Immobilienmodell in Berlin Nie mehr verkaufen

Haus in der Kurmärkischen Straße in Berlin
Foto: Gordon Welters / DER SPIEGELSusanne Kahl sah sich schon am Stadtrand von Berlin. "Heiß und kalt" wurde es der 68-jährigen Rentnerin, als sie erfuhr, dass das Haus zum Verkauf stand, in dem sie seit 32 Jahren Mieterin ist. Sie hatte Angst, dass Investoren einsteigen und die Preise erhöhen. Kahl schlief schlecht.
So erzählt sie es, im Wohnzimmer ihrer prächtigen Dreizimmeraltbauwohnung, in der sie allein lebt. An den Wänden um sie herum hängen Stillleben und Porträts, die meisten davon hat sie selbst gemalt. Die Wohnung liegt im Norden von Berlin-Schöneberg, die Lage ist gut, zu Fuß ist es etwa eine Viertelstunde zum Kaufhaus des Westens. Tatsächlich wurde das Haus verkauft. Doch es kam anders als befürchtet.

Rentnerin Kahl: "Heiß und kalt" geworden
Foto: Gordon Welters / DER SPIEGELDie Preise auf dem Immobilienmarkt steigen immer weiter an. Der Boom hängt viele ab. Vor allem Mieter, die sich weder eine eigene Wohnung noch die steigenden Mieten leisten können. Doch es gibt kreative Ideen, sich dem Treiben zu entziehen. Mietergemeinschaften werden zu Eigentümern, kaufen ein Haus nicht, um Rendite zu erzielen, sondern um gemeinsam zu günstigen Preisen zu wohnen.
Rentnerin Kahl hat das gemacht. Gemeinsam mit Mitmietern und einer Organisation, die sich Mietshäuser Syndikat nennt. Gemeinsam stechen sie andere, auch finanzstarke Investoren aus.
Der Grundgedanke für das Mietshäuser Syndikat kommt aus der Freiburger Hausbesetzerszene. Jochen Schmidt, 56, ist ein Sprecher der Gruppe. Das Ziel ist es, Häuser gemeinsam zu kaufen, solidarisch zu verwalten und nie mehr zu verkaufen. Wirklich nie mehr.
Die Idee ist simpel. Eine Gemeinschaft, die ein Haus kaufen und bewohnen will, gründet einen Verein. Zusammen mit dem Mietshäuser Syndikat errichtet der Verein eine Kapitalgesellschaft, eine GmbH.
Die Bewohner machen alles selbst, sie verwalten das Haus, entscheiden über die Höhe der Miete, Sanierungen und neue Mieter. Das Mietshäuser Syndikat hat jedoch ein Vetorecht in Grundsatzfragen. Vor allem, um auszuschließen, dass das Haus jemals wieder verkauft wird und zurück auf den Markt gelangt.
149 Häuser gehören aktuell zum Syndikat. "Die Nachfrage ist enorm und nimmt zu", sagt Schmidt. Hauptgrund sei, dass die Konstruktion die Bewohner vor drastischen Preiserhöhungen schütze, weil die Besitzer - also die Bewohner - mit dem Haus keinen Profit machen wollten und auch nicht müssten. Mittlerweile wohnten rund 5000 Personen in den Häusern. Insgesamt seien, inklusive der Sanierungen, rund 300 Millionen Euro investiert worden.
"Ein paar Wohnungen standen jahrelang leer"
Aber wie kann eine Gruppe, die vorwiegend aus Künstlern und Freischaffenden mit wechselhaften Einkünften besteht, so einen Hauskauf finanzieren? Mitten in Berlin, wo die Leerstandsquote seit Jahren im Promillebereich liegt. In einer ziemlich teuren Lage.

Treffen des Hausvereins Kumi*13: Fünf Stockwerke, zwölf Wohnungen
Foto: Gordon Welters / DER SPIEGELHolger Lauinger, 48, kann es bis heute nicht fassen, dass sie es tatsächlich geschafft haben. Lauinger ist einer der 17 Erwachsenen, die dem Hausverein Kumi*13 angehören, angelehnt an die Hausnummer in der Kurmärkischen Straße.
Das Haus hat fünf Stockwerke, zwölf Wohnungen, eine Wohnfläche von rund 1600 Quadratmetern, dazu Gewerbeflächen im Erdgeschoss. Einiges muss erneuert werden. "Ein paar Wohnungen standen jahrelang leer", sagt Lauinger. Vier Millionen Euro kostete das Haus, die Sanierung soll zusätzlich 1,7 Millionen Euro kosten.
Etwa die Hälfte des Eigenanteils für den Bankkredit übernahm die Stiftung Edith Maryon, 450.000 Euro, eine Zwischenfinanzierung, die Bewohner müssen das Geld zurückzahlen. Das Ziel der Stiftung ist es, Grundstücke der Spekulation zu entziehen und sie "dauerhaft sozialverträglich" nutzen zu können. Die Bewohner müssen auch eigenes Geld einbringen, dafür pumpten sie Freunde und Sympathisanten an. Bis Mitte August hätten sie so 415.000 Euro gesammelt, sagt Lauinger. Ein Teil der Mieteinnahmen gehen für Zins und Tilgung der Kredite drauf. Ein Teil geht an das Mietshäuser Syndikat, um neue Projekte zu finanzieren.
Das Syndikat sei eine Erfolgsgeschichte, ist sich Schmidt sicher. Bislang sei nur ein Projekt gescheitert. Eine Bauruine, in der noch niemand gewohnt habe. Die Kosten waren viel höher als geplant, das Haus wurde zwangsversteigert, die Bank und private Kreditgeber verloren Geld.
Die künftigen Bewohner der Kumi*13 planen derweil, wie sie die Räume aufteilen. Es gibt unterschiedliche Ideen, teils lange Diskussionen. Die Hausfassade wird bereits saniert. Im Oktober 2020 wollen die Ersten in die renovierten Wohnungen einziehen.