAA", die Topnote also, bekommt NRW zudem von Fitch. Die Agentur erteilt diese Note allerdings per se an alle Bundesländer, wegen des Finanzausgleichs, des problemlosen Zugangs zum Kapitalmarkt sowie der notfalls in Aussicht stehenden Rückendeckung durch den Bund.

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