Gerald Traufetter

Milliarden für Kraftwerksbetreiber Zu viel Kohle für zu wenig Ausstieg

Gerald Traufetter
Ein Kommentar von Gerald Traufetter
Der Bundestag hat das Ende der Kohleverstromung besiegelt. Die Große Koalition hat Widerstände mit vielen Milliarden Euro beseitigt. Sie hätte das Geld besser in die klimaneutrale Zukunft investiert.
Braunkohletagebau in Nordrhein-Westfalen

Braunkohletagebau in Nordrhein-Westfalen

Foto: Federico Gambarini/ dpa

Psychologen kennen ein sonderbares Verhalten des Menschen im Umgang mit Zahlen: Das Gehirn lässt sich bei der Beurteilung von Werten leicht durch andere Summen ablenken. Wer beruflich den ganzen Tag mit Milliardensummen hantiert, der kauft sich nach getaner Arbeit einen Anzug, der eigentlich viel zu teuer ist, weil ihm die realen Dimensionen abhandengekommen sind. Ankereffekt, so nennen das die Verhaltenspsychologen, und dieser Effekt ist sehr mächtig.

Ein bisschen so ergeht es in den Corona-Tagen auch den Politikern in Berlin: Die Summen, mit denen sie hantieren, erreichen immer größere Höhen. Dreistellige Milliardenbeträge beschließen die Volksvertreter binnen Tagen, längst führen sie die Maßeinheit Billionen im Munde. Der Ankereffekt spielte offensichtlich auch beim Kompromiss zum Kohleausstieg eine Rolle.

Das Geld saß locker bei der Großen Koalition, und so schüttete sie Widerstände von jedweder Seite einfach mit weiteren Milliarden zu. Den Anfang machten die Ministerpräsidenten der Ostländer, die nicht nur das Gros der Strukturhilfen von 40 Milliarden Euro  für ihre Regionen an Land zogen. Das war noch vor Corona: Sie liefen zu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), drohten mit der AfD und deren Anti-Klima-Kampagne in ihren Ländern und bekamen ihren Willen.

In den vergangenen Monaten dann versprach Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) den Braunkohleunternehmen mehr als vier Milliarden Euro als Entschädigung. Und noch auf den letzten Metern bekamen die Energiekonzerne auch für ihre Steinkohlekraftwerke diverse Milliarden, etwa damit sie die Meiler umbauen. Dass man sich mit Geld auch Gefolgschaft erkauft, ist in der Politik nicht neu. So sichert man sich Frieden, sozialen wie auch juristischen. Nur, dass beim Kohleausstieg die Dimensionen aus dem Ruder gelaufen sind.

Vor allem aber: Die hohen Summen, die der Steuerzahler aufbringen muss, stehen leider in keinem Verhältnis zum Nutzen, den das viele Geld fürs Klima erbringt. Das zeigt sich insbesondere bei der Braunkohle. Deren Verstromung produziert die meisten giftigen Schadstoffe und Treibhausgase. Die Anlagen hätten eigentlich als Erste geschlossen werden müssen. Stattdessen macht nur der RWE-Konzern in den nächsten Jahren einige Blöcke im Rheinischen Revier dicht. Das Gros der Anlagen, insbesondere im Osten, folgt erst weit nach dem Jahr 2030.

Damit weicht die Bundesregierung in ihrem Ausstiegsfahrplan erheblich von den Empfehlungen ihrer eigenen Kohlekommission ab, einem überparteilichen Gremium von Industrie-Arbeitnehmern und Umweltschutzvertretern, die einen deutlich ambitionierteren Pfad vorgeschlagen hatten.

Schuld an der lauen Umsetzung haben vor allem die Ost-Ministerpräsidenten, die die Bundesregierung erpresst haben. Mit dem Vertrag zwischen Regierung und Kraftwerksbetreibern, der nun nach der Sommerpause vom Parlament ratifiziert werden soll, würden nach der jetzigen Regelung Milliardensummen fließen, die viel höher ausfallen als der Schaden, den die Konzerne eigentlich haben.

Denn die Entwicklung auf den Energiemärkten hat längst dafür gesorgt, dass selbst Braunkohlekraftwerke kaum noch Gewinne, viele sogar Verluste erwirtschaften. Das liegt daran, dass erneuerbare Energien immer billiger und die Preise für Emissionszertifikate immer teurer werden. Viele Klimaökonomen weisen darauf hin, dass sich die Kohleverstromung unter diesem Trend ohnehin von selbst erledigt hätte. Im Kohleausstiegsgesetz und dem Entschädigungsvertrag wird dieser Entwicklung nicht Rechnung getragen.

Schlimmer noch: Die Schließungstermine bis 2038 werden darin nun in Stein gemeißelt. Selbst wenn die Klimaziele verschärft werden müssen oder der Ausbau der erneuerbaren Energien die vorzeitige Schließung von Kohlekraftwerken möglich macht - die Abschalttermine können nicht vorgezogen werden. Das würde weitere hohe Entschädigungssummen nach sich ziehen. Im Kohleausstiegsgesetz sind Revisionsklauseln entschärft worden, regelmäßige Zeitpunkte, an denen man prüft, ob nicht schneller ausgestiegen werden kann oder muss.

Dabei haben die Bundesregierung und Kanzlerin Angela Merkel auf internationaler Ebene genau das versprochen: die Klimaziele noch weiter zu verschärfen, weil ansonsten die Verpflichtungen aus dem Pariser Weltklimavertrag nicht einzuhalten sind. Diese Option hätte sich die Regierung mit dem nun beschlossenen Kohleausstiegsgesetz bewahren sollen, insbesondere angesichts der finanziellen Großzügigkeit des Paragrafenwerks.

Wie lange wird die von der Coronakrise ausgelöste Ausgabenorgie der Regierung anhalten? Wann werden die Regierenden beim Geldausgeben wieder auf die Bremse treten? Es wäre fatal, wenn es genau in jenem Moment passieren würde, in dem die Energiewende eigentlich vollendet werden soll.

In den kommenden Jahren steht ein Kraftakt bevor: Die Ökostromproduktion muss ausgebaut, die Stromnetze ertüchtigt, die Elektromobilität gefördert werden. Dafür muss eine Wasserstoffwirtschaft entstehen, weil nur mit diesem Gas sich Luftfahrt, Stahl- und Chemieproduktion von schädlichen CO2-Emissionen befreien lassen.

Das ist die eigentliche historische Aufgabe, die vor uns liegt. In dem Konjunkturprogramm, das der Bundestag in dieser Woche auch beschlossen hat, sind Gelder dafür vorgesehen. Doch das ist zu wenig für diese Herausforderung. Der psychologische Ankereffekt, er müsste wirken, um das Geld für die große Transformation in eine klimafreundliche Zukunft lockerzumachen. Nicht, um das alte System fossiler Energiegewinnung abzuwickeln.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, die Revisionsklauseln im Kohleausstiegsgesetz, die eine regelmäßige Überprüfung möglich machen, seien gestrichen worden. Tatsächlich wurden sie lediglich entschärft. Wir haben die Stelle korrigiert.

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