Kritik an Euro-Krisenstrategie Ärger über Musterschüler Deutschland
Hamburg - Gordon Brown beginnt seine Standpauke mit Lob. "Der deutsche Ärger über die Krise in der Euro-Zone ist wohlbegründet", leitet der frühere britische Premier einen Gastkommentar zur Schuldenkrise im "Handelsblatt" ein. Schließlich habe Deutschland Reformen durchgestanden und sich zur stärksten europäischen Wirtschaft hochgearbeitet.
Dann aber liest Brown den Deutschen die Leviten: Die Verantwortung für die Finanzkrise hätten sie auf die USA und Großbritannien abgewälzt, die für die aktuelle Krise auf die Defizitsünder. "Deutschland hat jedwede Schuld für alles, was fehlgelaufen war, abgelehnt", kritisiert Brown.
Doch Deutschland habe die aktuelle Krise sehr wohl mitzuverantworten. Immerhin hätten deutsche Banken die Schuldensünder Griechenland, Spanien, Portugal, Irland und Italien bereitwillig mit Krediten versorgt und deren Schuldenexzesse so mitfinanziert. Es werde "klar, dass deutsche Banken die Getränke spendiert haben, wo immer eine Party stattfand", schreibt Brown. Jetzt aber weigere sich die Bundesregierung, die Konsequenzen zu tragen und der Einführung von gemeinsamen Anleihen, sogenannten Euro-Bonds, zuzustimmen.
Ach, Gordon Brown, mag manch einer denken. Ein Ex-Regierungschef, der noch ein bisschen mitreden und seine eigene Politik ins rechte Licht rücken will. Doch die Kritik des früheren britischen Premiers ist kein Einzelfall.
"Die Deutschen sehnen sich nach Scheiße - aber sie wollen nicht drin sitzen"
Die sonst so trockene Debatte über gemeinsame Anleihen und Sparhaushalte nahm in den vergangenen Wochen zusehends polemische Züge an - und der Buhmann der EU ist immer öfter Deutschland.
Die rechtslastige italienische Zeitung "Libero" druckte eine Zeichnung, die Angela Merkel in SS-Uniform und mit Hitler-Bart zeigte. Und in einem Kommentar der britischen "Daily Mail" hieß es: "Wo Hitler bei der Eroberung Europas mit militärischen Mitteln versagte, haben die modernen Deutschen mit Handel und Finanzdisziplin Erfolg. Willkommen im Vierten Reich." Die "Times" stellte Deutschland als Blockierer hin, als "größtes Hindernis auf dem Weg zu mehr Integration". "Den Euro retten? Schmeißt Deutschland raus!" , titelte die Zeitung. US-Investor George Soros machte die Zögerlichkeit der Deutschen dafür verantwortlich, dass Europa "in eine Existenzkrise" treibe.
Die europäischen Partner verlangen von der Bundesregierung alles gleichzeitig: Sie soll Führung übernehmen, sich aber nicht zu sehr einmischen. Sie soll die Krise konsequent lösen, ihre Partner aber bitte nicht so sehr unter Druck setzen. Lehnen die Deutschen Euro-Bonds ab, werden sie als egoistische Krisengewinner dargestellt, als Unsoziale, die schwächere Partner im Stich lassen. Fordert Deutschland eine EU-weite Schuldenbremse, wehren sich andere gegen Bevormundung.
Die Kritik ist ein Indiz dafür, wie weit der Kontinent noch entfernt ist von der Idee der Vereinigten Staaten von Europa, die derzeit so gern bemüht wird. Vor allem gibt es Sorgen, dass die Union zu deutsch wird. Der britische "Guardian" veröffentlichte kürzlich eine Karikatur. Sie zeigt eine riesige Walküre in goldener Rüstung, die auf den deprimierten Göttervater Zeus hinabschimpft, der die Speise griechischer Götter in Händen hält: "Kein Ambrosia mehr, ab jetzt gibt's Sauerkraut", steht in der Sprechblase.
Noch aggressiver warnte US-Autor Michael Lewis kürzlich in der Zeitschrift "Vanity Fair" vor einem Europa nach deutschem Vorbild. Ausgesprochen provokant rechnet er nach einer Reise quer durch die Bundesrepublik nicht nur mit der Rolle der Deutschen in der Finanz- und Schuldenkrise ab, sondern auch mit deren angeblichem Hang zur Fäkalsprache. Sein Resümee: "Die Deutschen sehnen sich nach Scheiße - aber sie wollen nicht drin sitzen."

Grafiken: Die wichtigsten Fakten zur Euro-Krise
Zwar argumentieren die Kommentatoren unterschiedlich, doch im Kern geht ihre Kritik in dieselbe Richtung: Deutschland soll in der Euro-Krise mehr auf die Befindlichkeiten der anderen Länder eingehen. Ein bisschen "deutscher" will man in der Wirtschafts- und Finanzpolitik durchaus werden - aber eben nur ein bisschen.
Denn die deutsche Strategie funktioniert nicht überall. Sparen, sparen, sparen, predigt die Bundesregierung den hochverschuldeten Staaten. Zusammen mit Frankreich will Deutschland allen Euro-Staaten eine Schuldenbremse verordnen. Doch eine Zwischenbilanz beim Krisenmanagement zeigt bereits, dass ein striktes Spardiktat allein die Krise nicht löst. Griechenland etwa läuft Gefahr, sich totzusparen: Weil die Regierung in Athen die Ausgaben zusammenstreicht, kann sie keine Impulse für die in der Rezession steckende Wirtschaft geben.
In manchen Punkten ist der Kurs der Deutschen auch höchst widersprüchlich: Mitte August verkündete Merkel zusammen mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, dass die Euro-Zone mit einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung wieder auf Kurs kommen soll. Die Länder sollen sich also enger abstimmen. Doch Deutschland selbst, das die Wirtschaftsregierung lange ablehnte, ist von diesem Ziel noch weit entfernt. Gerade in der Exportwirtschaft hat die Bundesrepublik bisher ihre eigenen Ziele verfolgt.
Kaum ein Land profitiert so sehr vom gemeinsamen Währungsraum wie die Bundesrepublik. Deutschland exportiert deutlich mehr Waren als eingeführt werden. Kritiker sehen dadurch einen Nachteil für schwächere europäische Länder. Früher konnten diese ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern, indem sie ihre Währung abwerteten. Das ist mit dem Euro nicht mehr möglich. Deutschland muss sich deshalb den Vorwurf gefallen lassen, mit seinem Handelsüberschuss auf Kosten anderer zu leben.
Die Krise erstickt den Widerstand
Dass nun ausgerechnet der prosperierende Euro-Profiteur Deutschland allen anderen vorschreiben will, wie sie zu sparen haben, ärgert viele. "Die Bundesregierung versucht mit aller Kraft, die deutsche Vorstellung von Haushaltspolitik zu exportieren", sagt Daniela Schwarzer, Europa-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Gordon Brown hat den Kurs der Deutschen angeprangert. Doch Merkels amtierende europäische Regierungskollegen leisten dem deutschen Vorgehen bisher offiziell kaum Widerstand - sie sehen sich ihm ausgeliefert. Denn Politiker in Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien stehen unter Druck. Sie fürchten um ihre Rating-Noten und negative Reaktionen der Märkte und vermeiden deshalb offenen Protest gegen Sparzwänge. "Die notwendige Debatte darüber, ob das deutsche Modell der Schuldenbremse sinnvoll ist und auf andere Länder übertragen werden kann, findet nicht statt", sagt Schwarzer. Und so sprechen die ausländischen Kommentatoren wohl letztlich auch für manch überforderten Krisenmanager, wenn sie ihrem Frust gegen die Deutschen freien Lauf lassen.