
Künftiger US-Präsident vs. CDU-Vorsitzender Lässt Biden die Deutschen bald alt aussehen?


Der designierte US-Präsident Joe Biden (im September 2019): Da kommt eine Menge an Wende zusammen
Foto:Joshua Lott / Getty Images
Noch wirkt in unseren Köpfen, was wir in Bildern gerade aus Washington übermittelt bekommen haben. Von Büffelfellträgern und quäkend-schimpfenden Präsidenten. Von Leuten, die sich gegenseitig für Vollidioten halten. Und von politischen Entscheidungen, die, sagen wir, etwas aus der Zeit gefallen zu sein scheinen – wie etwa der Ausstieg aus allem, was das Klima noch retten könnte. Oder Last-Minute-Hinrichten. Oder präsidiales Hätscheln von Milliardären.
Während bei uns die Stetigkeit in Beton gegossen zu sein scheint, sich fast alle einig sind, wenn es um Corona-Masken geht, wir klimagerecht Sachen wie den Kohleausstieg machen, gegen sozialen Unmut den Mindestlohn anheben und die Regierungschefin nach 16 Jahren noch total beliebt ist. Märchenhaft. Nur dass sich die Dinge im Märchen auch gelegentlich verkehren – und aus Prinzen schon mal Frösche werden.
So etwas könnte gerade passieren – auch wenn es in der Wahrnehmung vom letzten Trump-Zucken noch überlagert wird. Gut möglich, dass die Amerikaner mit Joe Biden als neuem Präsidenten in Kürze schon als die dastehen, die am eindrucksvollsten das tun, was in diesen Zeiten am besten ist. Und Deutschland zunehmend alt aussieht. Ob es so kommt, hängt auch davon ab, wen die Regierungspartei CDU am Wochenende zum neuen Chef bestimmt. Unauffallend historisch.
Nimmt man zum Maßstab, was mit hoher Wahrscheinlichkeit die Herausforderungen der Zeit sind, kommt Trump natürlich nicht gut weg – ob bei der Prävention von Klimakrisen, dem Abbau gesellschaftlicher Spaltungen, der internationalen Lösung internationaler Probleme oder bei der Umkehr des Trends hin zu einer immer stärker von Finanz- statt Realwerten geprägten Wirtschaft, in der in Corona-Notjahren einsam die Aktien boomen.
Der Mann baute Klimabehörden ab, trat aus Pariser wie anderen internationalen Verträgen aus und hat Kohlekraftwerke oder Ölförderungen gepusht. Zwar sind die Löhne in den Jahren seit Amtsantritt erstmals wieder spürbar schneller gestiegen (was auch anderswo so war). Gleichzeitig wurden die Reichen aber steuerlich weiter beschenkt – und das Kaufen von Aktien noch ein Stück attraktiver, ohne dass dies die Wirtschaft real produktiver gemacht hat.
All das ist nur gerade in der Endphase, und je näher der Moment rückt, in dem Joe Biden kommende Woche vereidigt wird, desto mehr lässt sich erahnen, wie sehr sich in den USA bald die Vorzeichen ändern – spätestens seit die Demokraten nun auch de facto die Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments haben. Was bis vergangene Woche nicht sicher war. Dabei geht es nicht nur um die unmittelbaren Milliardenhilfen in der Corona-Krise, samt 2000-Dollar-Schecks für jeden Amerikaner, die der neue US-Präsident gerade angekündigt hat.
Würde Biden in etwa das umsetzen, was er in seinem Programm angekündigt hat, käme eine Menge an Wende zusammen. Dazu zählt die hoch symbolhafte Rückkehr zum Pariser Klimaabkommen wie die geplante Subventionierung des Ausstiegs aus der einen oder anderen Ölförderung, ebenso wie die Anhebung des Mindestlohns auf 15 Dollar. Nach Plan will Biden in den nächsten zehn Jahren enorme drei Billionen Dollar in die heruntergekommenen Verkehrswege, den Klimaschutz, den Ausbau staatlicher Wohnungen für Ärmere und etliches anderes investieren. Dazu ähnliche große Summen, die ins angeschlagene Gesundheitssystem oder Schulen gehen sollen.
Würde all das real, so die Pariser US-Expertin Véronique Riches-Flores, stiege die Quote öffentlicher Ausgaben und Investitionen erstmals seit Langem wieder auf Niveaus, wie sie in den Fünfziger- und Sechzigerjahren noch üblich waren – bevor das Dogma vom angeblich nötigen Rückzug des Staates aus allem möglichen Einzug hielt. Das käme einer Zeitenwende gleich, die auch der Wirtschaftskraft Amerikas einen Schub gäbe. Nach Schätzungen der Ökonomin wuchs die Produktivität der US-Wirtschaft in der Nachkriegszeit immer dann besonders eindrucksvoll, wenn auch der Staat ordentlich investierte – und umgekehrt. Ähnliches gelte, wenn die Löhne einigermaßen angemessen zulegten, statt wie in den vergangenen Jahrzehnten stetig an realem Wert zu verlieren.
Dazu könnten laut Bidens Programm heiklere Projekte kommen wie die Wiederanhebung von Steuern für Unternehmen, für deren Senkung Trump ziemlich viele Schulden aufgenommen hat, ohne dass die Entlastung dem Land auf Dauer viel geholfen hätte. Oder eine Besteuerung von Finanzgeschäften – zur Umkehrung des fatalen Trends, wonach es mehr lohnt, in Finanzzauber zu investieren als in reale Werte.
Alles in allem könnte dann ein Wandel herauskommen, der vergleichbar mit dem wäre, den einst Franklin D. Roosevelt in den Dreißigerjahren mit seinem New Deal ausgelöst hat – damals ebenfalls samt etlicher Programme zum Aufbau von Infrastruktur und sozialer Sicherung oder zum Abbau von Reichtumsgefälle und Finanzzauber. Unsicher ist nur, ob die Demokraten sich bei alldem untereinander einig werden. Selbst wenn das eine oder andere Projekt dabei stecken bliebe, könnte der Schub dennoch reichen, um die USA nach vier Trump-Jahren wieder viel fortschrittlicher aussehen zu lassen.
Womit wir bei den Aussichten diesseits des großen Sees sind – und der Wahl zum neuen CDU-Vorsitzenden.
Was die drei Kandidaten zur Lösung der großen Herausforderungen der Zeit vorhaben, klang in den vergangenen Wochen jetzt, sagen wir, nicht ganz so ambitioniert wie bei Biden. Wobei das daran liegen mag, dass alle allen gefallen wollten, damit sie auch gewählt werden. Nur könnte auch sein, dass dahinter eben auch gar keine so große programmatische Wucht steckt. Und zumindest noch nichts, was augenscheinlich taugt, mit ähnlicher Verve wie beim neuen US-Präsidenten die Großprobleme der Zeit zu beheben.
Das eine oder andere droht sogar kontraproduktiv auszufallen – ein Risiko, das sicher bei Friedrich Merz am höchsten ist. Nach dessen Worten muss es in Deutschland bald ja darum gehen, alles (an staatlichen Ausgaben) auf den Prüfstand zu stellen – und auf vieles halt zu verzichten. Um nach Corona 2022 schon wieder ausgeglichene Staatshaushalte zu haben. Vielleicht den Soli für alle abzuschaffen. Und die Steuern für Unternehmen zu senken, weil die angeblich nicht mehr können. Und beim Klimaschutz vor allem auf marktwirtschaftliche Mechanismen zu setzen.
Großer Wurf? Das Mantra, alles auf den Prüfstand zu stellen, klingt nicht ganz danach – um ehrlich zu sein, eher nach dem depressiven Ambiente der deutschen Krise Anfang der Nullerjahre, als die Frage, bei wem jetzt gekürzt werden soll, zu endlosen Kämpfen führte. Und zu einem abrupten Stopp von Investitionsprojekten, weil Kommunen die am einfachsten stoppen können. Mit dem Ergebnis, dass danach die Gesellschaft weiter auseinandergedriftet ist – so sehr, dass selbst Konservative wie Wolfgang Schäuble heute die Spaltung im Land und die Schattenseiten der Globalisierung beklagen – und Deutschland über Jahre viel zu wenig in Infrastruktur, Schulen, Unis, Digitalisierung und Klimaschutz investiert hat. Das kann keiner wirklich wollen.
Es klingt bizarr, nun um alles in der Welt Steuern für Unternehmen senken zu wollen, weil das ja die USA (unter Trump) auch gemacht haben – wenn der neue US-Präsident zugleich alles tun will, um die ökonomisch zweifelhaft teuren Geschenke zumindest teilweise wieder zurückzunehmen. Es ergibt auch keinen Sinn, anno 2021 noch mal Steuern für (ohnehin) Bestverdiener zu senken – wenn es angesichts des schwindenden Vertrauens in Politik dringend darum gehen sollte, wieder mehr Menschen mitzuziehen. So wie es die neue US-Regierung plant.
Auch das Anbeten von marktwirtschaftlichen Kräften hilft wenig in einer Zeit, in der viele Probleme gerade dadurch entstanden sind, dass sich der Staat zu sehr zurückgezogen hat. Beim Klimaschutz auf den Markt zu zählen, ist mutig – nach etlichen Jahren, in denen weder der CO2-Handel noch der freie Wettbewerb um neue Technologien auch nur ansatzweise ausreichend gewirkt haben; und der Staat jetzt mit massiven Investitionen etwa in Ladestationen nachhelfen muss. So wie es der neue US-Präsident nun vorhat.
Klar, Joe Biden ist biologisch nicht auf Anhieb als die Inkarnation des Neuen erkennbar. Das war allerdings Franklin D. Roosevelt seinerzeit auch anfangs nicht. Auch ist noch offen, auf wie viel sich die streitbaren Demokraten einigen können. Die neuen Regierenden in Washington scheinen allerdings sehr viel mehr Kompetenz und Ambition vorzulegen, als so mancher vorher geunkt hat. Und sie müssten schon ganz schön viel ihres Mutes verlieren, um bei der ideellen Kniepigkeit zu landen, die Deutschlands Kandidaten für die Merkel-Nachfolge bisher noch darboten.
Was der neue US-Präsident in den nächsten Monaten vorlegt, könnte die Deutschen bald ziemlich aus der Zeit gefallen wirken lassen – beim Prüfstandstellen, Maß-und-Mitte-Halten, Aktionärshätscheln und Allzu-sehr-auf-die-schöne-Marktwirtschaft-Hoffen. Große Herausforderungen brauchen auch große Investitionen und Programme. Amerika hat die Chance, in ein paar Jahren viel weiter zu sein – ob beim Abbau gesellschaftlicher Spaltung oder im Kampf gegen die Klimakrise.
Wie groß das Risiko ist, entscheidet sich womöglich schon in diesen Stunden.