Interview mit EKD-Vorsitzender Käßmann "Geiz misst sich nicht in Cent"

Manager kassieren Millionenabfindungen - doch wofür eigentlich? Wo fängt Gier an und wie geil ist Geiz? Margot Käßmann, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, spricht im Interview mit SPIEGEL ONLINE über maßlose Wirtschaftsbosse - und Moral.
Margot Kässmann: "Wer immer mehr will, wird nur noch unzufriedener"

Margot Kässmann: "Wer immer mehr will, wird nur noch unzufriedener"

Foto: THOMAS PETER/ REUTERS

SPIEGEL ONLINE: Frau Bischöfin, einer Ihrer Lieblingswitze lautet: Fragt ein Mann seinen Pastor: "Komme ich in den Himmel, wenn ich der Kirche 100.000 Euro spende?" Antwortet der: "Garantieren kann ich es nicht, aber Sie sollten es auf jeden Fall versuchen." Ist die Kirche etwa gierig?

Käßmann: Wenn Sie diesen Witz nehmen, ist sie eher pfiffig. Aber ernsthaft: Kirche hat mit Geld zu tun. Wir leben ja nicht in einem luftleeren Raum. Und Kirchensteuern sind keine Zwangsabgaben, sondern Mitgliedsbeiträge.

SPIEGEL ONLINE: Mitgliedsbeiträge, mit denen nicht immer sauber umgegangen wird. Die Oldenburgische Landeskirche hat Millionen Euro verzockt, weil sie in Papiere der Pleitebank Lehman Brothers investierte.

Käßmann: Die evangelische Kirche legt das Geld grundsätzlich konservativ, nach ethischen Kriterien und bei lokalen Sparkassen, Volksbanken und Kirchenbanken an. Wir haben in der Krise kein Geld verloren. Der Oldenburger Fall ist eine absolute Ausnahme, die allerdings belastend ist.

SPIEGEL ONLINE: War das Gier mit Gottes Segen?

Käßmann: Natürlich nicht, der Finanzchef wollte sicher das Beste.

SPIEGEL ONLINE: Das sagen alle.

Käßmann: In diesem Fall glaube ich es auch, weil ich ihn kenne und den Bischof auch.

SPIEGEL ONLINE: Was ist für Sie Gier?

Käßmann: Kein Maß mehr zu kennen. Nehmen Sie Manager, die meinen, eine Millionenabfindung irgendwie verdient zu haben, während gleichzeitig Mitarbeiter entlassen werden...

SPIEGEL ONLINE: ...von der Abfindung spenden Sie aber vielleicht einen Teil...

Käßmann: ...schön, das würde mich freuen. Aber trotzdem: Stellen sich diese Menschen bewusst die Frage, ob sie so viel Geld wert sind? Ich bin da skeptisch. Das Argument, das ich immer höre, Manager würden 16 Stunden am Tag arbeiten, zieht doch nicht. Landwirte, Selbständige und Pfarrer tun das auch.

SPIEGEL ONLINE: Waren Sie noch nie gierig?

Käßmann: Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern. Ich finde das auch eine äußerst unangenehme Charaktereigenschaft.

SPIEGEL ONLINE: Warum haben die meisten Menschen - anders als die EKD-Ratsvorsitzende Käßmann - so oft den Eindruck, ihnen stünde mehr zu?

Käßmann: Viele Menschen möchten ihren Lebenshunger materiell stillen. Aber man kann sich noch so viele Designerklamotten, Luxuskarossen und Traumhäuser kaufen - das Leben wird dadurch nicht gehaltvoller. Wer immer mehr will, wird nur noch unzufriedener.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben eine "Ethik des Genug" gefordert. Klingt eher nach Predigt als nach Praxis.

Käßmann: Leider. Weil alle immer alles wollen. Die Deutschen haben tausendfach Schlange gestanden, um 2500 Euro für ein neues Auto zu bekommen. Das ist doch verrückt. Der Slogan "Geiz ist geil" konnte wohl nur so erfolgreich sein, weil er einen Urinstinkt der Menschen angesprochen hat. Aber schon die Bibel sagt, dass Geiz nun wahrhaftig keine sympathische Eigenschaft ist.

SPIEGEL ONLINE: Wo fängt Geiz an? Wenn man im Taxi von 12,80 Euro nur auf 13 Euro erhöht?

Käßmann: Das kommt drauf an, wie viel Geld man hat. Geiz misst sich nicht in Cent. Wer gut verdient, würde hoffentlich 15 Euro geben. Wenn jemand, der nicht so viel hat, 13 Euro zahlt, ist das vollkommen angemessen. Da geht es um Relationen und nicht um absolute Zahlen.

SPIEGEL ONLINE: Geben die Reichen in Deutschland genug von ihrem Geld ab?

Käßmann: Das ist unterschiedlich. Übrigens: Reichtum an sich wird in der Bibel nicht verurteilt. Die entscheidende Frage ist, ob jemand versucht zu raffen oder ob er teilen kann. Und wer heute gutes Geld verdient und abgesichert ist, müsste ein Gefühl von Dankbarkeit haben. Stattdessen wollen die meisten mehr Netto vom Brutto.

SPIEGEL ONLINE: Sie nicht?

Käßmann: Nein. Die Starken müssen für die Schwachen einstehen. Ich bin froh darüber, in einem Land zu leben, in dem es Schulen, Krankenhäuser und Straßen für alle gibt. Diese innere Haltung vermisse ich oft bei den Eliten des Landes. Ein bedeutender Konzernchef hat mir einmal mit gönnerhaftem Unterton erzählt, er zahle so viel Kirchensteuer, dass die katholische Kirche davon zwei Pfarrer bezahlen könne.

SPIEGEL ONLINE: Und was haben Sie ihm gesagt?

Käßmann: Er solle stolz darauf sein, das sei doch großartig, dass er so viel für die Kirche leisten kann.

SPIEGEL ONLINE: Und hat's gewirkt?

Käßmann: Ich hatte zumindest den Eindruck.

SPIEGEL ONLINE: Wir würden gerne mit Ihnen prominente Managerfälle auf moralische Bedenklichkeit prüfen. Fangen wir mit Utz Claassen an. Als er den Energiekonzern EnBW verließ, wurden ihm 400.000 Euro Pension jährlich bis zum 63. Lebensjahr versprochen, obwohl er erst 44 Jahre alt war.

Käßmann: Da kann ich nur sagen, dass ich ein schales Gefühl dabei hätte. Ich kann mir schwer vorstellen, fürs Nichtstun Hunderttausende Euro pro Jahr zu bekommen.

SPIEGEL ONLINE: Der ehemalige Telekom-Vorstand Karl-Gerhard Eick wechselte im vergangenen Jahr aus einem sicheren Job auf den Chefposten des Arcandor-Konzerns, der von der Pleite bedroht war. Obwohl das Unternehmen wenige Monate später Insolvenz anmeldete, soll Eick sein Gehalt in Höhe von 15 Millionen Euro in vollem Umfang erhalten. 2,5 Millionen Euro davon will er spenden.

Käßmann: Das ist schön, aber ich finde, die Verantwortung für das Unternehmen bedeutet, die eigene Schaffenskraft und derartige Summen dafür einzusetzen, damit der Betrieb bestehen und die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Millionenzahlungen lassen sich mit dieser Vorgabe kaum in Einklang bringen. Da geht es doch auch um Gewissensfragen.

SPIEGEL ONLINE: Hat er gewissenlos gehandelt?

Käßmann: Das Gewissen muss jeder Mensch selbst prüfen. Aber es gibt meines Erachtens keinen verantwortbaren Anspruch und auch kein Recht auf eine so gigantische Summe. Maßhalten und eine gewisse Demut sind gute menschliche Eigenschaften.

SPIEGEL ONLINE: Bleibt noch der ehemalige Post-Chef Klaus Zumwinkel.

Käßmann: Ich verstehe nicht, wie jemand, der sein Geld hier nicht versteuert hat und dafür bestraft wird, erklärt, er habe das Vertrauen in die deutsche Justiz verloren.

SPIEGEL ONLINE: Was glauben Sie - sind die Zumwinkels, Eicks und Claassens für die Wirtschaftselite repräsentativ oder handelt es sich nur um Exzesse?

Käßmann: Ich bin überzeugt, dass Maßlosigkeit die Ausnahme ist. Ich erlebe bei vielen Unternehmern gerade aus dem Mittelstand, dass sie sich an christlichen Werten wie Nächstenliebe und Solidarität messen und sehr verantwortlich handeln. Ich war erst vor kurzem auf dem 40. Geburtstag einer erfolgreichen Managerin eingeladen. Sie wollte keine Geschenke, sondern Spenden für ein Sozialprojekt.

SPIEGEL ONLINE: Trotzdem gibt es in der Bevölkerung das allgemeine Empfinden einer Ungerechtigkeit: "Die da oben, wir hier unten." Aber handelt der sogenannte kleine Mann auf der Straße wirklich moralischer als der Manager?

Käßmann: Ich habe einen moralischen Anspruch an jeden in der Gesellschaft. Top-Manager und Politiker haben aber mehr Verantwortung, weil sie Vorbilder sind.

SPIEGEL ONLINE: Wie kann ich mich denn als Individuum für das Gemeinwohl einsetzen?

Käßmann: Zum einen gilt: Wer viel hat, der darf viel geben. Reiche Deutsche sollten ihr Geld für die Armen einsetzen und nicht auf Liechtensteiner oder Schweizer Konten schaffen. Und zum anderen muss es eine funktionierende Zivilgesellschaft geben.

SPIEGEL ONLINE: Das heißt?

Käßmann: In den USA stehen die ehrenamtlichen Tätigkeiten bereits bei Schulkindern im Zeugnis. Das finde ich sinnvoll. Es sagt doch sehr viel über eine Person aus, wenn sie sich eigentlich nur für sich selbst interessiert.

SPIEGEL ONLINE: Muss sich jeder Mensch für das Allgemeinwohl einsetzen?

Käßmann: Wer in diesem Land lebt, hat eine gewisse Verpflichtung. Es gibt natürlich Menschen, bei denen das schwieriger ist. Wer Berufsanfänger ist und gerade eine Familie gründet, hat andere Probleme. Aber auch er kann etwa durch sein Einkaufsverhalten etwas tun - zum Beispiel fair gehandelten Kaffee kaufen.

SPIEGEL ONLINE: Ist es unmoralisch, zu Kik oder Lidl zu gehen, wo Verkäuferinnen schlecht bezahlt und Lieferanten zum Preisdumping gezwungen werden?

Käßmann: Ich finde es schade, dass viele Menschen zum Discounter gehen, weil es dort am billigsten ist. Aber ich verurteile niemanden, weil viele Menschen auch mit sehr wenig Geld haushalten müssen.

SPIEGEL ONLINE: Eine politisch sehr korrekte Antwort. Aber noch mal: Wann darf ich denn zum Discounter gehen?

Käßmann: Wenn jemand arm ist und mit dem eigenen Geld knapp ist, habe ich dafür Verständnis.

SPIEGEL ONLINE: Das heißt: Wenn ich es mir theoretisch leisten kann, mehr als ein paar Euro für ein T-Shirt auszugeben, ist es unmoralisch, bei Kik einzukaufen?

Käßmann: Sie wollen ganz klare Anweisungen für jeden Fall. Das ist nicht so einfach. Als Protestantin glaube ich, dass jeder Mensch individuell vor Gott verantwortlich ist. Ich beurteile Menschen nicht danach, ob einzelne Schritte moralisch sind oder nicht. Selbst gehe ich nicht zum Discounter, setze mich aber für eine gute Bezahlung der Mitarbeiter und faire Arbeitszeiten ein.

SPIEGEL ONLINE: Muss ich als Christ gegen Atomkraft sein?

Käßmann: Sie stellen Fragen! Ich halte Atomkraft für hochproblematisch, weil der Mensch die Technik nicht wirklich im Griff hat.

SPIEGEL ONLINE: Sie zitieren gerne aus der Bibel, deren Gleichnisse auch nach zwei Jahrtausenden noch immer aktuell sind. Die Grundveranlagungen des Menschen haben sich offenbar nicht geändert. Enttäuscht sie das?

Käßmann: Im Gegenteil. Ich bin eher begeistert, weil die Bibel ein nie ausgelesenes Buch ist und ein Grundverständnis vom Menschen hat, das noch immer gilt. Die Bibel gibt ethische Maßstäbe vor.

SPIEGEL ONLINE: Der wichtigste?

Käßmann: Ein wichtiger wird im Matthäus-Evangelium, Kapitel 7,12 beschrieben: "Alles nun, was ihr wollt, das euch die Leute tun, das tut auch ihnen."

Das Gespräch führte Sven Böll
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
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