Klage von spanischem Anwalt "Ratingagenturen haben mein Land zerstört"

Leerstehende Häuser in Spanien: Die Wirtschaft ist angeschlagen
Foto: PEDRO ARMESTRE/ AFPSPIEGEL ONLINE: Herr Boye, bei allem Respekt. Sie sind ein ganz normaler spanischer Anwalt und legen sich mit den drei mächtigsten Ratingagenturen der Welt an. Was versprechen Sie sich von diesem Kampf David gegen Goliath?
Gonzalo Boye: Ich vertrete eine Gruppe spanischer Nichtregierungs- und Verbraucherorganisationen, die dubiose wirtschaftliche Machenschaften aufdecken. Die Ratingagenturen haben Berichte über die Kreditwürdigkeit Spaniens verfasst, die falsch waren. Standard & Poor's, Moody's und Fitch haben damit mein Heimatland zerstört.
SPIEGEL ONLINE: Das ist ein heftiger Vorwurf. Welche Beweise haben Sie?
Boye: Wir haben Daten und Berichte gesammelt, mit denen wir beweisen können, dass die Ratingagenturen rechtzeitig vor Börsenschluss schlechte Bewertungen über die Kreditwürdigkeit Spaniens veröffentlicht haben. Dadurch wurden die Zinsen für Staatsanleihen in die Höhe getrieben. Einige Leute, die davon vorher wussten, haben mächtig profitiert.
SPIEGEL ONLINE: Vor zwei Jahren haben Sie gegen die US-Regierung in einem Guantánamo-Verfahren geklagt. Die spanische Regierung intervenierte damals und wollte das Verfahren stoppen. Rechnen Sie bei der Klage gegen die US-Unternehmen jetzt erneut mit Widerstand von ganz oben?
Boye: Wir verklagen die spanischen Töchter der Ratingagenturen. Außerdem muss uns die Regierung Ernst nehmen. Sehr viele Spanier unterstützen unsere Klage. Durch die schwere Wirtschaftskrise gibt es bei uns vier Millionen Arbeitslose. Kein Politiker kann es sich leisten, diese Unternehmen in Schutz zu nehmen.
SPIEGEL ONLINE: Der Prozess wird viel Aufsehen erregen. Profitieren Sie nicht auch selbst davon?
Boye: Für Anwälte sind Krisen immer gut. Ich persönlich habe kein Problem damit. Aber die Ratingagenturen sind gefährlich für die Gesellschaft. Sie entscheiden, wer gut und wer schlecht ist, wer Geld machen kann und wer nicht.
SPIEGEL ONLINE: Was versprechen Sie sich von der Klage?
Boye: Wir brauchen Transparenz. Jeder soll wissen, wie solche Firmen arbeiten. Wir brauchen staatliche Institutionen, die sie kontrollieren. Wenn ich als Anwalt Mist baue, muss ich dafür geradestehen. Das sollte auch für Ratingagenturen gelten.
SPIEGEL ONLINE: Wie lange wird das Verfahren dauern?
Boye: Der Prozess kann sich über drei Jahre hinziehen. Die Ratingagenturen werden alles versuchen, den Fall hinauszuzögern und uns unter Druck setzen. Bis jetzt schweigen sie.
SPIEGEL ONLINE: Wie hoch schätzen Sie Ihre Chancen ein?
Boye: Wir sind sehr zuversichtlich, zu gewinnen. Alle Wirtschaftsexperten, mit denen wir gesprochen haben, sagen, dass wir im Recht sind. Wenn wir den Fall gewinnen, stehen den Verantwortlichen Haftstrafen von bis zu sechs Jahren bevor. Außerdem müssten sie im Falle einer Verurteilung Strafen in Milliardenhöhe an Spanien zahlen.
SPIEGEL ONLINE: Und das rettet Spanien?
Boye: Uns können nur Fleiß und Überstunden helfen. Wir tragen eine Mitschuld daran, dass wir in der Krise stecken. Wir müssen besser wirtschaften, man könnte auch sagen: Wir sollten ein bisschen deutscher werden.