Kernkraft Energieriesen werben offen für längere Atomlaufzeiten

Atomkraftwerk Grohnde: Das Zerren um längere Laufzeiten hat begonnen
Foto: ddpBerlin/Düsseldorf - Die Reaktion auf den schwarz-gelben Wahlsieg kam prompt: Angesichts des bevorstehenden Regierungswechsels haben bereits zwei Energiekonzerne für Laufzeitverlängerungen bei Atomstrom plädiert.
RWE-Chef Jürgen Großmann setzt sich vor allem für einen weiteren Betrieb des Atomkraftwerks Biblis ein. "Ich glaube, man sollte technische Anlagen so lange nutzen, wie sie sicher sind", sagte er am Dienstag in der ARD. Auf die Frage, ob die beiden seit einiger Zeit in die Kritik geratenen Kraftwerksblöcke Biblis A und B sicher seien, sagte er: "Ja selbstverständlich sind sie sicher." In den Niederlanden gebe es einen baugleichen Reaktor mit einer Laufzeit von 60 Jahren. Biblis A und B sollen nach den Vorstellungen des bisherigen SPD-Umweltministers Sigmar Gabriel im Laufe dieser Legislaturperiode abgeschaltet werden.
"Kernenergie ist Teil einer Energiepolitik, ist Teil eines Energiemixes", warb Großmann. "Ich glaube, dass man über die Laufzeitverlängerung aller Kraftwerke reden sollte." Dadurch werde ein Mehrwert generiert, der etwa für die Modernisierung der Leitungsnetze oder für den Ausbau der Windkraft eingesetzt werden könne. Die Betreiber seien bereit, einen Teil der zusätzlichen Gewinne abzugeben, wie dies Union und FDP fordern. Als Größenordnung komme dazu "ein dicker zweistelliger Prozentsatz" infrage, sagte der RWE-Chef. "Das muss eingebettet werden in eine ganzheitliche Betrachtung."
Union und FDP haben sich in ihren Wahlprogrammen eindeutig für eine Änderung des 2002 unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Atomausstiegs ausgesprochen. Um die Bedenken der Bevölkerung abzumildern, rechnen Branchenexperten aber damit, dass die Versorger einen großen Teil der zu erwartenden Zusatzgewinne wieder abgeben müssen. Vor der Wahl hatten CDU und FDP angekündigt, bis zu 50 Prozent der Gewinne aus zusätzlicher Atomstromproduktion abschöpfen zu wollen.
Bernotat rechnet mit Wende in der Atompolitik
Auch E.on-Chef Wulf Bernotat steht für Gespräche mit der künftigen schwarz-gelben Bundesregierung über Gegenleistungen für längere Laufzeiten der Kernkraftwerke bereit. "Natürlich haben wir uns auf dieses Szenario eingestellt und sind darauf vorbereitet, uns einzubringen", sagte der Vorstandsvorsitzende des größten deutschen Energiekonzerns im Gespräch mit dem "Handelsblatt". "Wenn es solche Gespräche gibt, werden wir konkret werden."
Er ist aber davon überzeugt, dass die Kernenergie nach dem Regierungswechsel wieder eine Zukunft im Energiemix haben wird. "Dieses Thema kann jetzt sachlich und ideologiefrei angepackt werden. Die Parteien haben sich klar dafür ausgesprochen, die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern", sagte Bernotat.
"Der volkswirtschaftliche Nutzen ist groß", sagte Bernotat. Natürlich sei es von Vorteil, wenn man Anlagen so lange betreiben könne, wie es technisch machbar ist. Ansonsten müsste viel Geld in Ersatzkapazitäten investiert werden. Bernotat ist sich der Erwartungshaltung in der Politik aber bewusst. "Der Erste fordert Investitionen in erneuerbare Energien, der Zweite in CO2-freie Kohlekraftwerke, der Dritte will Sozialtarife und der Vierte Unterstützung für die energieintensive Industrie. Letztlich ist es eine politische Entscheidung. Wir sind jedenfalls gesprächsbereit."
Energiekonzernen winken riesige Gewinne
Laut Erhebungen der WestLB würden die Stromkonzerne schon bei einer achtjährigen Laufzeitverlängerung beträchtliche Summen einnehmen: Auf RWE würden 5,8 Milliarden Euro entfallen, bei E.on sind es sogar 8,6 Milliarden. Auch Vattenfall und EnBW, die an der Börse aber keine große Rolle spielen, winken Milliardengewinne.
Experten befürchten allerdings, dass sich die Energieriesen ihre Erlöse aus der Atomstromproduktion nur sehr ungern vom Staat abnehmen lassen. "Es stehen harte Verhandlungen an", sagte Josef Auer, Energiespezialist bei DB Research, SPIEGEL ONLINE. Entscheidend für die Zukunft des deutschen Energiemixes sei zudem nicht nur die Frage, wie viel Geld die Regierung den Atomstromproduzenten abzwackt - sondern vor allem auch, in welche Projekte dieses Geld investiert wird. Und gerade in diesem Punkt zeichne sich eine "klare Linie bislang nicht ab".