Terrorfinanzierung EU lässt Geldflüsse in IS-Gebiete zu

Die EU könnte Geldflüsse des "Islamischen Staats" effektiv unterbinden - das geht aus Gutachten des Bundestages hervor, die dem SPIEGEL vorliegen. Doch geschehen ist bisher wenig.
Blutige syrische Geldnote in Damaskus

Blutige syrische Geldnote in Damaskus

Foto: © Bassam Khabieh / Reuters/ REUTERS

Der Kampf gegen den Terror wird von der Europäischen Union offenbar nur halbherzig geführt. So könnte die EU mehr dafür tun, die Geldflüsse der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) zu stoppen - zu diesem Schluss kommen die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages. Dies sei "aus technischer Sicht keine Schwierigkeit", heißt es in dem Gutachten, das bereits im März entstanden ist. In einer zweiten Expertise, die dem SPIEGEL ebenfalls vorliegt, schreiben die Fachleute, dass es dafür auch eine rechtliche Grundlage gebe: Die Regierungen der EU-Staaten könnten beschließen, "dass Banken in vom IS besetzten Gebieten vom Zahlungsverkehr mit Banken außerhalb dieser Gebiete isoliert werden". (Diese Meldung stammt aus dem SPIEGEL. Den neuen SPIEGEL finden Sie hier.)

Es sei wichtig, "dass man die Geldflüsse der Terroristen stoppt", hatte Kanzlerin Angela Merkel zwei Tage nach den Anschlägen von Paris im November 2015 gesagt, bei denen 130 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden waren. Doch bis heute ist etwa die Filiale der Commercial Bank of Syria in Rakka, der Hochburg des IS, im internationalen Finanzkommunikationsnetz Swift als aktiv gemeldet . "Dass man angeblich Krieg gegen den Terror führt, aber der IS Geld nach und durch Europa schicken kann, ist absurd", kritisiert der Europaabgeordnete der Linken, Fabio De Masi.

Die Commercial Bank of Syria steht seit 2011 auch auf der Sanktionsliste der EU - allerdings wegen finanzieller Unterstützung des Regimes von Diktator Baschar al-Assad. Inwieweit der IS die Filiale in Rakka für Transaktionen nutzt, ist nicht bekannt. Swift wollte den Vorgang auf Anfrage nicht kommentieren.

Ein Abklemmen der Banken in den IS-Gebieten von Swift könnte nach Ansicht der Experten des Bundestages allerdings mit Schwierigkeiten verbunden sein. So müssen die EU-Staaten im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einstimmig entscheiden. Außerdem geben die Wissenschaftsdienste zu bedenken, dass eine Isolierung der Banken in den IS-Gebieten nur dann verhältnismäßig wäre, wenn es "kein milderes Mittel" gäbe.

Die dritte Komplikation: Die im belgischen La Hulpe ansässige Swift ist eine private Genossenschaft von mehr als 11.000 Banken und Finanzinstituten, die sich selbst als politisch neutral bezeichnet. Ein Rauswurf einzelner Banken müsste mit den Grundrechten von Swift - insbesondere denen auf Eigentum und freie Berufsausführung - sowie den Rechten der betroffenen Institute vereinbar sein, betonen die Experten des Bundestages.

Beispiel Iran

Unüberwindbar wären diese Hürden aber wohl nicht. Denn die Juristen nennen einen Präzedenzfall: Im März 2012 habe Swift seine Kommunikationsdienste für iranische Banken eingestellt, die Ziel von EU-Sanktionen waren. Nach deren Aufhebung Anfang 2016 konnten sich die Banken wieder ins Swift-Netz einloggen.

Zwar fließen über das Swift-Netz selbst keine Geldströme, doch Banken und andere Institute brauchen es, um untereinander Transaktionen durchzuführen. Ein rechtssicherer grenzüberschreitender Zahlungsverkehr ist ohne Swift praktisch unmöglich. Entsprechend hart würde ein Rauswurf die Banken in den IS-Gebieten treffen.

Die EU-Kommission hatte erst vergangene Woche angekündigt, den Kampf gegen die Terrorismusfinanzierung zu verschärfen. EU-weit einheitliche Regeln sollen ein leichteres Vorgehen gegen Geldwäsche und Finanzierungsquellen extremistischer Organisationen ermöglichen. Zudem sollen Behörden Verdächtige bei der Ein- und Ausreise auch bei Beträgen unterhalb der anmeldefreien Höchstmenge von 10.000 Euro in bar kontrollieren dürfen. Auch Wertsachen in Postpaketen oder Frachtsendungen sollen künftig geprüft werden.

Die EU-Staaten und das Europaparlament müssen den Vorschlägen noch zustimmen, damit sie in Kraft treten können. Das soll voraussichtlich im ersten Halbjahr 2017 geschehen.

Derzeit hätten Justiz und Strafverfolgung gerade bei umfangreicheren Geldwäschedelikten "große Schwierigkeiten", erklärte der für die Sicherheitsunion zuständige EU-Kommissar Julian King. Die Anzahl der Ermittlungsfälle, die mehrere Mitgliedstaaten betreffen, liegt nach Angaben der Kommission zwischen 10 und 70 Prozent - je nachdem, welches EU-Land betroffen sei. Eine noch deprimierendere Zahl nannte EU-Justizkommissarin Vera Jourová: Von den Profiten Krimineller und Terroristen seien geschätzte 98 Prozent bisher nicht konfisziert.

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