Designierter EU-Finanzkommissar Hill Mr. Lobby muss nachsitzen

Jonathan Hill: Früher Lobbyist, jetzt Bankenaufseher?
Foto: YVES HERMAN/ REUTERSJean-Claude Juncker, frisch gekürter EU-Kommissionspräsident, hatte eine Idee: Wer bislang am lautesten über eine europäische Aufgabe geschimpft hat, soll genau diese nun erledigen. Also machte er Jonathan Hill aus dem Bankenland Großbritannien zum Bankenaufseher - Hill ist nun designierter EU-Finanzmarktkommissar. Mehr noch: Hill arbeitete zuvor als Finanzlobbyist; er vertrat unter anderem die Interessen der Großbank HSBC oder von Londons Börse, der strengere EU-Finanzmarktgesetze ein Gräuel sind.
Nach Hills Anhörung am Mittwoch im Europäischen Parlament lässt sich sagen: Nicht jede Idee bewährt sich in der Praxis.
Denn die Abgeordneten des Europäischen Parlaments haben Junckers Plan zumindest vorerst einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nach der Befragung Hills bestehen sie auf einer weiteren Fragerunde, vermutlich zu Beginn kommender Woche. Erst dann wollen sie ihm möglicherweise grünes Licht geben.
"Zu blutleer" sei Hills Auftritt gewesen, hieß es fraktionsübergreifend - sogar von Europas Konservativen, die zuvor ihre Unterstützung für den Briten signalisiert hatten. Jakob von Weizsäcker, SPD-Europaabgeordneter im Wirtschaftsausschuss, sagte über Hill: "Er hat sich schlicht nicht getraut, etwas wirklich Substantielles zu sagen." Der FDP-Mann Michael Theurer wetterte: "Hill präsentierte sich ohne Substanz in Detailfragen und leidenschaftslos mit Blick auf das europäische Einigungswerk. Konkrete Fragen nach seiner Lobby-Vergangenheit beantwortete er ausweichend."
Der Ex-Lobbyist plädiert für ein Lobbyregister
Dabei hatte sich der Brite redlich Mühe gegeben, alle Zweifel an seiner europäischen Gesinnung zu zerstreuen. Zu Beginn seines Auftritts parlierte er auf Französisch und Italienisch. Auch als er Fragen beantworten musste, wirkte der geübte Lobbyist äußerlich gelassen und charmant.
Mit ruhiger Stimme betonte er, im Konsens Politik gestalten zu wollen - und mit Interessenvertretern der Finanzindustrie höchstens noch zufällig im Zug zusammen zu treffen. Der Ex-Lobbyist sprach sich für ein Lobbyregister aus und beteuerte, keinesfalls ein Vertreter des Londoner Finanzzentrums sein zu wollen.
Aber Hill hatte außer höflichen Sätzen inhaltlich wenig zu sagen. Eine Kapitalmarktunion will er für Europa entwerfen, doch Details nannte er dazu nicht. Zu Eurobonds konnte er keine Meinung präsentieren. Und mit zahlreichen technischen Begriffen aus dem komplizierten Finanzportfolio schien der Kommissars-Kandidat noch wenig vertraut zu sein.
Kein Wunder, dass eine der ersten Reporterfragen nach der Anhörung doch wieder lautete: "Werden sie nicht nur Interessenvertreter von Großbritanniens Premier David Cameron in Brüssel sein?"
Zu welchem Risiko ist Juncker bereit?
Heftige Vorwürfe musste sich auch der designierte Klima- und Energiekommissar Miguel Arias Cañete anhören. Er war im Vorfeld heftig unter Beschuss geraten wegen Beteiligungen in die Ölindustrie, auch Sexismus wurde ihm vorgeworfen. Dem designierten Kulturkommissar Tibor Navracsics wiederum warfen die Abgeordneten fehlende Glaubwürdigkeit und kulturpolitischen Kahlschlag in seinem Land vor. Navracsics war als ungarischer Justizminister der Architekt mehrerer Gesetze zur Einschränkungen der Medienfreiheit in dem Land. Er ist Mitglied der rechtskonservativen Fidesz-Partei von Regierungschef Viktor Orban.
Wie geht es nun weiter? Dass ein designierter EU-Kommissar nachsitzen muss, ist ungewöhnlich. Zwar könnte Hill nach der neuerlichen Fragerunde noch bestätigt werden. Ebenso denkbar ist aber auch, dass die Abgeordneten ihn zwar vielleicht nicht als Kommissar ablehnen - aber doch als nächsten EU-Verantwortlichen für die Finanzaufsicht.
Dann müsste Kommissionspräsident Juncker entscheiden, ob er das Risiko eingehen will, Hill in dieser Position zu belassen - oder ihm eine andere Aufgabe zuweist. Denn das Parlament kann Ende Oktober nur die gesamte neue Kommission ablehnen oder wählen.
Europas Konservative wollen an Hill festhalten, auch um Großbritanniens Premier Cameron nicht weiter zu verärgern. Und europäische Sozialdemokraten mögen sich zwar über die Schlappe für Juncker freuen - verfolgen Hills Nachsitzen aber mit gemischten Gefühlen. Denn am Donnerstagvormittag muss der umstrittene französische Sozialist Pierre Moscovici zum Vorsingen im Parlament antreten.
Er soll Währungskommissar werden, obwohl ihm gerade deutsche Konservative vorhalten, als Finanzminister Frankreichs kein einziges Mal die Maastricht-Kriterien eingehalten zu haben. "Nun kann es auch bei Moscovici hoch hergehen", sagt ein Parlamentsinsider.