HRE-Untersuchungsausschuss Abgeordnete nehmen Steinbrück in die Mangel

War das Desaster bei der Hypo Real Estate absehbar? Im Untersuchungsausschuss geriet Peer Steinbrück in Bedrängnis: Als wichtigster Zeuge musste der Finanzminister den Abgeordneten erklären, warum er erst in letzter Minute von der katastrophalen Lage der Bank erfuhr - als es schon fast zu spät war.
Finanzminister Steinbrück: "Hat er wirklich 'Todeszone' gesagt?"

Finanzminister Steinbrück: "Hat er wirklich 'Todeszone' gesagt?"

Foto: Andreas Rentz/ Getty Images

Peer Steinbrück (SPD) ist die Fassungslosigkeit anzusehen. "Hat er wirklich 'Todeszone' gesagt?", fragt der Bundesfinanzminister.

Die Frage bezieht sich auf die Aussage des Chefs der BaFin, Jochen Sanio, zur Desasterbank Hypo Real Estate (HRE). Der Immobilienfinanzierer habe sich schon vor dem Beinahe-Kollaps geraume Zeit "in der Todeszone" bewegt, hatte Sanio dem Berliner Untersuchungsausschuss erklärt. Ein Zitat, das Steinbrück nun an diesem Donnerstag - wenige Wochen später - genüsslich vorgelesen wird.

"Ja-haa", sagt Axel Trost, Obmann der Linken zufrieden, genau dieses Wort habe Sanio benutzt. Steinbrück guckt trotzig in eine andere Richtung. Wenn Sanio tatsächlich dieser Auffassung gewesen sei, "hätte er mich sofort anrufen müssen", sagt er scharf. Beim Wort "sofort" hüpft er ein bisschen nach oben in seinem Stuhl.

Kein Wunder. Immerhin hat Steinbrück die Fachaufsicht über die BaFin. Und die Frage, warum das Finanzministerium erst auf die HRE aufmerksam wurde, als diese kurz vor dem Aus stand, ist eins der zentralen Themen des Untersuchungsausschusses.

"Armageddon" und "drohende Kernschmelze"

Dabei lief es bis zu diesem Moment noch gut für Steinbrück. Seit Wochen bemühen sich die Vertreter der Opposition in dem Ausschuss, der Bundesregierung grobes Fehlverhalten im Umgang mit dem Immobilienfinanzierer und Pfandbriefemittenten HRE nachzuweisen. Finanzhilfen von 102 Milliarden Euro mussten dem Bankgiganten inzwischen zugesagt werden - für einen Großteil steht der Staat gerade. Und ein Ende ist nicht in Sicht.

Doch alle der in den insgesamt 22 Sitzungen geladenen Banker und Finanzaufseher haben bislang vor allem eines bestätigt: Die Rettung der Finanzholding mit einer Bilanzsumme von 400 Milliarden Euro war alternativlos. Ihr Untergang hätte Geldinstitute in der ganzen Welt mitgerissen. Von einer "drohenden Kernschmelze", einem "Weltuntergang des Finanzsystems", dem "Armageddon" war die Rede.

Deshalb sieht es auch an diesem Donnerstag zunächst so aus, als könnte Steinbrück die Aussage vor dem Ausschuss vor allem als Bühne für einen persönlichen Wahlkampfauftritt nutzen. Um sein Krisenmanagement, seinen Beitrag zur Weltgeschichte ins angemessene Licht zu rücken.

Die gesamte Finanzwelt habe "Millimeter vor dem Abgrund" gestanden, als die Probleme bei der HRE deutlich wurden, sagt der Finanzminister in seinem Eingangsstatement. Mit dramatischen Worten schildert er, wie sich die Ereignisse im September 2008 überschlugen. Wie Banken weltweit ins Wanken gerieten, wie die Börsen abstürzten, der Aktienhandel in Moskau ausgesetzt wurde - und sich plötzlich die Abgründe bei der HRE auftaten. Der irischen Tochter Depfa, die langfristige Staatsanleihen zu weiten Teilen mit kurzfristigen Krediten gegenfinanzierte und so Traumrenditen erzielt hatte, ging mit einem Schlag das Geld aus.

In der damaligen Ausnahmesituation habe die Bundesregierung das einzig richtige getan. "Wir haben weiterreichende Schäden von unserem Land und unseren Bürgern abgewendet!"

Und immer wieder betont Steinbrück: Der Untergang der US-Investmentbank Lehman Brothers und die darauf folgende Schockstarre an den Kapitalmärkten sei so "undenkbar" gewesen, dass es dafür "kein Drehbuch" gab. Weil der internationale Geldfluss der Banken untereinander mit einem Mal versiegte.

"Poker am Rande des Abgrunds"

Es ist der gleiche Tenor wie bei den Zeugen, die vor Steinbrück ausgesagt haben. Der das Drängen der Opposition in den wochenlangen Ausschusssitzungen immer bemühter hat wirken lassen. An dem der Vorwurf quasi abprallt, die Bundesregierung hätte schon 2008 Krisenszenarien entwickeln und einen Krisenstab einsetzen müssen. "In diesen Tagen sind wir ein permanent tagender Krisenstab gewesen", sagt Steinbrück ungeduldig. Im Publikum kichern einige.

Trotzdem wird es immer wieder unangenehm für Steinbrück. Etwa als es um das dramatische erste Wochenende vom 26. bis 28. September geht, als dringend neue Kreditlinien für die HRE gefunden werden mussten. Hektisch tagten Vertreter der BaFin, der Bundesbank und die wichtigsten Banken-Chefs des Landes damals in Bonn. Am 29. September, spätestens bis morgens um 2 Uhr, musste eine Lösung stehen, denn dann öffnete die Börse in Tokio. Und schon am Samstag sei klar gewesen, dass es ohne den Bund nicht geht, wie auch Steinbrück offen zugibt. Trotzdem stieß sein Staatssekretär Jörg Asmussen erst am Sonntag um 17 Uhr zu der Runde. Erst in letzter Minute stand das Rettungspaket von 35 Milliarden Euro. Den Großteil der Ausfallrisiken übernahm der Bund, rund 8,5 Milliarden entfielen auf die Finanzwirtschaft.

Verhandlungstaktik sei das gewesen, heißt es heute. Steinbrück und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollten die Banker zu möglichst hohen Kreditzusagen bringen. In den letzten Stunden feilschte man telefonisch mit Ackermann um eineinhalb Milliarden Euro.

"Bank in der Falle"

Die Hinhaltetaktik sei "knüppelhart" gewesen, kritisierte der ehemalige Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB), Klaus-Peter Müller, vor dem Untersuchungsausschuss. Ackermann sagte dem Gremium, der Kompromiss sei nur "sehr knapp" zustande gekommen. Steinbrück erklärt ungerührt, die Aussagen der Banker seien "ein Kompliment". Schließlich sei es um Steuergelder gegangen.

Grünen-Obmann Schick dagegen spricht von einem "Pokern am Abgrund".

Vor allem aber wird Steinbrück die Aussage Sanios immer wieder vorgehalten, der die BaFin als "Saustall" und "Bank in der Falle" bezeichnet hatte. Denn die Opposition ist auch zum Ende des Ausschusses hin überzeugt: Die Regierung hat wichtige Alarmsignale übersehen, man hätte schon viel früher sehen müssen, "wo die Bombe liegt", sagt Grünen-Vertreter Gerhard Schick. Auch wenn die Größe der Explosion nicht vorhersehbar war.

Die Finanzaufsicht BaFin habe schon im Laufe des Jahres 2008 tägliche Liquiditätsberichte von der Bank verlangt, schmettert deshalb der FDP-Vertreter Volker Wissing Steinbrück entgegen. Ob der Minister wisse, wie viele andere Banken noch derart harsch zur Rechenschaft gezogen wurden? "Ich weiß es nicht", motzt Steinbrück zurück, das sei auch nicht seine Aufgabe. Nur die HRE habe so verfahren müssen, bescheidet ihm Wissing daraufhin. Was ja "schon bemerkenswert" sei.

Die Kommunikation zwischen Bankenaufsicht und Bundesfinanzministerium funktioniere offensichtlich nicht, resümiert der Grünen-Vertreter Schick an diesem letzten Tag des Untersuchungsausschusses. Steinbrück aber hält stur dagegen: "Ich habe an der deutschen Bankenaufsicht nichts auszusetzen." Auch wenn er friedfertig hinzufügt, dass das ja nicht gegen weitere Reformen spräche - und dass die Analyse der Schwachstellen sicher der wichtigste Beitrag des Untersuchungsausschusses sei.

BaFin-Chef Sanio wird sich wohl darüber hinaus auf ein unangenehmes Gespräch gefasst machen müssen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten