
China: Die Wirtschaftsmacht der Zukunft
Inflation, Armut, Reformstau Chinas Wunderwirtschaft stößt an ihre Grenzen
Hamburg - China, China, China: Die Wirtschaftsteile der Zeitungen sind voller Boom-Geschichten aus der Volksrepublik. Dabei ist die Wirtschaftssupermacht immer noch ein Entwicklungsland. Bei allem Staunen über Chinas zweistellige Wachstumsraten, den Aufstieg zum Exportweltmeister und die Rolle als Retter der Weltwirtschaft wird häufig unterschätzt, wie widersprüchlich dieses Land ist.
Rund die Hälfte der Chinesen, also mehr als 600 Millionen Menschen, lebt nach wie vor auf dem Land und arbeitet in der Landwirtschaft. "Teils herrschen dort Zustände wie vor der industriellen Revolution", sagt Horst Löchel. Ein Leben also, wie es in Europa vor 200 Jahren geführt wurde.
Löchel lebt seit acht Jahren in China, er lehrt an einer chinesisch-europäischen Universität in Shanghai. Der 56-Jährige sagt, China passe nicht in nur eine Kategorie. Dafür sei das Land zu widersprüchlich. "Die Mehrheit der Chinesen weiß gar nicht, wie es in Shanghai oder Peking aussieht."
Dort - immerhin - wächst die Gruppe der Superreichen rasant. 2010 stieg die Zahl der Millionäre um 30 Prozent auf fast 500.000 Menschen, statt 79 gab es laut "Forbes" mindestens 128 Milliardäre. Doch die Mehrheit der Menschen hat nichts davon: Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt in bei rund 3000 Euro - das reicht gerade mal für Platz 99 im weltweiten Vergleich. Das deutsche Pro-Kopf-Einkommen ist etwa zehnmal so hoch.
In den nächsten zehn, wohl spätestens 20 Jahren wird China die USA als Land mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt ablösen. Doch selbst dann wird das Durchschnittseinkommen der derzeit 1,3 Milliarden Chinesen weit hinter jenem im Westen liegen.
Wie geht die Volksrepublik mit diesem gewaltigen Verteilungsproblem um? Und vor welchen Risiken steht das Land noch? Eine Übersicht über die größten wirtschaftlichen Probleme der Volksrepublik.
Arm und Reich driften auseinander
Das größte Problem der chinesischen Führung ist die wachsende Ungleichheit. Während die Ostküste mit den Metropolen Peking und Shanghai boomt, profitiert der überwiegende Teil der Bevölkerung kaum vom Wachstum. Im Gegenteil: Die Inflation macht das Leben für die Ärmsten sogar noch schwerer.
Insgesamt sind die Preise in China im vergangenen Jahr um fünf Prozent gestiegen, Lebensmittel wurden sogar um zehn Prozent teurer. Für die arme Bevölkerung, die nahezu ihr gesamtes Einkommen für Nahrung aufbringen muss, ist das eine Katastrophe.
Die Machthaber in Peking bemühen sich, die Kaufkraftverluste mit staatlichen Mindestlöhnen und Lohnerhöhungen der staatlichen Unternehmen auszugleichen. Doch reicht das? Der Ökonom Löchel sagt, China habe eine kritische Grenze bei der Ungleichheit der Einkommen überschritten. Bei einer Fortsetzung dieses Trends drohten Aufstände und politische Unruhen, sagt er voraus.
Davon ist China zwar noch weit entfernt, laut Umfragen sind 87 Prozent der Bürger mit der Entwicklung ihres Landes zufrieden. Ihr Unmut richtet sich - wenn überhaupt - gegen lokale Machthaber und Provinzfürsten - und nicht gegen die Regierung in Peking.
Das muss aber nicht so bleiben. Löchel berichtet von Gesprächen mit Eliten der Kommunistischen Partei, die diese Gefahr sehr ernst nähmen. Er rechne daher damit, dass der neue Fünfjahresplan, der im März verabschiedet wird, eine Umverteilung des Reichtums vorsieht: "Das wird insbesondere den Angestellten zugutekommen. Aber auch die Mindestlöhne für Arbeiter werden tendenziell steigen."
So sehr das zu mehr Gerechtigkeit führen wird - die Wachstumsraten Chinas könnten darunter durchaus leiden.
Das Land ist zu abhängig vom Export
China lebt von seinen enormen Überschüssen in der Handelsbilanz. Das Land produziert sehr billig und kann Produkte aufgrund seiner unterbewerteten Währung noch billiger liefern. Bereits 2009 hat die Volksrepublik Deutschland als Exportweltmeister abgelöst.
Das Dauerwachstum beruht also zu einem wesentlichen Anteil auf den Erfolgen als Werkbank der Welt. Doch das beinhaltet durchaus Risiken. Zum einen merkt China globale Erschütterungen wie die Euro-Krise oder das schwächelnde US-Wachstum enorm. Zum anderen sind die meisten Exportprodukte von geringer Qualität und haben daher auch nur einen begrenzten Wert. Andere Schwellenländer könnten sie künftig noch billiger anbieten.
Rolf Langhammer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft warnt daher: "Die externen Risiken für Chinas Aufschwung sind bedeutender als die internen." Nur wenn sich das Land von seiner Exportfixierung löse, könne es Krisen in anderen Teilen der Welt ohne Wachstumseinbrüche verkraften.
Ähnlich argumentiert Horst Löchel, der in Shanghai Vorlesungen hält: "Die chinesische Exportindustrie ist nicht vergleichbar mit dem deutschen Mittelstand. Das sind Unternehmen mit Billiglöhnen und geringer Wertschöpfung."
Auf Dauer könne das nicht funktionieren: China müsse den Konsum im eigenen Land ankurbeln und innovative Produkte entwickeln - "zum Beispiel im Bereich Biotech, Telekommunikation und Umweltschutz".
Der Yuan muss aufgewertet werden
Vor allem für die USA ist es ein enormes Problem: Die chinesische Währung ist drastisch unterbewertet. Experten schätzen, dass der Yuan im Vergleich zum Dollar 30 Prozent zu billig ist. Davon profitiert die chinesische Exportindustrie, die Produkte im Ausland billiger anbieten kann.
Doch die Unterbewertung stellt auch für China ein Risiko dar: Bei einer drastischen Aufwertung - etwa von 20 Prozent - würden weite Teile der Exportindustrie ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren, Millionen Chinesen wären arbeitslos.
Darum macht die Führung in Peking überhaupt keine Anstalten, den Yuan kurzfristig zu einer konvertierbaren Währung zu machen - sprich, den Wechselkurs realistisch zu gestalten.
Löchel wie auch Janis Hübner von der DekaBank erwarten daher eine schleichende Aufwertung von fünf, maximal acht Prozent im Jahr. Damit werde es noch mindestens fünf, sechs Jahre dauern, bis der Wert des Yuan der tatsächlichen Stärke der chinesischen Volkswirtschaft entspricht, sagt Hübner.
Immobilien verteuern sich rasant - droht eine Blase?
Bei den Risiken ebenfalls genannt wird immer wieder eine angeblich drohende Immobilienblase in China. Tatsächlich sind die Preise für Wohnungen in den Metropolen Peking und Shanghai massiv gestiegen.
Das hatte laut Löchel vor allem drei Gründe:
- In China gibt es außer Immobilien kaum Anlagemöglichkeiten. Die Wohlhabenden kaufen also Zweit- und Drittwohnungen, um ihr Geld vor der Inflation zu schützen.
- Die Regierung hat Immobilienkäufe durch ihr Konjunkturprogramm massiv gefördert. Die Kreditvergabe wurde wesentlich erleichtert, es wurde daher mehr gebaut, als es der Wohnbedarf erforderte.
- Ausländische Unternehmen haben ihre Investitionen in China deutlich ausgebaut.
Eine neue Immobilienblase, vergleichbar mit jener in den USA, erwarten Experten trotzdem nicht. Das Risiko sei überschaubar, zumal die Regierung bereits massiv gegensteuere.
So werden Kredite für Zweitwohnungen mittlerweile nur noch unter strengen Auflagen genehmigt. Der Antragsteller muss für eine Finanzierung mindestens 40 Prozent Eigenkapital aufbringen. Damit sinkt das Risiko der Bank, wenn die Immobilie tatsächlich an Wert verliert.
Zudem sei das Finanzsystem längst nicht so stark im Immobilienmarkt verstrickt wie dies in den USA der Fall ist, sagt Janis Hübner von der DekaBank. Das Risiko sinkender Preise sei also wesentlich überschaubarer.
Banken und Börse fehlt die Transparenz
China ist keine reine Marktwirtschaft. Der Einfluss des Staats, also der alleinherrschenden Kommunistischen Partei, auf Konzerne und Banken ist so groß, dass man wohl am ehesten von einem Staatskapitalismus sprechen kann.
Das birgt durchaus Risiken, etwa beim Ausbau des Finanzsystems. In der Krise haben die Machthaber die staatlichen Banken dazu gedrängt, Kredite zu vergeben - ohne Rücksicht auf Risiken.
"Das war besonders 2009 zu beobachten", sagt DekaBank-Experte Janis Hübner. "Es wurde Geld in Infrastrukturprojekte gepumpt, deren Wirtschaftlichkeit zumindest zweifelhaft war." Im Kern seien die Kredite versteckte Staatsausgaben gewesen, die staatlichen Banken würden in einigen Fällen vergeblich auf eine Rückzahlung warten, sagt Hübner.
Auch der chinesische Aktienmarkt ist mit westlichen Verhältnissen nicht zu vergleichen: Die Transparenz lässt laut Löchel häufig zu wünschen übrig - sowohl an den Börsen wie auch bei den gehandelten Unternehmen. "Oft handelt es sich auch um Staatskonzerne, deren Aktien nur zu einem geringen Teil in den Handel kommen."
Der Ökonom hält die Bedeutung des chinesischen Aktienmarkts daher für überschätzt, dieser stehe erst am Anfang. 2010 war zudem ein schwaches Jahr - vor allem für die Börse in Shanghai. Der Shanghai Composite verlor 16 Prozent, während die westlichen Aktienmärkte kräftig zulegten.
Zwar hätten die chinesischen Börsen 2009 gegen den Trend gewonnen, sagt Hübner. Doch auch er verweist darauf, dass man bei chinesischen Aktien höheren Kursschwankungen ausgesetzt sei als in anderen Märkten.
Laut Löchel ist das vor allem für Shanghai ein Problem: Chinas Führung wolle das Land eigentlich bis 2020 zu einem internationalen Finanzzentrum ausbauen, das auf Augenhöhe mit der Wall Street und London sei. "Doch davon ist man noch weit entfernt."
Was bedeutet der Wechsel der politischen Führung?
Kaum zu kalkulieren ist der Wechsel der politischen Führung in Peking, der 2012 ansteht. Xi Jinping, derzeit Vizechef der mächtigen Zentralen Militärkommission übernimmt dann das Amt von Staats- und Parteichef Hu Jintao.
"Der Wechsel birgt ein hohes Maß an politischer Unsicherheit", sagt Rolf Langhammer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Bislang wisse man noch nicht allzu viel über Xi. Fraglich sei vor allem, ob der 57-Jährige den Kurs von Hu fortsetzen wird.
Denn Hu, derzeit laut "Forbes" der mächtigste Mann der Welt, hat zuletzt durchaus Aufgaben an die regionalen Autoritäten delegiert. Wird der neue KP-Chef 2012 wieder stärker zentralisieren?
Die US-Botschaftsdepeschen aus China, die WikiLeaks veröffentlicht hat, beschreiben Xi als einen Mann, der wenig von demokratischen Reformen hält. Er sei vielmehr davon überzeugt, dass nur eine kleine Elite Chinas soziale Stabilität bewahren und das Land zu neuer Größe führen könne.