Teurer Reservemarkt für Kraftwerke Der Mythos vom drohenden Stromausfall

Durch die Energiewende werden immer mehr Kohle- und Gaskraftwerke unrentabel. Konzerne wie RWE drohen, sie stillzulegen - und fordern milliardenschwere Reservemärkte, um den Blackout abzuwenden. Dabei lässt sich die Versorgung auch mit den bestehenden Mitteln sichern.
Kohlekraftwerk Mehrum: Energiekonzerne verbreiten dramatische Warnungen

Kohlekraftwerk Mehrum: Energiekonzerne verbreiten dramatische Warnungen

Foto: Sean Gallup/ Getty Images

Hamburg - Ein großes Thema der Koalitionsverhandlungen ist die Energiewende: Wie bringt man die Versorgung der Republik mit grünem Strom voran? Doch darauf kann sich die Politik derzeit kaum konzentrieren. Denn die Energiekonzerne verbreiten teils dramatische Warnungen.

RWE-Chef Peter Terium klagt, Dutzende seiner Kraftwerke rechneten sich nicht mehr. Schon in den vergangenen beiden Wintern sei die Lage angespannt gewesen, sagte er der "Süddeutschen Zeitung" . "Nun gehen überall in hohem Tempo weitere Anlagen vom Netz." Ihm mache das "wirklich Sorgen". E.on warnt vor einer "Stilllegungswelle" und einer "Gefährdung der Stromversorgung".

Doch warum haben die Energieversorger so große Probleme? Und droht Deutschland wirklich der Blackout?

Die erste Frage lässt sich rasch beantworten. Betreiber alter Kohle- und Gaskraftwerke verkaufen insgesamt weniger Strom, weil die neuen Wind-, Solar- und Biogasanlagen ihnen Konkurrenz machen. Und weil das wachsende Stromangebot die Preise drückt, bekommen sie für jede verkaufte Kilowattstunde auch noch weniger Geld.

Die Folgen: Versorger nehmen auf dem Strommarkt teils mehrere Milliarden Euro weniger ein als früher. Dutzende Kohle- und Gaskraftwerke erwirtschaften nicht einmal mehr ihre Betriebskosten; die Versorger erwägen nun, sie abzuschalten.

Geld für Bereitschaftsdienst

Im Prinzip ist das politisch gewollt. Es ist ja Ziel der Energiewende, alte, CO2-intensive Kraftwerke aus dem Markt zu drängen. Das Problem ist nur, dass im Moment zu viele Kraftwerke gleichzeitig unrentabel werden. Darunter auch solche, die man noch braucht, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht.

Abhilfe schaffen soll nach Wunsch der großen Energiekonzerne ein sogenannter Kapazitätsmechanismus: Unrentable Kohle- und Gaskraftwerke sollen Bereitschaftsdienst für stromarme Stunden leisten und diesen bezahlt bekommen.

Das könnte den Weiterbetrieb wichtiger Anlagen sichern, indem die "Differenz zwischen ihren Betriebskosten und Einnahmen" ausgeglichen wird, sagt E.on-Vorstand Leonard Birnbaum SPIEGEL ONLINE. Klingt günstig, doch je nach Modell würde das bis zu mehrere Milliarden Euro kosten. Zahlen müssten die Verbraucher.

Doch sind Kapazitätsmärkte wirklich zwingend nötig?

Auch darauf gibt es eine klare Antwort: Die Stromversorgung lässt sich auf absehbare Zeit auch mit den bestehenden Mitteln sichern, ohne dass der Blackout droht. Man muss nur die Regeln konsequent anwenden.

Das fundamentale Prinzip der deutschen Stromversorgung lautet: Jeder Kunde hat einen Lieferanten, und dieser muss liefern - egal, was kommt. So steht es in der Stromnetzzugangsverordnung.

Überwacht wird diese Pflicht über einen sogenannten Bilanzkreis, ähnlich einem Bankkonto. Liefert der Verantwortliche für den Bilanzkreis zu wenig Strom, rutscht sein Konto ins Minus. Dann gibt der Netzbetreiber Kredit: sogenannte Regelenergie. Spätestens nach einer Viertelstunde muss der Anbieter sein Konto wieder ausgleichen.

Dazu kann er die Elektrizität selbst produzieren oder irgendwo einkaufen. Ein Versorger kann also so viele Kraftwerke abschalten, wie er will - solange er am Markt genug Strom kaufen kann. Sollten viele Kraftwerke abgeschaltet werden, würde Strom teuer. Die verbleibenden Kraftwerke würden wieder profitabel.

Mehrfache Absicherung

Der Markt würde sich also selbst regeln. Schwierig wird es erst, wenn nicht alle Stromlieferanten ihre Pflichten erfüllen. Doch auch für Notfälle gibt es eine Reihe von Reserven, damit die Versorgung nicht gleich zusammenbricht.

Die bestehenden Sicherungen würden nach Ansicht vieler Experten reichen, um die Versorgung stabil zu halten. Das Problem ist nur: Nicht alle Anbieter gleichen ihre Bilanzkreise pünktlich aus oder sichern sich über Reserveverträge ab. Während einer Kälteperiode im Februar 2012 führte das zu ernsten Versorgungsengpässen. Nur die Mobilisierung der letzten Reserven konnte Schlimmeres verhindern.

Die Bundesnetzagentur greift seitdem härter durch. Sie hat eine Reihe von Verfahren gegen mögliche Pflichtverstöße in Bilanzkreisen gestartet . Im September ermahnte sie die Stromnetzbetreiber noch einmal scharf, jede mögliche Verletzung von Verantwortlichkeiten anzuzeigen . Man werde solche Verstöße "künftig ahnden", bekräftigt eine Sprecherin auf Nachfrage.

Die Strafen können hart sein. Verstöße gegen die Lieferantenpflicht kann die Bundesnetzagentur mit bis zu zehn Millionen Euro Bußgeld bestrafen. Der zuständige Netzbetreiber kann dem Lieferanten zudem den Vertrag für seinen Bilanzkreis kündigen - und ihn damit vom Markt abtrennen.

Gelingt es, die Anbieter zu disziplinieren, wird die Versorgung auch künftig sicher sein - selbst wenn einige alte Kraftwerke vom Netz gehen. "Es braucht keine schnelle, überhastete Reform des Strommarktes", schreibt Klaus-Dieter Maubach, Ex-Vorstand bei E.on, in seinem gerade veröffentlichten Buch "Energiewende. Wege zu einer bezahlbaren Energieversorgung". "Sondern nur die entschlossene Anwendung bestehender Regeln."

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