Lobbyschlacht um Energiekonzept Hausbesitzer fürchten teuren Sanierungszwang

Plus-Energie-Musterhaus: Ambitionierte Sanierungspläne
Foto: Rolf Haid/ picture-alliance/ dpa/dpawebHamburg - In der Solarsiedlung in Freiburg lässt sich die Ökorepublik der Zukunft schon besichtigen. 60 sogenannte Plus-Energie-Häuser stehen dort am Stadtrand, die Dächer sind mit Solarzellen gepflastert, eine dicke Isolierschicht in den Wänden hält die Gebäude auch im Winter warm. Bis zu 2000 Euro Heizkosten sparen die Bewohner im Jahr, der CO2-Ausstoß ist fast null, die Photovoltaikanlagen produzieren bisweilen mehr Strom, als die Häuser verbrauchen.
Nach Vorstellung der Bundesregierung sollen solche energieeffizienten Siedlungen bald die Norm sein. Die schwarz-gelbe Koalition definiert im Entwurf ihres Energiekonzepts enorm ambitionierte Ziele für Gebäudedämmung und Effizienz (siehe PDF in der linken Spalte). Bis 2050 will sie Deutschland zur Ökohaus-Republik machen. Gebäude sollen bis dahin nahezu klimaneutral sein. Bis 2020 will Schwarz-Gelb den Wärmebedarf um 20 Prozent reduzieren, bis 2050 um 80 Prozent. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Wärmeerzeugung, beispielsweise durch Solarheizungen, soll schnell steigen.
Die Gebäudesanierung ist ein zentraler Bestandteil des Energiekonzepts, für die Regierung ist sie mindestens so bedeutend wie die geplante Umstellung des Strommarkts. Gebäudeeffizienz sei "die wichtigste Maßnahme, um den Verbrauch an fossilen Energieträgern nachhaltig zu mindern und die Abhängigkeit von Energieimporten zu reduzieren", heißt es im Energiekonzept.
Experten stimmen zu. Das Fraunhofer ISE, Europas größtes Solarforschungsinstitut, hat ausgerechnet, dass Gebäude mehr als 40 Prozent der Endenergie verschlingen. Laut Regierungsangaben sind Immobilien für ein Drittel der CO2-Emissionen verantwortlich. Und der Sanierungsbedarf ist riesig. Drei Viertel der Altbaubauten sind hochgradig ineffizient.
Das Fraunhofer ISE hält Einsparungen von 70 bis 80 Prozent durch solares und energieeffizientes Bauen für möglich. Dieses Potential will die Regierung nun rasch heben. Sie plant eine Ökohaus-Verordnung, die für alle Hausbesitzer bindend ist.
Ärger ist programmiert. Denn die Häusersanierung ist für die Verbraucher teuer. Auch wenn sie sich langfristig rechnet - zunächst müssen Hauseigentümer große Summen auf den Tisch lagen. Das Projekt Wärmedämmung hat daher das Potential, die Republik ähnlich stark zu spalten wie die Verlängerung der Atomlaufzeiten.
Masterplan für den Immobiliensektor
Die Regierung hat zahlreiche Vorschläge gemacht, mit denen Deutschland zur Ökohaus-Republik werden könnte:
- Die Energieeinsparverordnung (EnEV) soll 2012 novelliert werden. Ab 2020 müssen demnach die ersten Gebäude saniert werden, zunächst die älteren.
- Wer Zielwerte für Gebäudeeffizienz vorzeitig erfüllt, wird belohnt - zum Beispiel mit Steuervergünstigungen. Wer zu lange braucht, soll bestraft werden. Wie genau, sagt die Regierung im Konzept noch nicht.
- Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm wird wohl wieder aufgestockt. Die Regierung hatte die Bundeszuschüsse für 2011 gerade erst auf 437 Millionen Euro gekürzt. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums sollen künftig wieder bis zu zwei Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung stehen. Die Maßnahme ist allerdings weniger großzügig als sie scheint. Zwei Milliarden entsprechen dem Niveau von 2009.
- Auch das Marktanreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Energien wird aufgestockt. Dieses Programm können beispielsweise Verbraucher nutzen, die sich eine solarthermische Heizung ins Haus bauen. Das Umweltministerium beziffert das Mindestmaß der Förderung auf eine halbe Milliarde Euro. Nach Angaben der Regierung wird das Programm mit zusätzlichen Mitteln von 200 Millionen Euro pro Jahr ausgestattet. 2010 umfasst der Topf insgesamt 380 Millionen Euro.
- Die Regierung will zudem ein Förderprogramm "Energetische Städtebausanierung" bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) auflegen, das kommunale Energieeffizienzprogramme fördert. Das Umweltministerium beziffert den Mindestbedarf der Förderung auf 250 Millionen Euro.
- Das Mietrecht soll so angepasst werden, dass sich Gebäudesanierungen für Vermieter überhaupt lohnen. Sie müssen Gebäudesanierungen durch Aufschläge auf die Kaltmiete finanzieren können - ohne fürchten zu müssen, dass gegen Mieterhöhungen geklagt wird, da die Miete nach der Sanierung über den Mietspiegel steigt.
- Die Energiesteuern im Wärmemarkt werden angepasst. Wer Heizungen mit höherem CO2-Ausstoß nutzt, soll mehr zahlen, wer auf Ökolösungen umsteigt, weniger.
Ökofirmen wittern neuen Milliardenmarkt
Würden diese Maßnahmen realisiert, könnten neue Megamärkte entstehen. Entsprechend positiv ist die Stimmung in manchen Branchen. "Es ist begrüßenswert, dass die Regierung dem Thema Gebäudeeffizienz in ihrem Energiekonzept so viel Bedeutung beimisst", sagt Clemens von Trott vom Fachverband Wärmedämm-Verbundsysteme. Besonders positiv sei das Vorhaben, Bürgern für die Sanierung des eigenen Gebäudes Steuererleichterungen zu gewähren. "Diese Maßnahme ist schon seit Jahren unterschwellig im Gespräch. Sanierungsprojekte werden wesentlich attraktiver, wenn Verbraucher sie über mehrere Jahre hinweg von der Steuer absetzen können. Es ist gut, dass sich die Regierung jetzt dazu bekennt."
Auch der Bundesverband der Solarwirtschaft (BSW-Solar) lobt die Ankündigungen zur Gebäudesanierung. "Beim Ausbau der Solarheizungen gibt es einen großen Nachholbedarf", sagt Kommunikationschef Daniel Wedepohl. "Jede Förderung, die diesen Markt anschiebt, ist positiv." Schon jetzt rüstet sich die Branche für den möglichen Milliardenmarkt - gerade erst hat der BSW-Solar eine große Studie zu Solarheizungen veröffentlicht.
Insgesamt beäugen Branchenvertreter die Ökohaus-Pläne der Regierung aber noch recht misstrauisch. Bislang gebe es nur Absichtserklärungen, sagt Trott. Daraus müssten nun rasch verbindliche Maßnahmen abgeleitet werden.
Neue Lobbyschlacht deutet sich an
Das aber dürfte schwer werden. Schon jetzt hört man das Heulen und Zähneklappern der Wohnungsverbände. Am Dienstag warnte der Branchenverband Haus & Grund vor einer Kostenexplosion für Hausbesitzer. Seine Fachleute beziffern die Kosten für die energetische Sanierung eines in den siebziger Jahren gebauten Einfamilienhauses mit 120 Quadratmetern Wohnfläche auf mindestens 70.000 Euro. Eine neue Lobbyschlacht deutet sich an. "Sobald die Pläne konkret werden, ist mit viel Widerstand zu rechnen", sagt Helmuth Groscurth vom Arrhenius-Institut, einem unabhängigen Think-Tank, der schon das Bundesumweltministerium und den Energiekonzern EWE bei Ökothemen beraten hat.
Selbst ein juristischer Streit scheint programmiert. "Der Zwang zu unwirtschaftlichen Maßnahmen verstößt gegen die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes", warnt Andreas Stücke, Generalsekretär von Haus & Grund. Tatsächlich wäre es ein Eingriff ins Eigentum des Hausbesitzers, wenn man ihn von heute auf morgen zur Sanierung seines Gebäudes verdonnert. Doch Groscurth attestiert der Regierung gute Chancen, mit einer entsprechenden Verordnung durchzukommen. "Durch die Ankündigungen im Energiekonzept ist der Hausbesitzer schon jetzt vorgewarnt", sagt er. "Für eine Ökohausverordnung ab 2020 wäre das wohl früh genug."
Für die Umsetzung ihrer Sanierungszwangspläne wird die Regierung dennoch starke Nerven brauchen. Dass sie die hat, ist bisher nicht erkennbar.
In einem früheren Entwurf des Umweltministeriums für das Energiekonzept findet sich zum Thema Zwangsmaßnahmen jedenfalls noch eine lange Giftliste. Demnach sollen die energetischen Anforderungen für Gebäude ab 2012 um 30 Prozent steigen, die generellen Pflichten, gewisse Gebäudeteile zu modernisieren, auf alle Ein- und Zweifamilienhäuser ausgeweitet werden. Kontrollen und Bußgelder für den Vollzug von Sanierungspflichten sollen verschärft werden. In einer "Erläuterung für die interne Diskussion" schreibt das Umweltministerium, man müsse beachten, dass Standards der Gebäudesanierung auf "massiven Widerstand der Betroffenen" treffen werden.
Im aktuellen Entwurf des Energiekonzepts ist von den konkreten Vorschlägen des Umweltministeriums denn auch nicht mehr die Rede.