Aktionsplan Klimaschutz Bundesregierung verschont alte Kohlemeiler

Kohlekraftwerk: CO2-Emissionen stark gestiegen
Foto: Julian Stratenschulte/ dpaHamburg - Vor wenigen Wochen noch versuchte die Regierung, große Energieversorger zum Abschalten alter, CO2-intensiver Kohlemeiler zu bewegen . Zehn Gigawatt sollten sie nach Wunsch der Bundesregierung freiwillig ausknipsen, damit Deutschland sein Klimaziel erreicht. Damit die Republik ihren Ausstoß von Kohlendioxid bis 2020 gegenüber 1990 um 40 Prozent verringert.
Es hatte sich abgezeichnet, dass Deutschland dieses Ziel um fünf bis acht Prozentpunkte verfehlen wird, wenn man einfach so weitermacht wie bisher. Ein nationales Aktionsprogramm Klimaschutz sollte die Ökorepublik wieder auf Kurs bringen.
Nun kursiert ein erster Entwurf dieses Programms - der das heikle Thema Kohle ausspart. Um das Klimaziel zu erreichen, bedürfe es einer "Weiterentwicklung des konventionellen Kraftwerksparks", heißt es in dem Dokument, das SPIEGEL ONLINE vorliegt. Was konkret geschehen soll und wie viel CO2 der deutsche Kraftwerkspark zusätzlich einsparen soll, steht indes noch nicht im Programm. An den entsprechenden Stellen findet sich bislang ein X.
Wie die Bundesrepublik so ihr Klimaziel erreichen soll, ist schleierhaft. Zwischen 62 und 100 Millionen Tonnen CO2 müsste sie nach Einschätzung des Umweltministeriums jedes Jahr zusätzlich einsparen. Allein das Abschalten alter Kohlemeiler sollte 40 Millionen Tonnen bringen.
Kohlemeiler sind die größten CO2-Schleudern des Landes. Seit dem Start des Atomausstiegs laufen die teils uralten Meiler wieder auf Hochtouren und verschlechtern die Klimabilanz der Bundesrepublik. 2011 hatte Deutschland bereits eine Minderung seines CO2-Ausstoßes um 25,6 Prozent gegenüber 1990 erreicht. 2013 entsprach die Minderung gegenüber 1990 laut einer Schätzung des Umweltbundesamtes nur noch 23,8 Prozent. Für diesen Rückschritt seien vor allem die Kohlekraftwerke verantwortlich, heißt es sinngemäß im Aktionsprogramm Klimaschutz.
Dass die Regierung die alten Meiler in ihrem Klimaschutzprogramm vorerst verschont, liegt vor allem an Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Er hatte den Zehn-Gigawatt-Abschaltplan nach massivem Druck von Gewerkschaften und Energiekonzernen vergangene Woche vorerst gestoppt - und positioniert sich seither als Bewahrer des Industriestandorts Deutschland und von Arbeitsplätzen im Energiesektor.
Es mache "keinen Sinn, jetzt eine Debatte über einen quasi zeitgleichen Ausstieg aus der Atomenergie und der Kohleverstromung zu führen", heißt es in einem Manuskript für eine Rede, die Gabriel am Dienstag vor Hunderten Gewerkschaftern des Energiekonzerns Vattenfall gehalten hat. Vor wenigen Wochen hatte sein Ministerium das Abschalten alter Kohlekraftwerke noch unterstützt. Ihre Begründung war, dass in Deutschland und Europa derzeit ohnehin viel mehr Meiler laufen, als es für eine sichere und stabile Versorgung nötig ist.
Nun sagt Gabriel, er halte den Abbau dieser Überkapazitäten auch weiter für sinnvoll. Allerdings solle der Markt dies richten. Der europäische Handel mit CO2-Zertifikaten müsse wiederbelebt werden, damit die Preise für den Ausstoß von Kohlendioxid steigen - und entsprechend die Betriebskosten für besonders schädliche Kohlemeiler. Das Problem mit den CO2-Dreckschleudern soll sich dann von allein erledigen.
Mit einem nationalen Aktionsplan hat das wenig zu tun; es ist eher die Verlagerung der deutschen Klimaschutzprobleme nach Europa. Wie realistisch eine rechtzeitige Reform des Emissionshandels ist, steht zudem in den Sternen, da andere EU-Staaten wie Polen in diesem Punkt seit Jahren mauern.
Wie also will die Bundesregierung Jahr für Jahr 85 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich einsparen? Rund 25 bis 30 Millionen Tonnen CO2 sollen verstärkte Maßnahmen bei der Energieeffizienz beisteuern, rund 10 Millionen Tonnen der Verkehrssektor, unter anderem durch mehr Elektromobilität und schadstoffärmere Autos. Je ein paar weitere Millionen Tonnen CO2 sollen die Vermeidung von Abfall, eine Minderung des Methanausstoßes bei Deponien und strengere Regeln für den Einsatz von Düngemitteln bringen. Klingt gut, reicht aber nicht. Es bleibe eine Lücke von gut 25 Millionen Tonnen, heißt es in Regierungskreisen.
"Es ist krass, wenn der Vorreiter der Energiewende droht, das Klimaschutzziel zu verfehlen", mahnt Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne). "Noch krasser wäre es, wenn Merkel und Gabriel dieses Ziel aufgeben." Zumindest letzteres steht bisher offenbar nicht zur Debatte. Im Manuskript für Gabriels Vattenfall-Rede steht zu lesen: "Wir wollen das Klimaschutzziel im Jahr 2020 erreichen und 40 Prozent weniger C02 emittieren."
Wie das gehen soll, ohne Kraftwerke abzuschalten, weiß momentan wohl niemand.
