Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa Die verzerrte Quote

Jugendprotest in Madrid (9. Mai): Förderung nur nach Alter
Foto: AP/dpaHamburg - In den vergangenen Tagen schien es, als habe die gesamte Bundesregierung die Jugendarbeitslosigkeit als ihr Thema entdeckt: Angela Merkel (CDU) kündigte einen Job-Gipfel für Europas Jugend an, ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) versprach in Portugal ein Kreditprogramm für Firmen, die junge Arbeitslose ausbilden. Ursula von der Leyen (CDU) war nach Madrid gereist, um sich der "drängendsten aller Aufgaben" (Außenminister Westerwelle) anzunehmen. Im Gepäck hatte sie einen Ausbildungspakt, der in den nächsten vier Jahren 5000 spanische Jugendliche in deutsche Betriebe bringen soll. Für die rührige Arbeitsministerin geht es am Dienstag gleich weiter: Auf einem Kongress des sonst nicht immer als Arbeitnehmerfreund bekannten Karstadt-Investors Nicolas Berggruen will von der Leyen einen "New Deal" für Europas Jugend vorstellen.
Der geballte Einsatz deutscher Regierungsprominenz für Südeuropas Jugend scheint angemessen: Die Jugendarbeitslosigkeit in den Euro-Krisenstaaten hat schockierende Ausmaße erreicht: Für Griechenland meldete die europäische Statistikbehörde Eurostat Ende 2012 eine Quote von 57,9 Prozent, für Spanien 55,2 Prozent. Jeder zweite Jugendliche ist dort ohne Job. Oder?
Dass diese Interpretation falsch ist, darauf verweist Eurostat in einer versteckten Anmerkung seines Statistik-Glossars : Eine hohe Quote bedeute "nicht zwangsläufig, dass die Gruppe der jungen Arbeitslosen groß ist". Denn sie misst nur den Anteil der Arbeitslosen an allen Jugendlichen, die Arbeit suchen oder haben. Schüler und Studenten bleiben also außen vor - obwohl sie mehr als die Hälfte der unter 25-Jährigen ausmachen.
Einiges spricht dafür, dass die klassische Jugendarbeitslosenquote ein verzerrtes Bild der Realität liefert: Der Anteil der schlecht Qualifizierten unter den jungen Arbeitskräften ist weit höher als unter allen jungen Menschen. Wer mit 14 Jahren die Schule schmeißt, wird zehn Jahre lang als Arbeitskraft - oder wahrscheinlicher: Arbeitsloser - mitgezählt.
Die Intelligentesten eines Jahrgangs dagegen studieren meist auch am längsten - und tauchen solange nicht in der Statistik auf. Wer bis zum Master kommt oder promoviert, ist meist schon 25 oder älter, wenn er auf den Arbeitsmarkt kommt - und bessert die Jugendstatistik gar nicht mehr auf.
Als Alternative weist Eurostat den Anteil der Arbeitslosen an allen Unter-25-Jährigen aus. So betrachtet sieht die Lage der Jugend in Südeuropa immer noch schlimm aus, aber längst nicht so katastrophal: Nach dieser Messmethode war Spanien Ende 2012 trauriger Spitzenreiter - mit knapp mehr als 20 Prozent. Griechenland lag bei 16 Prozent. In Italien waren rund 10 Prozent der Jugendlichen arbeitslos.
Die Krise trifft die nicht mehr ganz Jungen am brutalsten
Arbeitslos ist also nicht jeder zweite junge Spanier, sondern jeder fünfte. Doch auch diese Quote ist katastrophal hoch und unterschätzt das wahre Elend wiederum: Manche studieren nur weiter, weil sie die Trostlosigkeit und das Stigma der Arbeitslosigkeit fürchten. Und selbst die mit Job arbeiten oft zu Niedriglöhnen. Ist es also letztlich nicht egal, ob 20 oder 50 Prozent arbeitslos sind?
Ist es nicht: Aus Sicht von Ökonomen sind die jungen Arbeitslosen gar nicht die größten Verlierer der Krise - andere Gruppen bräuchten noch dringender Hilfe: "Das Alter ist das falsche Kriterium, um zu bewerten, wer förderwürdig ist", sagt Carlos Martin Urriza, leitender Ökonom in Spaniens größter Gewerkschaft CCOO. Über 30-Jährige, die höchstens die Realschule abgeschlossen haben, seien in Spanien häufiger und länger arbeitslos als Hochqualifizierte unter 30. In den Jahren des Immobilienbooms schmissen tausende junge Spanier Schule oder Studium, um auf dem Bau schnelles Geld zu verdienen. Viele sind heute über 30 und fallen damit durchs Raster der deutschen Förderprogramme.
Die Krise trifft die nicht mehr ganz Jungen am brutalsten: "Als die Wirtschaft florierte, nahmen sie billige Kredite auf, bauten Häuser und gründeten eine Familie. Heute sind 88 Prozent der arbeitslosen Familienernäher über 30", sagt Urriza. Jüngere Arbeitslose hätten dagegen meist noch kein Haus, das geräumt werden könne, keine Familie, die sie ernähren müssen. Nach dem Studium wieder bei den Eltern einziehen zu müssen ist schmerzhaft. Seine Kinder hungrig ins Bett schicken zu müssen ist schlimmer.
"Für Europas Politiker haben nur die jungen Leute Priorität"
Auch für Juan José Dolado, Arbeitsmarktexperte an der Universität Carlos III in Madrid, sind nicht die Jungen, sondern die Geringqualifizierten jeden Alters "das wahre Problem". Die Rückkehr an Schule oder Universität sei für Menschen, die Familien versorgen müssen, keine Lösung. Gerade sie bräuchten eine duale Ausbildung nach deutschem Vorbild, forderte Dolado kürzlich in der Zeitung "El País".
Stattdessen, beklagt Gewerkschafter Urriza, seien viele Maßnahmen aus Europa pure Symbolpolitik: Die im Februar beschlossene Beschäftigungsgarantie der EU schließt aus seiner Sicht nicht ohne Grund nur die Arbeitslosen unter 25 ein - die könne man leichter mit unbezahlten Praktika aus der Statistik bugsieren. "Über 30-Jährige auszubilden, ist eine teure und langfristig angelegte Maßnahme - dafür fehlt der Politik der lange Atem", sagt Urriza.
Folglich zielt auch die neue "Strategie für jugendliches Unternehmertum und Beschäftigung" der spanischen Regierung nur auf 16- bis 30-Jährige. "Die Regierung beschließt die Programme, für die sie aus Europa Unterstützung bekommt. Sie nehmen das Geld und stellen keine Fragen", beklagt Gewerkschafter Urriza. "Und für die europäischen Politiker haben eben nur die jungen Menschen Priorität."