Konzept der Regierungskommission Das sind die Folgen des Kohleausstiegs

Kühltürme des Braunkohlekraftwerks im südbrandenburgischen Jänschwalde
Foto: Patrick Pleul/ dpaJetzt ist es beschlossene Sache: Deutschland soll bis spätestens Ende 2038 keinen Strom mehr mit Kohle produzieren. So steht es im Beschluss, den die sogenannte Kohlekommission nach rund 21-stündiger Marathonsitzung am frühen Samstagmorgen vorgelegt hat.
Wenn Regierung, Parlament und Bundesrat den Empfehlungen des 28-köpfigen Expertenrates weitgehend folgen, könnte Deutschland bald grüner, moderner und zukunftsfester werden. Es könnte aber auch große Verwerfungen geben, falls der Kohleausstieg schlecht organisiert wird.
In den Jahren 2023, 2026 und 2029 sollen die Maßnahmen des Kohleausstiegs "einer umfassenden Überprüfung durch ein unabhängiges Expertengremium" unterzogen werden, um gegebenenfalls nachzusteuern.
Damit am Ende alles gut abläuft, legt die Kohlekommission viel Wert darauf, eine Balance zwischen drei zentralen, langfristigen Zielen herzustellen. Der Überblick.
1. Klimaschutz
Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, die eigenen Emissionen bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu reduzieren. Bis 2030 sollen es rund 60 Prozent sein. Der Kohleausstieg soll einen zentralen Beitrag dazu leisten, dass das Ziel für 2030 in jedem Fall erreicht wird - und das nicht mehr pünktlich zu realisierende 2020er-Ziel zumindest so schnell wie möglich.
Die Kommission will den Ausstieg aus der Kohleenergie deshalb stark beschleunigen. Derzeit haben die Kohlekraftwerke in Deutschland zusammen eine Leistung von etwa 45 Gigawatt. Schon bis 2022 sollen zusammengerechnet Kohlemeiler mit einer Kapazität von 12,5 Gigawatt vom Netz gehen. Der deutsche Klimaschutz soll durch die schnelle Herausnahme vieler Kohlemeiler also wieder auf Kurs gebracht werden.
Im Jahr 2030 sollen in Deutschland laut Empfehlung der Kommission nur noch Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 17 Gigawatt in Betrieb sein - wenn man die Sicherheitsreserven für stromarme Zeiten nicht mitrechnet. Das würde, wenn es realisiert wird, einen ebenfalls signifikanten Beitrag leisten, um das Klimaziel für 2030 einzuhalten. Komplett soll der Ausstieg dann bis spätestens 2038 erfolgen, vielleicht auch schon 2035 - wodurch sich die deutsche Klimabilanz noch einmal bessert.
2. Strukturwandel
Die Maßnahmen für den Strukturwandel gliedern sich laut Kommissionsentwurf in zwei Bereiche. Es soll, erstens, Strukturhilfen in Höhe von jährlich 1,3 Milliarden Euro geben, die an konkrete Projekte geknüpft sind. Dazu bekommen die Kohleregionen noch einmal 0,7 Milliarden Euro pro Jahr, bei denen sie frei entscheiden können, wie sie ihre Wirtschaft voranbringen.
Die Strukturhilfen sind nach Empfehlung der Kommission auf die kommenden 20 Jahre begrenzt. Sie belaufen sich insgesamt also auf 40 Milliarden Euro. Das Geld soll vor allem aus bereits bestehenden Fördertöpfen umgewidmet werden, zum Beispiel aus dem Bundesverkehrswegeplan.
Der Strukturwandel soll vor allem über ein sogenanntes Maßnahmengesetz geregelt werden. Es soll die konkreten Projekte aufführen, mit denen in den betroffenen Bundesländern neue Wirtschaftszweige und Jobs geschaffen werden. Ausarbeiten soll die Regierung dieses Gesetz schon bis Ende April.
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Eine wichtige Rolle spielt aus Sicht der Kommission die bessere Anbindung der Kohleregionen an umliegende Wirtschaftsregionen. Auch der Ausbau der digitalen Infrastruktur soll vorangetrieben werden. Dazu wird die Ansiedlung von Bundesbehörden angeregt, mit denen in den nächsten zehn Jahren rund 5000 neue Arbeitsplätze in die Regionen kämen.
Ob manche der noch bewohnten Dörfer rund um die Braunkohle-Tagebaue stehen bleiben können, lässt die Kommission offen. Deren Erhalt hängt stark davon ab, in welchen Regionen zuerst welche Kraftwerke abgeschaltet werden. Man wolle der Regierung in diesem Punkt möglichst wenige Vorgaben machen, sagte Barbara Praetorius, eine der vier Vorsitzenden der Kohlekommission.
Der Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen, der als Symbol für den Widerstand gegen die Kohleenergie gilt, soll möglichst nicht abgeholzt werden. Die Kommission erachtet es als "wünschenswert", diesen Tausende Jahre alten Wald zu erhalten.
3. Wettbewerbsfähigkeit
Bezahlbare Strompreise und die Sicherheit der Stromversorgung sind wichtige Wettbewerbsfaktoren. Das gilt vor allem für die Industrie, die rund ein Viertel der deutschen Wirtschaftsleistung ausmacht. Ihre Gesamtausgaben für Strom sind zwischen 2010 und 2016 von rund 22 auf rund 25 Milliarden Euro gestiegen, durch den Kohleausstieg könnten sie weiter emporschnellen. Auch die Strompreise für Haushalte waren im zweiten Halbjahr 2017 die höchsten in ganz Europa.
Der Kommission ist es wichtig, dass die zusätzlichen Belastungen durch den Kohleausstieg begrenzt werden. Herkömmliche Stromverbraucher wie Haushalte und kleinere Unternehmen sollen nach Sicht der Kommission daher ab 2023 durch eine Reduzierung der Netzgebühren entlastet werden. Kosten für den Steuerzahler: bis zu zwei Milliarden Euro pro Jahr.
Die energieintensive Industrie soll dauerhaft von Kosten entlastet werden, die durch den Preis der CO2-Verschmutzungsrechte entstehen. Die Stromkonzerne reichen diese Kosten bislang an die Industrie weiter. Die Firmen werden dafür bereits jetzt kompensiert, allerdings läuft eine entsprechende Regelung 2020 aus. Sie soll nach Willen der Kommission verlängert und womöglich ausgeweitet werden. Zuletzt betrugen die Entlastungen knapp 300 Millionen Euro pro Jahr.
Zusätzlich soll sich die Bundesregierung dafür einsetzen, ein "beihilferechtliches Instrument" zu entwickeln, um energieintensive Unternehmen noch stärker zu entlasten, die bereits jetzt weitgehend von den Netzgebühren befreit sind.

Um die Gefahr eines sogenannten Blackouts zu vermeiden, soll die Sicherheit der Stromversorgung künftig noch enger geprüft werden - unter anderem durch entsprechende Stresstests. Zudem soll die Genehmigung von umweltfreundlicheren Gaskraftwerken beschleunigt und der Ausbau erneuerbarer Energien gesteigert werden. Auch sollen genug Kohlekraftwerke für stromarme Zeiten als Reserve bereitstehen.
Die vom Ausstieg betroffenen Energiekonzerne sollen für die Stilllegungen ihrer Kraftwerke entschädigt werden. Die Entschädigungen sollen "angemessen" sein und Stilllegungen bis 2030 einschließen, heißt es in dem Entwurf der Kommission. Je älter ein Kraftwerk ist, desto weniger soll gezahlt werden.
Die Kommission regt an, sich bei der Höhe der Entschädigung an bereits in der Vergangenheit gezahlten Beträgen zu orientieren. Schon einmal wurden Braunkohleanlagen für den Klimaschutz vom Netz genommen und in eine Reserve überführt. Damals wurden rund 600 Millionen Euro pro Gigawatt Leistung bezahlt.
Auch für die rund 23 Gigawatt Steinkohlemeiler soll es eine Kompensation geben. Da diese Kraftwerke aber weniger Rendite abwerfen, ist eine Stilllegungsprämie über eine Ausschreibung geplant. Dies könnte vereinfacht so funktionieren: Der Bund gibt vor, wie viel Kapazität stillgelegt werden soll. Darauf bewerben sich Kraftwerksbetreiber mit Forderungen nach einer Entschädigung. Wer die geringsten Entschädigungen verlangt oder das meiste CO2 durch die Abschaltung einspart, erhält den Zuschlag.
Die Höhe der Entschädigungen für die Konzerne ist im Abschlussbericht der Kommission nicht näher beziffert. Kai Niebert, Präsident des Naturschutzrings DNR und Mitglied in der Kohlekommission, hatte sie vergangenen Donnerstag auf rund sechs Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 taxiert.
Um die Kompetenz der Bundesrepublik im Zukunftsmarkt erneuerbare Energien zu stärken, sind unter anderem neue Forschungseinrichtungen in Cottbus (BTU) und im Rheinland (RWTH Aachen) für Geothermie und Energiespeicherung und sogenannte Power-to-X-Technologie im Gespräch. Bei Power-to-X werden mit Ökostrom unter anderem CO2-freies Erdgas und CO2-freier Sprit hergestellt - ein wichtiger Baustein für die nächste Stufe der Energiewende.