Thomas Fricke

Teuerungs-Panik Es kommen schlechte Zeiten für Inflations-Hypochonder

Thomas Fricke
Eine Kolumne von Thomas Fricke
Vor lauter Hiobsbotschaften zu steigenden Preisen droht sich in Deutschland das Gefühl festzusetzen, dass nun alles für immer ständig teurer wird. Gut, dass die Zeit der Rekorde nun vorbei ist.
Einkauf im Supermarkt: Alles immer teurer?

Einkauf im Supermarkt: Alles immer teurer?

Foto: Martin Wagner / IMAGO

Es gibt in Deutschland eine merkwürdige Gepflogenheit, wenn es um die Frage geht, wie teuer es im Land so ist: Die Statistiker melden immer gleich zweimal, wie die Inflation im jeweils ablaufenden Monat ausgefallen ist – zuerst als erste Schätzung gegen Monatsende. Und dann, gelegentlich leicht revidiert, gut zehn Tage später noch einmal – wie an diesem Freitag. Das tun Statistiker zwar auch für andere Statistiken gelegentlich. Nur wird darüber weit weniger berichtet, als wenn es um die Inflation geht.

Und es hat etwas umso Kurioseres, wenn, wie jetzt, der Chef der Statistikbehörde die bereits gemeldete Rate von tatsächlich hoch wirkenden 5,2 Prozent gleich noch einmal verkündet (diesmal noch nicht einmal revidiert). Es ist ja nicht wieder mehr Inflation gemessen worden, sondern nur die dieselbe noch mal. Maso-Land?

Jetzt könnte diese Gepflogenheit irgendwie unbewusst daher kommen, dass die Deutschen eben bekannt dafür sind, vor vielem Angst zu haben, aber ganz sehr besonders viel vor, eben, Inflation. Und sich darüber irgendwie auch gern gruseln. Dann ist das sozusagen ein toller Service der Statistik, monatlich immer gleich zweimal klagen zu können.

Das könnte auch erklären, warum sich die Sorgen in Zeiten gelegentlich höherer ausgewiesener Inflation vor lauter Stakkato-Meldungen und -Bestätigungen so verselbstständigen, dass irgendwie ständig und überall Inflation zu sein scheint, es plötzlich ganze TV-Sendungen dazu gibt – obwohl ganze Kategorien von Waren und Dienstleistungen gar nicht teurer geworden sind. Und ein Teil der Teuerung absehbar vorübergehend ist. Gerade die Mieten sind zuletzt zum Beispiel kaum mehr gestiegen.

Gefühlt scheinen wir nach Monaten der immer neuen Rekordinflation schon kurz vor Hyperinflation. Dabei könnte die Sirene bald abrupt verstummen. Gut möglich, dass schon die heute für November gemeldete Rekordrate die vorerst letzte gewesen ist. Was die Sache nicht unbedingt weniger absurd macht: Ob es wirklich Inflationstrends gibt, darüber sagen die monatlichen Veränderungen im Vergleich zum Vorjahr ohnehin nur sehr bedingt etwas aus.

Eine kleine Hilfestellung: Wie schon oft erklärt, kommen die hohen Inflationsraten gegenüber dem Vorjahr (zuletzt knapp über fünf Prozent) zu einem Gutteil daher, dass im Vergleichszeitraum die Energiepreise nach dem Coronaschock regelrecht abgestürzt waren – und in Deutschland dank zusätzlich gesenkter Mehrwertsteuer die Preise sogar sanken, seltenes Phänomen: negative Inflation, sozusagen. Da fällt der Vorjahresvergleich 2021 nicht unbedingt deshalb höher aus, weil gerade von Woche zu Woche alles immer teurer wird – sondern weil es halt vor einem Jahr für kurze Zeit ungewöhnlich günstig war.

Der Vergleich zum Vorjahr hinkt

Es lohnt sich, genauer hinzusehen. 2021 gab es Zeiten, in denen die Teuerung sich von Monat zu Monat kaum fortgesetzt hat. Und wenn, dann lag das fast vollständig an den international hochgeschnellten Kursen für Energie und Rohstoffe. Weil im Oktober und November allein dadurch die Verbraucherpreise von Monat zu Monat um durchschnittlich gut 0,5 Prozent zulegten, erreichte die Teuerung im Vergleich zum Vorjahr am Ende sogar gut fünf Prozent. Die Mieten stiegen in der Zeit um lediglich 1,3 Prozent, Dienstleistungen im Schnitt um weniger als drei Prozent.

Genau hier liegt der potenziell entscheidende Unterschied zwischen einem vorübergehenden Teuerungsschub und einer womöglich gefährlichen Preisspirale – und der Grund dafür, schon jetzt wieder sinkende Raten vorhersagen zu können. Da die Energiepreise auch stark spekulativ nach oben getrieben worden sind, braucht es nicht viel, um diesen Trend auch mal wieder kippen zu lassen. Das ist ab etwa Mitte November passiert. Spätestens seit die Sorgen vor der Omikron-Variante des Coronavirus kursieren, sind viele Rohstoffpreise stark gesunken.

Der Preis für das Barrel Rohöl fiel zwischenzeitlich von rund 80 auf etwa 60 US-Dollar. Nach Meldung der Experten des HWWI-Instituts sanken die Kurse für Rohstoffe auf den Weltmärkten im November um immerhin fast neun Prozent. Industrierohstoffe werden schon seit Monaten wieder deutlich günstiger. Die Weltmarktpreise für Gas, die zuvor so hochgetrieben schienen, kollabierten im November sogar um 18 Prozent.

Schon ab Dezember könnte die Teuerung sinken

Nun ist auch das nicht garantiert für ewig. Für den Moment gilt aber, dass sich ein Teil der Dinge, die kürzlich noch für die Aufregerrekorde gesorgt haben, umgekehrt hat. Nach Schätzungen der Ökonomen bei der Berenberg Bank dürfte allein der Rückgang der Ölpreise dazu führen, dass 0,3 Prozentpunkte der Inflation im Dezember wegfallen. Der Ölpreisrückgang hat von November auf Dezember auch die Benzinpreise hierzulande schon spürbar sinken lassen – um gut vier Prozent.

Früher oder später wird auch der Gaspreisverfall wirken. Und: im Januar fallen dann statistisch ohnehin die viel zitierten Basiseffekte besonders niedriger Mehrwertsteuern und Energiepreise aus dem zweiten Halbjahr 2020 aus der Statistik. Ebenso wie der einmalige Preissprung, den Anfang 2021 die Einführung von CO₂-Steuern mit sich gebracht hatte; da soll es vorerst keine weiteren geben, hat die Ampelkoalition gesagt.

Nimmt man all das zusammen, fallen im Januar noch einmal 1,5 Prozentpunkte aus der Inflationsrate. Hinzu kommt, dass die Verlängerung der Pandemie auch wirtschaftlich Spuren hinterlässt. Die Aufträge für Deutschlands Industrie lagen im Oktober um fast zehn Prozent unter dem Schnitt des Sommerquartals. Selbst wenn es noch Lieferengpässe gibt, die manchen Anbieter zur Erhöhung seiner Preise animiert haben, werden diese bei nachlassender Konjunktur und ohnehin langsam aufholender Produktion kleiner: noch ein Grund weniger, jetzt noch neue große Inflationsschübe zu erwarten.

Noch einmal: Es ist angesichts der politischen Unwägbarkeiten schwer bestimmbar, ob es zu neuen Schüben an den Rohstoffmärkten kommt. Allerdings hätte selbst das nichts damit zu tun, wovor Inflationspropheten in Deutschland dann immer schnell warnen: Preisschübe, die sich über höhere Löhne und wieder höhere Preise verselbstständigen. In Europa steigen die Löhne bis dato noch auffällig moderat. Und auch sonst ist so viel noch nicht von einer Spirale zu spüren.

Wer wissen will, ob sich trotz allem noch Inflationsgefahren entwickeln, sollte in den kommenden Monaten ohnehin in fachlich solidere Analysen einsteigen. Die üblichen Inflationsraten im Vorjahresvergleich werden aus den oben genannten Gründen vorerst keinen Nährboden mehr geben für Rekordpanik. Was allerdings auch kein Entwarnungssignal sein muss. Es kann auch sein, dass zwar die Vorjahresraten wegen der wegfallenden Basiseffekte sinken, die Teuerung von Monat zu Monat aber wieder anzieht – auch wenn das gerade ziemlich unwahrscheinlich ist, solange keine neue Rohstoffsause losgeht.

Um so etwas mitzubekommen, muss man allerdings etwas tiefer in die Statistik sehen – und die Vormonatsentwicklung beobachten, statt auf möglichst gruselige Vorjahresraten zu fliegen. Für eine nüchternere Einschätzung würde es auch lohnen, sich die vermeintlich gefährlichen Phänomene näher anzusehen, die als Grund für dauerhaft höhere Inflation in diesen Zeiten gelegentlich genannt werden: dass viele Schwellenländer keine ewigen Billigländer mehr sind, die unsere Löhne schön niedrig halten, heißt zum Beispiel nicht, dass das gleich Inflation auslöst – zumal es ohnehin schräg wirkt, das Phänomen als etwas Gefährliches aussehen zu lassen. Das ist gut so. Punkt.

Wenn die Statistiker wie jetzt gleich zweimal melden, dass die Inflation im November einen neuen Rekord erreicht, liest sich das wie die doppelte Hiobsbotschaft – und nährt unnötige Fantasien von irgendwie unkontrolliertem Geldwertverlust. Das ließe sich auch anders kommunizieren.

Für Inflationsneurotiker könnte es mit den aktuellen Rekordmeldungen dann allerdings auch vorbei sein. Es spricht das eine oder andere dafür, dass schon für Dezember kein Rekord mehr zu errechnen ist, allerspätestens im Januar. Spätestens dann wäre es gut, wenn in Deutschland wieder etwas weniger reflexhaft und bedachter erörtert würde, ob sich tatsächlich mittelfristig gefährliche Inflationstrends auftun.

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