Lettlands Wirtschaftsminister übers Sparen "Ohne Opfer geht es nicht"

Bettlerin in Riga: Lettland ist Sparvorbild, hat aber auch das höchste Armutsrisiko der EU
Foto: � Ints Kalnins / Reuters/ REUTERSSPIEGEL ONLINE: Herr Minister, Lettland will trotz der Schuldenkrise Teil der Euro-Zone werden. Warum?
Pavluts: Das ist unser Ziel, seit wir 2004 EU-Mitglied wurden. Natürlich mussten die Pläne aufgeschoben werden, als wir in die Krise kamen. Doch auch das Sieben-Milliarden-Euro-Hilfspaket, das wir dann von IWF und EU erhielten, hatte als Hauptziel den Euro-Beitritt. Der ist aber kein Selbstzweck. Das Ziel ist mehr Stabilität, Wachstum, nachhaltige Entwicklung und Integration in die EU.
SPIEGEL ONLINE: Verbinden Sie den Euro wirklich noch mit Stabilität?
Pavluts: Wir verbinden unsere Wirtschaft mit Stabilität. Euro-Mitglied zu sein, bestimmt nicht allein die wirtschaftliche Entwicklung, es ist eine Zutat. Ohne Euro haben unsere Unternehmen höhere Transaktions- und Kreditkosten. Außerdem gibt es Spekulationen darüber, wie sich unsere Währung entwickelt. Das wollen wir nicht.
SPIEGEL ONLINE: Die lettische Wirtschaft wächst derzeit mit rund fünf Prozent. 2008 hingegen wäre sie beinahe pleite gegangen. Wie wollen Sie wissen, dass es sich nicht auch diesmal um ein Strohfeuer handelt?
Pavluts: Kommen Sie, wir wachsen seit drei Jahren! Und das ohne große wirtschaftliche Ungleichgewichte wie früher. Wir sind eine kleine, offene Wirtschaft, eine junge Demokratie. Es gab Schwierigkeiten und Fehler, etwa zu billiges Geld, eine Immobilienblase und eine zu große Abhängigkeit vom Dienstleistungssektor. Aber ähnliche Fehler gab es auch in großen Ländern - nur dass der Absturz kleine Volkswirtschaften schmerzhafter trifft.
SPIEGEL ONLINE: In der Krise gab es Gehaltskürzungen um bis zu 50 Prozent, die Arbeitslosenhilfe wurde beschnitten…
Pavluts: Nein.
SPIEGEL ONLINE: Wurde sie nicht?
Pavluts: Die Sozialausgaben sind in der Krise sogar gestiegen.
SPIEGEL ONLINE: Auch für den einzelnen Bürger?
Pavluts: Das kommt auf den Bürger an. Manche großzügigen Leistungen wurden reduziert, aber an entscheidenden Stellen wurden Hilfen erhöht oder neu eingeführt - etwa für Essen oder Unterkunft.
SPIEGEL ONLINE: Dennoch hat Lettland die höchste Armutsgefährdung und die vierthöchste Arbeitslosenquote in der EU.
Pavluts: Und das höchste Wirtschaftswachstum.
SPIEGEL ONLINE: Das sagten Sie schon.
Pavluts: Wollen Sie über das halbvolle oder das halbleere Glas sprechen?
SPIEGEL ONLINE: Im Moment über das halbleere. Haben Sie nicht zulasten der Ärmsten gespart?
Pavluts: Unsere Wirtschaft hat fast 30 Prozent ihrer Leistung eingebüßt - stellen sie sich vor, das würde in Deutschland passieren! Natürlich haben massive Entlassungen und Arbeitslosigkeit dramatische soziale Konsequenzen. Die Annahme, das könne ohne große Opfer auf allen Ebenen gehen, ist unverständlich. Einige der Regierungen im Rest von Europa scheinen diese Opfer auf den Sankt Nimmerleinstag verschieben zu wollen und treiben ihre Länder damit tiefer in die Abwärtsspirale. Das haben wir durch schnelles, manchmal hartes Handeln verhindert. Jetzt zahlt es sich aus: Die Löhne und der Konsum steigen, die Arbeitslosigkeit nimmt ab, und wir haben bereits beschlossen, die in der Krise erhöhten Steuern wieder zu senken.
SPIEGEL ONLINE: In der Krise haben Sie Ihre Währung nicht abgewertet - obwohl der IWF das empfahl. Stattdessen haben sie eine sogenannte interne Abwertung über die starke Senkung von Löhnen und Preisen gewählt. Sehen Sie das als Vorbild für Euro-Länder in Südeuropa?
Pavluts: Eine Abwertung schien für uns kein guter Weg, da der größte Teil unserer privaten Darlehen und Firmenkredite in Euro aufgenommen wurden. Eine Abwertung hätte diese Schulden stark ansteigen lassen. Dasselbe gilt für den größten Teil unserer Importe. Über die interne Abwertung haben wir unsere Wettbewerbsfähigkeit wieder voll hergestellt.
SPIEGEL ONLINE: Kann ein Land wie Griechenland das nachmachen?
Pavluts: Ich weiß nicht. Wir sind ein kleines Land und sehr beweglich. Außerdem ist unsere Gesellschaft viel geduldiger als manch andere. Das mag mit unserer Vergangenheit als Sowjetrepublik zu tun haben. Die Bürger haben schon Schlimmeres gesehen, wir haben keine 50 Jahre wachsenden Wohlstands hinter uns.
SPIEGEL ONLINE: Womit kann die lettische Wirtschaft in der EU punkten?
Pavluts: Zunächst einmal unsere Lage. Wir waren schon immer die Membran für Handel zwischen Ost und West. Wir können Produkte und Dienstleistungen mit westlicher Qualität zu besonders günstigen Preisen bieten. Und ähnlich wie Dänemark oder Schweden sind wir auf dem Weg, ein sehr agiler Nischenspieler auf dem Weltmarkt zu werden.
SPIEGEL ONLINE: Bleibt Lettland nicht ziemlich anfällig, wenn es vor allem Zulieferer für größere Länder ist?
Pavluts: Exportgetriebenes Wachstum ist nie ohne Risiko. Aber welche Wahl hat eine kleine Volkswirtschaft? Länder wie Deutschland oder Polen können sich auf ihren Konsum stützen, wir nicht. Unsere Stärke kommt aus Allianzen mit erfolgreichen Ländern - wie Schweden, Russland oder Deutschland.