Entscheidung im Koalitionsausschuss Die Tücken der Kurzarbeit

Mitarbeiter der Salzgitter AG: Verschiebung der Kurzarbeit hin zur Industrie
Foto:Hauke-Christian Dittrich / DPA
Vielleicht war es diese Entscheidung der Bundesregierung, die vielen Menschen in Deutschland zum ersten Mal klarmachte, dass das Coronavirus nicht nur eine Pandemie, sondern auch eine gewaltige Wirtschaftskrise auslösen würde: Anfang März, Deutschland verzeichnete da insgesamt nicht einmal tausend Infizierte und noch keinen einzigen Todesfall, brachte die Koalition neue Regelungen für die Kurzarbeit auf den Weg. Die Hürden wurden deutlich abgesenkt, auch Leiharbeiter konnten es nun bekommen - und Betriebe mussten keine Sozialversicherungsbeiträge mehr für ihre Kurzarbeiter bezahlen.
Was folgte, war die mit Abstand schwerste Rezession der Nachkriegszeit und eine zuvor nicht für möglich gehaltene Zahl an Kurzarbeiterinnen und Kurzarbeitern: 6,7 Millionen Menschen waren es im Lockdown des Frühjahrs. Auch deshalb ist der deutsche Arbeitsmarkt bislang noch vergleichsweise glimpflich durch die Krise gekommen - diese Menschen sind immerhin nicht entlassen worden, sondern konnten - unterstützt durch das Kurzarbeitergeld des Staats - den Job behalten.
Inzwischen dürften es zwar deutlich weniger Beschäftigte, aber immer noch einige Millionen sein, die die Kurzarbeit vor dem Fall in die Arbeitslosigkeit bewahrt. Und sie wird wohl noch recht lange benötigt. Wenn alles gut läuft, könnte die Wirtschaftsleistung frühestens Ende 2021, wahrscheinlich aber erst 2022 wieder das Vorkrisenniveau erreichen.
Allerdings laufen die bisherigen Krisenregelungen bereits zum Ende dieses Jahres aus. An diesem Dienstag steht daher ihre Verlängerung auf der Tagesordnung des Koalitionsausschusses, zudem soll die maximale Laufzeit von zwölf auf 24 Monate erhöht werden. Im Grundsatz sind sich die Spitzen von Union und SPD darüber einig - und werden die Verlängerung aller Voraussicht nach auch beschließen. Über die Details aber ringen die Koalitionspartner.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will die Verlängerung mit einem schrittweisen Abbau der Erleichterung im kommenden Jahr verknüpfen. So sollen die Sozialversicherungsbeiträge ab April 2021 nur dann weiter voll erstattet werden, wenn die Betriebe ihre Kurzarbeiter gleichzeitig weiterbilden - ansonsten bekämen sie nur noch die Hälfte erstattet. Die verlängerte Bezugszeit von maximal 24 Monaten soll im März 2022 enden.
Ungewohnt viele Frauen und Niedriglohnempfänger
Insbesondere Finanz- und Wirtschaftspolitiker der Union warnen dennoch vor Fehlanreizen und hohen Kosten. Fraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) will die Hürden wieder erhöhen, "damit Mitnahmeeffekte ausgeschlossen werden" - also um zu verhindern, dass Unternehmen sich einen vergleichsweise geringen Arbeitszeitausfall aus den Sozialkassen bezahlen lassen, den sie eigentlich auch selbst schultern könnten. Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) sagt, die Kurzarbeit sei hilfreich gewesen, "aber auf der anderen Seite ist das natürlich sehr, sehr teuer". Das Instrument ist noch einmal teurer geworden, weil die Koalition im April das Kurzarbeitergeld abhängig von der Bezugsdauer von 60 auf 70 Prozent (nach drei Monaten) beziehungsweise 80 Prozent (nach sechs Monaten) des letzten Entgelts aufstockte. Sind Kinder im Haushalt, gibt es jeweils sieben Prozentpunkte mehr.
Diese Aufstockung war auch eine Reaktion darauf, dass diesmal - im Gegensatz etwa zur Finanzkrise 2009 - viele Beschäftigte in Kurzarbeit gingen, die schon zu normalen Zeiten mit ihrem regulären Einkommen schwer über die Runden kommen: Verkäuferinnen und Kellner, Lageristinnen und Lkw-Fahrer. Eine Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vom Mai bestätigt das. Demnach waren damals Menschen mit niedrigen Einkommen und Schulabschlüssen häufiger in Kurzarbeit als Gutverdiener und Hochqualifizierte. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) vermutet, dass der Anteil der Frauen diesmal ungefähr bei 50 Prozent liegt - in normalen Zeiten sind es rund 20 Prozent.
Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass sich die Struktur der Kurzarbeitenden inzwischen verschoben hat. Mit Sicherheit lässt sich das zwar nicht sagen, weil verlässliche Detaildaten der BA erst mit sechs Monaten Verzögerung vorliegen. Das Münchner Ifo-Institut schätzt die Zahl der Kurzarbeiter in einzelnen Branchen aber auf Grundlage seiner Konjunkturumfrage bei rund 6800 Betrieben. Die Verschiebungen zwischen Mai und Juli sind mitunter deutlich, wie eine Auswahl an Branchen zeigt:
Demnach ist die Zahl der Kurzarbeiter in unmittelbar vom Lockdown betroffenen Branchen - der Gastronomie, dem Einzelhandel und der Verkehrs- und Lagerwirtschaft - deutlich gesunken. In der Industrie allerdings liegt sie inzwischen auf gleichem oder sogar höherem Niveau. Einerseits ist das angesichts des Krisenverlaufs nachvollziehbar: Während Restaurants, Hotels und Geschäfte wieder geöffnet sind, leidet die Industrie weiter unter der weltweiten Rekordrezession und der schleppenden Erholung in vielen wichtigen Absatzländern.
Andererseits vermischt sich gerade in der für die deutsche Wirtschaft zentralen Autobranche die pandemiebedingte Konjunkturkrise mit einer tief greifenden Strukturkrise: dem Wandel vom Verbrennermotor hin zur E-Mobilität. Arbeitgeber und Gewerkschaften warnten schon vor der Coronakrise vor dem Verlust Hunderttausender Arbeitsplätze. Und bereits im vergangenen Jahr war die Kurzarbeit in diesem Wirtschaftszweig signifikant gewachsen.
Beschäftigte sichern - aber den Strukturwandel nicht bremsen
Dadurch erhält ein Argument Gewicht, das Ökonomen gegen eine zu lange Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld vorbringen: Es halte Zombiefirmen am Leben. "Unternehmen, die im Strukturwandel an der Kante stehen, bleiben dort und werden nicht über die Kante gestoßen", warnt etwa Lars Feld, der Chef der Wirtschaftsweisen. Und auch die IAB-Arbeitsmarktexperten stellen fest: "Eine längerfristige Nutzung von Kurzarbeit kann insbesondere einen notwendigen Wandel verzögern, wenn etwa Geschäftsmodelle oder Produktionsweisen überholt sind." Im Endeffekt ist das auch für die vorerst geretteten Beschäftigten schädlich, weil sie womöglich zu spät beginnen, sich einen zukunftsträchtigeren Job zu suchen oder sich dafür fit zu machen - und ihnen dann dauerhafte Arbeitslosigkeit droht.
Bei der Verlängerung der Kurzarbeit gibt es also einen Zielkonflikt: Die reguläre Höchstdauer von zwölf Monaten wird nicht reichen, um Beschäftigte über die gesamte Pandemie hinweg abzusichern - gleichzeitig soll aber der notwendige Strukturwandel nicht verzögert werden.
Arbeitsminister Heil will diesen Konflikt durch die Verknüpfung von Kurzarbeit und Qualifizierung von Beschäftigten lösen. Das IAB hält das für einen sinnvollen Ansatz - und legt zudem eine neue Berechnung vor , die auch die kostenbewusste Union überzeugen könnte: Selbst wenn der Staat nicht nur die Kurzarbeit an sich, sondern auch die elf Milliarden Euro für die Weiterbildungsmaßnahmen bezahlen würde, bekäme er auf lange Sicht 80 Prozent der Gesamtkosten wieder zurück. Denn in der Folge würde nicht nur die Beschäftigung zulegen, sondern auch Löhne und Produktivität - und damit auch die Steuereinnahmen. Kurzarbeit ohne Anreize zur Qualifizierung käme da wohl teurer.
Die Verschiebung der Kurzarbeit hin zur Industrie macht jedoch auch das Unbehagen der Union über die Kosten nachvollziehbar, die aus der Aufstockung des Kurzarbeitergelds entstehen. In der Industrie werden im Schnitt deutlich höhere Löhne gezahlt als im Einzelhandel oder der Gastronomie - wodurch sich auch mit den regulären 60 oder 67 Prozent leichter über die Runden kommen lässt. Zudem gelten in den meisten Industriebetrieben ohnehin Tarifverträge, die eine Aufstockung des Kurzarbeitergelds auf 80 Prozent oder mehr vorsehen. Sehr häufig bliebe für die Beschäftigten in Kurzarbeit also alles beim Alten, wenn künftig nicht der Staat die Aufstockung bezahlt, sondern die Unternehmen, die sich das meist auch trotz der Strukturkrise leisten können.
Leidtragende wären allerdings die verbliebenen Kurzarbeiter in den Niedriglohnbranchen. Sie kommen mit 60 Prozent ihres regulären Lohns tatsächlich oft nicht aus. Womöglich wäre eine andere Variante also sinnvoller: die Aufstockung nicht von der Bezugsdauer abhängig zu machen, sondern vom Einkommen.