Illner-Talk zur Energiewende Die Tatkraft der vielen Bürger

Kommt jetzt die Generation, die Windräder in die Luft sprengen wird? Der Illner-Talk zum "Alptraum Energiewende" war bestimmt durch Parteipolemik und Lobbyisten-Übertreibungen. Doch dann zeigte Luise Neumann-Cosel, wie es gehen kann - und düpierte Minister Peter Altmaier.
Windkraftanlagen in Mecklenburg-Vorpommern: "Mit durchgeschnittenen Bremsschläuchen"

Windkraftanlagen in Mecklenburg-Vorpommern: "Mit durchgeschnittenen Bremsschläuchen"

Foto: Jens Büttner / dpa

Die aktuellen Großprojekte der Politik - vom Hauptstadtflughafen bis zur Euro-Rettung - haben eines gemeinsam: Der Umgang der Gewählten mit ihnen hinterlässt beim Bürger kein gutes Gefühl, sondern vielmehr den Eindruck, dass etwas grundsätzlich falsch läuft. Auch bei der sogenannten Energiewende ist das so, diesem ebenso überstürzten wie für den Endverbraucher schwer durchschaubaren Renommiervorhaben der amtierenden Regierung. Nur dass er zahlen muss, ist ziemlich sicher.

Der Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) hat für den ungünstigsten Fall Kosten von einer Billion Euro binnen der nächsten 25 Jahre veranschlagt. Grund genug für Maybrit Illner, ihre Talkrunde mit "Alptraum Energiewende" zu betiteln, zugleich aber auch Aufklärungsarbeit leisten und austesten zu wollen, ob sich das böse Erwachen nicht vielleicht doch verhindern lässt.

Um es gleich zu sagen: Als normaler TV-Zuschauer war man am Ende nicht wesentlich klüger als zuvor, sondern sah sich höchstens in der Ahnung bestätigt, dass es bei diesem Thema sehr viel um Parteienhader und um Lobbyismus geht, den der Ökostrom-Produzenten ebenso wie jenen der energieintensiven Unternehmen, um Behauptungen und Unterstellungen, aber kaum um objektive Daten oder gar ein schlüssiges Konzept.

Zu allem Überfluss ist auch noch Wahljahr, und da hätte der schwarze Minister natürlich nur zu gern eine Strompreisbremse installiert, zum Wohle der beunruhigten Wähler und auch, weil er den Grünen deutlich eher grün ist als den Gelben und ihrem Herrn Rösler. Aber daraus ist gerade an diesem Tag nichts geworden - der Bremser wurde selbst ausgebremst beim Gipfel im Kanzleramt.

Und dann gibt's auch noch Häme von Trittin

Der Frust war ihm anzumerken, wie er dort saß und die Lage zu beschönigen versuchte und sich obendrein von Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin auch noch hämische Bemerkungen anhören musste. Denn selbstverständlich finden die Grünen nicht in Ordnung, wie die politische Konkurrenz mit diesem Projekt umgeht, das ja eigentlich das ihre ist.

Dass auch "Wirtschaftswoche"-Chef Roland Tichy nichts davon hält, hat aber andere Gründe. Ihm passt die ganze Wende-Richtung nicht, wie er anhand eines regelrecht schockierenden Bildes zu verstehen gab: "Ein Auto rast auf eine Klippe zu, mit durchgeschnittenen Bremsschläuchen." Das Ganze sei "ein abenteuerlicher Totentanz". Allerdings sei das nicht nur die Schuld des Herrn Altmaier, sondern liege daran, dass das Unterfangen zu überhastet und unüberlegt ins Werk gesetzt worden sei. "Die Energiewende wurde vermurkst."

Man musste fast dankbar sein für derlei plastisch-drastische Sottisen, denn immer wieder glitt der Disput doch sehr ins Kleinteilige, Technokratische ab. Mochte Altmaier auch mit tapferem Pathos einen "nationalen Kraftakt" beschwören, so verlor sich beispielsweise Werner Brinker, Vorstandschef des norddeutschen Energiekonzerns EWE, derart intensiv in der Schilderung der Probleme der Netzstabilität, des Exports und jener ominösen Paradoxie, derzufolge sich der Strom für den Verbraucher verteuert, wenn er aufgrund von Überkapazitäten eigentlich billiger wird, dass es genau diesem zahlenden, fernsehenden Endkonsumenten eine Mühe war zu folgen.

Erfolg von regionalen Energiegenossenschaften

Zum Glück gab es auch hier exegetischen Beistand von Polemiker Tichy. Man müsse sich das einfach so vorstellen, als würden in Deutschland hergestellte 100.000-Euro-Autos für 10.000 Euro ins Ausland verkauft und die Bundesbürger müssten die Differenz begleichen.

Derweil bemühte sich Claudia Kemfert, Professorin für Energieökonomie, unverdrossen, die Energiewende als "Erfolgsgeschichte" darzustellen. In Wahrheit werde der Strom durch die erneuerbaren Energien nicht teurer, sondern billiger. Notwendig sei aber eine ehrliche Strompreisdebatte und Transparenz. Wie die womöglich - und tatsächlich alternativ zur notorisch alternativlosen Regierungspolitik - herzustellen wäre, davon berichtete Luise Neumann-Cosel, die im Grunde den einzigen Lichtblick in die insgesamt eher trostlose Veranstaltung brachte.

Neumann-Cosel ist Mitbegründerin der Genossenschaft BürgerEnergie Berlin, die das Berliner Stromnetz vom Riesen Vattenfall kaufen will. Das klang zwar zunächst ein wenig utopisch, zumindest höchst ehrgeizig, erwies sich aber dann doch als durchaus realistische Option, zumal es inzwischen ja landauf landab eine zunehmende Zahl von regionalen Energiegenossenschaften gibt, die ihren Bedarf durch kleine Anlagen vor Ort decken, was neben der Bürgerbeteiligung vor allem den großen Vorteil hat, dass der Strom nicht über weite Strecken und teure, landraubende Trassen transportiert werden muss.

Das nahm selbst Herrn Tichy irgendwie den Wind aus den Segeln, der sich die düstere Prophezeiung nicht verkneifen konnte, es werde demnächst eine Generation kommen, "die die Windräder in die Luft sprengt".

Es war interessant zu beobachten, wie auf einmal alle in der Runde ihr Herz für solche dezentralen Konzepte zu entdecken schienen, ob Konzernchef Brinker, der sich als Genossenschaftsfan outete, oder Minister Altmaier, der umgehend um eine Einladung bat, was aber insofern etwas peinlich war, als er erfahren musste, dass die Berliner Energie-Bürger ihn schon zweimal erfolglos eingeladen haben.

Die kleine Szene passte zum Gesamtbild einer Politik, deren Aktionismus auch deswegen oft so leer anmutet, weil sie offenkundig eine wesentliche Ressource unterschätzt - die Kreativität und Tatkraft vieler Bürger.

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