Böckler-Institut Wirtschaftsforscher hält Zuwanderungsstreit für Phantomdebatte

Maschinenbau: Deutsche Unternehmen investieren zu wenig
Foto: Oliver Berg/ dpaBerlin - Man erkennt schnell, was Gustav Horn über die von der CSU angezettelte Diskussion um die Armutseinwanderer aus Rumänien und Bulgarien hält, auch wenn er ein klares Wort dazu vermeidet: nichts. "Im Grunde ist das eine Phantomdebatte, die wir schon einmal hatten", erklärt er nur. "Damals fürchtete man, dass Polen, Ungarn oder Tschechen den Deutschen auf dem Arbeitsmarkt mit Billiglöhnen Konkurrenz machen würden. Tatsächlich waren die Effekte kaum spürbar - so wird es auch dieses Mal wieder sein".
Die Grenzöffnung sei Ausprägung der Freizügigkeit in der EU, fügt der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hinzu. Alles andere würde dem europäischen Geist zuwiderlaufen, sagt Horn, als er am Montag in Berlin den Jahresausblick des gewerkschaftsnahen Instituts vorstellt.
Geringes Wachstum in Sicht
Doch wirklich überrascht kann Horn von den europaskeptischen Reflexen kaum sein. Schließlich kritisiert er im Januar-Report des IMK die fehlende Europa-Perspektive der Großen Koalition. Speziell in der Finanzpolitik müsse erheblich mehr getan werden, doch ein Kurswechsel auf diesem Gebiet sei im Koalitionsvertrag nicht einmal in Andeutungen vorhanden. Die meisten Länder der Euro-Zone würden 2014 zwar aus der mehrjährigen Rezession herausfinden, weil die "überharte Sparpolitik" derzeit etwas gelockert werde. "Aber das reicht längst noch nicht, um die Krise abhaken zu können. Die hohe Arbeitslosigkeit in vielen Ländern lastet weiter massiv auf Europa", sagt Horn.
Es sei illusorisch zu glauben, dass die schwachen Länder allein mit Exporten ins außereuropäische Ausland die Krise überwinden könnten. Vielmehr sei es die Aufgabe der exportstarken Länder, ihre Binnennachfrage zu stärken. "Auf diese Weise würde nicht nur die Konjunktur im jeweiligen Land unterstützt, sondern auch den Krisenländern bessere Chancen im innereuropäischen Handel eröffnet", argumentiert der IMK-Chef.
Deutschland als Konjunktur-Lokomotive
Und es ist keine Frage, wer der erste Adressat dieser Ermahnung ist. Das IMK geht davon aus, dass Deutschland auch in diesem Jahr wieder die Rolle der europäischen Konjunktur-Lokomotive spielen wird - mit einem prognostizierten Wachstum von 1,2 Prozent schätzen die Forscher die deutsche Zugkraft allerdings weit schwächer ein als andere große Institute. Die sagen einen Anstieg von 1,6 bis 1,9 Prozent voraus.
Wie Deutschland seine Binnennachfrage stärken soll, steht für Horn fest: Es gebe Grund genug, eine Ausweitung der Staatsausgaben ins Auge zu fassen, denn Deutschland leide weiterhin unter einer Investitionsschwäche. Die zwischen Union und SPD vereinbarten Mehrausgaben von 23 Milliarden Euro bis 2017 für Infrastruktur, Bildung und Forschung reichten nicht aus, um einen spürbaren Effekt zu erzielen. Die Große Koalition bleibe bei diesem zentralen Problem eine Lösung schuldig.
Um die schwächeren Euro-Staaten mitzureißen, fordert Horn jedoch noch zusätzlich einige unkonventionellere Maßnahmen - etwa den gezielten Aufkauf von Staatsanleihen und Pfandbriefen dieser Länder durch die Europäische Zentralbank (EZB). Das würde den Kurs dieser Papiere positiv beeinflussen und die hohen Risikoaufschläge reduzieren. Griechenland und Co. kämen dann wieder billiger an neue Kredite, argumentiert Horn.
Im Kern kommt das zwar der Einführung von Euro-Bonds durch die Hintertür gleich. Doch das ficht Horn nicht an, schließlich spricht sich der gewerkschaftsnahe Forscher seit Jahren für dieses Instrument aus - genauso wie die arbeitgebernahen Institute. Ohne diese Maßnahme habe die an sich vernünftige expansive Geldpolitik der EZB auf Dauer keinen Erfolg, erklärt er. Auf der anderen Seite seien die Risiken nach wie vor enorm: Denn angesichts weiterhin sinkender Löhne und einer Abnahme der Kreditvergaben an Unternehmen in den Krisenländern sei die Gefahr einer Deflation nach wie vor real, warnt Horn: "Die aktuelle Lage ist brisant."