Hinkley Point C Neues AKW in Südengland birgt höhere Risiken als bekannt

Die britische Regierung lässt ein neues Atomkraftwerk bauen - nur gut 1000 Kilometer von Deutschland entfernt. China will Milliarden investieren. Doch laut einem neuen Gutachten wurden die Sicherheitsrisiken heruntergespielt.
Baustelle von Hinkley Point C: Seltsame Lücken in Sicherheitsanalyse

Baustelle von Hinkley Point C: Seltsame Lücken in Sicherheitsanalyse

Foto: © Suzanne Plunkett / Reuters/ REUTERS

Der britische Premier David Cameron hofiert gerade einen umstrittenen Gast: Chinas Präsident Xi Jinping, der in den kommenden Jahren möglichst viel in die britische Wirtschaft investieren soll. Vor allem in ein neues Atomkraftwerk in Südengland.

Hinkley Point C heißt das AKW, das 2023 in Betrieb gehen soll, geschätzte Kosten: 22 Milliarden Euro. Cameron will damit den britischen Ausstieg aus der Kohlekraft vorantreiben. Nur wenige Stunden vor Xis Ankunft in London wurde verkündet , dass die Chinesen rund ein Drittel der Kosten für Hinkley Point C übernehmen. In der Öffentlichkeit hagelt es Kritik ob solcher Verquickungen zwischen Politik und Wirtschaft, von Ausverkauf ist die Rede.

Nun droht Cameron weiterer Ärger: Laut einem noch unveröffentlichten Gutachten, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, ist Hinkley Point C wahrscheinlich ein größeres Sicherheitsrisiko als bisher bekannt.

Der Bau des britischen Kernkraftwerks, so kurz nach der Katastrophe im japanischen AKW Fukushima, ist in der EU seit Jahren umstritten - vor allem in Deutschland, das gerade aus der Atomkraft aussteigt und von dessen Großstädten Hinkley Point C teils nicht mal 1000 Kilometer entfernt läge.

Schon jetzt stehen am selben Standort in Südengland zwei Atomreaktoren, mithilfe der Chinesen sollen nun zwei weitere hinzukommen. Atomgegner monieren, dadurch wachse die Gefahr, dass atomare Strahlung nach Deutschland gelange.

Die britische Regierung und der französische Atomkonzern EDF, der die Anlage baut, haben sich bisher bemüht, den Neubau der Reaktorblöcke damit zu rechtfertigen, dass diese besonders sicher seien.

Ein Reaktorunfall mit grenzüberschreitenden Effekten werde bei Hinkley Point C "als nicht wahrscheinlich angesehen", heißt es in einer Erklärung von EDF. Fast gleichlautend äußerte sich der zuständige Vertreter des britischen Umweltministeriums. Daher sei in Nachbarstaaten wie Deutschland auch keine Prüfung möglicher Strahlungsrisiken nötig, erklärte Ahmed Azam.

Die Atomexperten Wolfgang Renneberg und Steven Sholly stellen das anders da. Die Sicherheitsabschätzung für Hinkley Point C sei unvollständig, monieren sie in einem neuen Gutachten.

"Gefahren in irreführender Weise heruntergespielt"

So habe EDF in einer separaten Risikoanalyse ermittelt, dass in Südengland alle 10.000 Jahre ein Erdbeben auftreten könnte, das die Sicherheitsmechanismen von Hinkley Point C an ihre Grenzen bringen könnte. Das ist zunächst nur ein Rechenwert - der aber eben zeigt, dass ein solcher Fall nicht auszuschließen ist, auch wenn es in jüngster Zeit in Großbritannien keine heftigeren Erdbeben gegeben hat.

Umso erstaunlicher ist es, dass dieser Wert in der Gesamt-Sicherheitsabschätzung für Hinkley Point C nicht berücksichtigt ist. Was auffalle: Die Eintrittswahrscheinlichkeit für alle anderen ernsten Sicherheitsrisiken sei 100-mal niedriger als die Eintrittswahrscheinlichkeit für ein solches Beben, schreiben Sholly und Renneberg. Der fehlende Erdbeben-Wert lässt die geplanten Reaktoren also womöglich sicherer wirken, als sie sind.

"Die Gefahren von Hinkley Point C werden von der britischen Regierung und von EDF in irreführender Weise heruntergespielt", sagt Renneberg, der gut zehn Jahre Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit und Strahlenschutz im Bundesumweltministerium war. Weder EDF noch Azam reagierten auf eine Anfrage zu den Vorwürfen.

Drohende Beschwerde bei der EU-Kommission

Atomgegnern kommt das Gutachten gerade recht. "Wir prüfen bereits eine Beschwerde bei der EU-Kommission gegen die britische Regierung", sagt Thorben Becker, Leiter Atompolitik bei der Umweltorganisation BUND. Das neue Gutachten untermauere die Notwendigkeit, das Risiko von Umweltschäden durch Hinkley Point C in Deutschland doch noch zu untersuchen.

Die atompolitische Sprecherin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl, fordert nun auch die Bundesregierung auf, Beschwerde bei der EU-Kommission einzureichen. Das neue Gutachten zeige, dass eine Untersuchung der Umweltrisiken von Hinkley Point C in Deutschland dringend geboten sei, sagt sie. "Dass die deutsche Bevölkerung zu dem Mitspracherecht kommt, das ihr zusteht, ist ja wohl das Mindeste."

Sollte tatsächlich jemand bei der EU-Kommission Beschwerde einreichen und Brüssel diese anerkennen, drohen Großbritannien heftige Konsequenzen. Ein Vertragsverletzungsverfahren sei dann ebenso möglich wie eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, sagt Dörte Fouquet, Anwältin für Energierecht bei der Kanzlei Becker Büttner Held. Schlimmstenfalls kämen hohe Geldstrafen auf die britische Regierung zu.

Zusammengefasst: Nach Worten des Atomexperten Wolfgang Renneberg werden die Sicherheitsrisiken für das geplante Atomkraftwerk Hinkley Point C in Südengland " in irreführender Weise heruntergespielt". Die Umweltorganisation BUND prüft nun eine Beschwerde bei der EU-Kommission, weil mögliche Auswirkungen eines Atomunfalls auf Deutschland nie untersucht wurden.

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