EU-Einigung über Bankenabwicklung In der Praxis kommt alles anders

Schlange vor einer Bank auf Zypern: Die Insel wird zum Modellfall für die EU
Foto: PATRICK BAZ/ AFPWir schreiben den Sommer 2021. Bundeskanzlerin Ursula von der Leyen hofft auf einen ruhigen Wahlkampf und einen sicheren Sieg ihrer schwarz-grünen Koalition im Herbst. Da platzt die Bombe: Wegen massiven Fehlspekulationen mit Kreditderivaten auf Offshore-Windparks gerät die Deutsche HypoCommerz, nach einer Reihe von Megafusionen das größte Kreditinstitut Europas, in eine bedrohliche Schieflage.
Zum ersten Mal müssten nun die neuen Abwicklungsregeln greifen, die die EU-Finanzminister acht Jahre zuvor beschlossen hatten, in der Nacht vom 26. auf den 27. Juni 2013: Die systemrelevante Deutsche HypoCommerz wird abgewickelt. Die Aktionäre verlieren ihr gesamtes Kapital, die Anleihengläubiger ebenso. Und weil das Geld immer noch nicht reicht, um die Verbindlichkeiten der Großbank zu begleichen, müssen auch die Kunden mit Guthaben von mehr als 100.000 Euro bluten.
Die Steuerzahler können aufatmen - theoretisch
Die Steuerzahler hingegen können aufatmen - theoretisch. Anders als noch in der Finanzkrise von 2007 müssen sie diesmal nicht für die Zockereien der Großbanken geradestehen - theoretisch. Anders als 2008 kann die Bankenrettung deshalb auch nicht ganze Staaten wie Irland oder Spanien in eine Schuldenkrise stürzen - theoretisch.
Doch in der Praxis kommt es anders. Bankenlobby und Ökonomen beschwören einhellig die schlimmen Folgen für die europäische Konjunktur, sollte die Deutsche HypoCommerz abgewickelt werden. Der Präsident des Bankenverbands warnt vor einer "Vertrauenskrise", vor "drohender Kapitalflucht aus dem Euro-Raum" und - infolge - vor einer Kreditklemme, die "gerade den deutschen Mittelstand mit seinen vielen Millionen Arbeitsplätzen schwer treffen könnte". In der "New York Times" schimpft Paul Krugman über die Europäer, die angesichts einer wackeligen Weltkonjunktur aus lauter Prinzipienreiterei ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. Der hessische Ministerpräsident verweist auf die "enorme Bedeutung der Deutschen HypoCommerz für den Bankenplatz Frankfurt".
Von der Leyen beginnt, um den sicheren Wahlsieg zu bangen.
Als dann noch eine französische und eine britische Großbank in ähnliche Schwierigkeiten geraten, verabschiedet man auf einem kurzfristig anberaumten EU-Gipfel eine Ausnahmeregelung: die EU-Staaten übernehmen einen Großteil der Offshore-Schrottpapiere aus den Bilanzen ihrer Banken und überführen sie in eine Bad Bank, gleichzeitig wird die Deutsche HypoCommerz mit einer stillen Einlage des Bundes rekapitalisiert. Aktionäre, Gläubiger und Großkunden bleiben ungeschoren. Von der Leyen verweist in einer nächtlichen Pressekonferenz darauf, dass "kein einziger Euro Steuergeld" verloren sei. Schließlich werde die stille Einlage ordentlich verzinst, "sobald die Deutsche HypoCommerz wieder Gewinn macht". Und auch die Bad Bank habe gute Chancen, mit den Kreditderivaten Plus zu machen, "sobald sich der Markt für diese Papiere wieder erholt hat".
Auf Nachfragen von Journalisten reagiert von der Leyen gereizt: Keinesfalls bedeute die Einigung eine Abkehr vom Prinzip der Gläubigerbeteiligung, "Risiko und Haftung müssen in der Marktwirtschaft immer zwei Seiten einer Medaille sein".
Eine lange Liste gebrochener Regeln
Zurück in die Gegenwart. Was die fiktive Episode zeigen soll: An den Regeln, die sich die EU-Staaten am frühen Morgen des 27.6.2013 für die nächste Bankenkrise gesetzt haben, ist so gut wie alles richtig. Es kann nicht angehen, dass Steuerzahler für die Fehlspekulationen von Banken geradestehen müssen - zumindest nicht, bevor Aktionäre und Gläubiger ihr Geld verloren haben. Und auch wer einer Bank sein Erspartes anvertraut, hat zumindest ab einer bestimmten Summe die Pflicht, sich vorab über deren Geschäftsgebaren zu informieren.
Diesen Weg hat die EU zum ersten Mal in der Zypern-Krise beschritten. Nun soll er, maßgeblich auf deutsches Drängen, zum Regelfall für alle europäischen Großbanken werden.
Doch das Problem steckt im Wort "Regel". Finanzmärkte, Politiker und Bürger haben sich längst daran gewöhnt, dass die EU-Staaten ihre selbstgesetzten Regeln nur so lange beachten, solange sie ihnen in den Kram passen. Die Maastricht-Kriterien waren vergessen, sobald Deutschland mehr Miese machen wollte als erlaubt. Und das Verbot, innerhalb der Währungsunion für die Schulden anderer Staaten zu haften? War in dem Moment Geschichte, als man sich vor den Folgen einer griechischen Staatspleite fürchtete. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Auch der Test für die neuen Bankenregeln wird erst bestanden sein, wenn zum ersten Mal tatsächlich eine Großbank in einem EU-Kernland abgewickelt wird. Nicht auf Zypern, sondern in London, Paris oder Frankfurt. Gegen den gewaltigen Druck der Bankenlobby und trotz aller Risiken für die Konjunktur. Die bisherigen Erfahrungen deuten nicht darauf hin, dass dies jemals passieren wird.