IEA-Weltenergieausblick Fracking verschafft US-Industrie Vorteile gegenüber Europa

Stahlwerk in China: Verschärfter Wettbewerb um energieintensive Güter
Foto: CHINA DAILY/ REUTERSHamburg - Die Umwälzungen in der Energiewelt könnten die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Industrieregionen verändern. Das schreibt die Internationale Energieagentur (IEA) in ihrem World Energy Outlook, einem jährlichen Ausblick, der am Dienstagmittag veröffentlicht wurde. Hauptgrund für den Wandel sei eine Veränderung der Energiepreise in verschiedenen Weltregionen - und die damit einhergehende Veränderung der Produktionskosten für stromintensive Güter wie Stahl, Glas oder Aluminium.
Der Energieträger Erdgas zum Beispiel dürfte durch neue Fördertechniken wie das Fracking global an Bedeutung gewinnen, schreibt die IEA. Durch neue Techniken zur Verflüssigung (LNG) lässt sich der Rohstoff zudem immer besser exportieren. Der regional geprägte Handel über Pipelines entwickelt sich so zum Weltmarkt. Das dürfte die Gaspreise nicht nur in den USA drücken, sondern auch in Asien, wo sie derzeit noch deutlich höher sind als in Europa, sagten Industrievertreter kürzlich SPIEGEL ONLINE auf dem Weltenergiekongress im südkoreanischen Daegu.
Fracking ist als Methode starker Kritik ausgesetzt: Neben enorm hohem Wasserverbrauch gilt sie als umweltschädlich, weil viele Chemikalien eingesetzt werden. Unklar ist, inwiefern diese in das Grundwasser oder das Erdreich gelangen. Während Fracking in Deutschland gerade verboten wurde, bis die Umweltrisiken komplett ausgeschlossen werden können, wird die Methode in den USA in großem Umfang praktiziert.
Viele Experten rechnen zudem damit, dass Gas künftig verstärkt zur Produktion von Elektrizität eingesetzt wird. Das könnte vor allem im Gas-Boomland USA die Strompreise drücken. Die Strompreise in Europa dagegen dürften auch künftig hoch bleiben, prognostiziert die IEA.
Mögliche Folge: Umwälzungen im Industriesektor. Die USA dürften bald mehr stromintensive Güter exportieren, schätzt die IEA. Auch in Asien dürfte, getrieben durch die Nachfrage, die Produktion solcher Waren steigen. Europa und Japan dagegen dürften bis 2035 gut ein Drittel ihres Weltmarktanteils verlieren.
Die EU hätte Möglichkeiten, den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit zu dämpfen, indem sie die Effizienz ihres Energieverbrauchs steigert. Doch dürfte sie dieses Potential ebensowenig ausschöpfen wie der Rest der Welt. Rund zwei Drittel der Potentiale für Investitionen in Effizienz dürften bis 2035 ungenutzt bleiben, schreibt die IEA. Regierungen müssten dringend Voraussetzungen schaffen, diese Potentiale zu heben.
Sorgen ums Klima
Bislang sind Bemühungen für mehr Effizienz oft halbherzig. Aktuelles Beispiel dafür sind die Koalitionsverhandlungen in Deutschland. Zwar betont die künftige Regierung, Effizienz solle bei der Energiewende künftig eine gewichtigere Rolle spielen. Gleichzeitig hat sie jüngst ausgerechnet das konkrete Ziel aufgegeben, den Stromverbrauch der Bundesrepublik bis 2020 im Vergleich zum Jahr 2008 um zehn Prozent zu senken.
Das Forcieren von Maßnahmen für Energieeffizienz ist umso wichtiger, da der globale Energiehunger rasant wächst. Schwellenländer in Asien und Nahost werden die globale Nachfrage bis 2035 um rund ein Drittel steigern, schätzt die IEA. Bis Ende des laufenden Jahrzehnts werde China zum weltgrößten Ölimporteur - und Indien zum größten Importeur von Kohle. Das Epizentrum des Energiehandels verlagere sich zusehends nach Asien.
Für das Klima ist der Nachfrage-Boom schädlich. Zwar wird auch der Anteil erneuerbaren Energien in den kommenden Jahrzehnten rasch steigen, doch kann er laut IEA-Prognose nur die Hälfte des steigenden Bedarfs decken. Die restliche Energie wird unter anderem aus Kohlekraftwerken kommen. Deren CO2-Ausstoß ist im Vergleich zu anderen Kraftwerken besonders hoch.
Neue Techniken wie die unterirdische Speicherung des Klimagases (CCS) könnten dieser klimaschädlichen Entwicklung entgegenwirken. Doch entsprechende Projekte kommen laut IEA kaum voran. Bis 2035 dürfte weltweit gerade ein Prozent der Kohlekraftwerke mit CCS-Technik ausgestattet sein, schätzt die Energieagentur.
Die IEA rechnet mit einer Erderwärmung von 3,6 Grad. Das liegt weit über dem von der Weltgemeinschaft angestrebten Ziel, die Erwärmung auf maximal zwei Grad zu deckeln. Die Prophezeiung der IEA liegt am oberen Rand der Prognosen des Uno-Klimarats IPCC. Im jüngst veröffentlichten Weltklimareport gehen die Wissenschaftler davon aus, dass der Treibhauseffekt die Lufttemperatur auf der Erde um 1,5 bis 4,5 Grad Celsius erhöhen könnte.