Steueraffäre Lobbyisten sollen aus dem EU-Parlament fliegen

EU-Parlament in Straßburg: Manche Lobbyisten sollen draußen bleiben
Foto: Rolf Haid/ dpaSeit Monaten versucht das EU-Parlament herauszufinden, wie Luxemburg und andere EU-Staaten jahrelang internationale Großkonzerne mit Steuervorteilen angelockt haben. Doch die Ermittlungen des "Taxe"-Sonderausschuss gerieten zur Farce: Die EU-Kommission und der Europäische Rat verweigern entscheidende Dokumente, mit teils abenteuerlichen Begründungen.
Auch diverse Konzerne, die von den Steuerdeals jahrelang massiv profitiert haben sollen, blocken ab. Ihre Chefs wollen nicht vor den Parlamentariern aussagen. Der Sonderausschuss kann, anders als etwa ein Untersuchungsausschuss im Bundestag, niemanden unter Zwang vorladen. Doch nun schlagen die Abgeordneten auf andere Weise zurück: Sie wollen die Lobbyisten der Unternehmen, die nicht vor dem Ausschuss erscheinen wollten, aus dem Europäischen Parlament aussperren.
Zugang zum inneren Machtzirkel verlieren
Am Montag haben sich alle Fraktionen außer den Rechtskonservativen auf den Vorschlag des Grünen-Abgeordneten Sven Giegold geeinigt, einen entsprechenden Antrag bei Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) einzureichen. Auf der schwarzen Liste stehen Amazon S.a.r.l., die von Luxemburg aus die deutsche Website des Internet-Versandhandelsriesen betreibt, sowie die britische Amazon-Tochter Amazon.co.uk. Ebenfalls mit dabei: Coca-Cola, Facebook, Fiat Chrysler, Google, Ikea, McDonald's, Walt Disney, Anheuser-Busch, Philip Morris, Walmart sowie die Banken Barclays und HSBC.
Der Entzug der Ausweise, die Zugang zum Parlament erlauben, ist "ein relativ einfacher Akt", sagt Grünen-Politiker Giegold im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Die Chefs der Parlamentsfraktionen könnten das schon auf ihrer nächsten Sitzung im Straßburger EU-Parlament beschließen.
Allerdings wollen es die Mitglieder des "Taxe"-Ausschusses dabei nicht belassen. Sie fordern auch die Löschung der Firmen aus dem gemeinsamen Transparenzregister von EU-Parlament und EU-Kommission. Das wäre eine weitaus härtere Strafe. Denn Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, seine Kommissare und die mächtigen Generaldirektoren der Kommission haben sich verpflichtet, sich ausschließlich mit Vertretern von Firmen zu treffen, die im Transparenzregister verzeichnet sind. Wer von dieser Liste fliegt, verliert den Zugang zum inneren Machtzirkel der EU.
Zwar wären vor einem solchen Rausschmiss einige Hürden zu überwinden, wie Giegold zugibt. Doch er hält einen Erfolg für wahrscheinlich: Der Antrag habe im Parlament breite Unterstützung, und das Verhalten der Unternehmen habe bei den Abgeordneten für erhebliche Verärgerung gesorgt. "Wenn das Parlament sich das gefallen lässt, ist es selbst schuld", sagt "Taxe"-Mitglied Michael Theurer (FDP).
Juncker, Schäuble und drei weitere Finanzminister sagen aus
Ein Erfolg des Antrags erscheint auch deshalb wahrscheinlich, weil in den kommenden Tagen führende europäische Politiker vor dem "Taxe"-Ausschuss aussagen werden. Am Donnerstag soll Kommissionspräsident Juncker die Fragen der Abgeordneten beantworten; am 22. September folgen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und seine Amtskollegen aus Frankreich, Italien sowie Spanien. Die Absagen der Konzernchefs wirken vor diesem Hintergrund noch dreister.
Die Luxemburg-Leaks-Affäre kam im November 2014 ins Rollen: Anhand Tausender vertraulicher Dokumente hatten Journalisten rekonstruiert, wie Luxemburg über Jahre internationale Unternehmen mit Ministeuern anlockte. Auch EU-Kommissionspräsident Juncker steht unter Druck. Er war von 1989 bis 2009 Finanzminister und von 1995 bis 2013 Premierminister Luxemburgs. Die brisanten Steuerdokumente stammen aus der Zeit von 2002 bis 2010. Da auch die Kommission im "Luxleaks"-Skandal ermittelt, werfen Kritiker Juncker einen Interessenkonflikt vor. Um welche Beträge es geht, machte vor Kurzem die Berechnung eines Analysten deutlich, laut der allein dem iPhone-Konzern Apple eine Steuernachzahlung von bis zu 19 Milliarden Dollar droht.
Die Mitglieder des "Taxe"-Ausschusses verlangen seit Monaten die Herausgabe von Dokumenten, die entscheidend zur Aufklärung der Affäre beitragen könnten. Dabei geht es vor allem um die Protokolle der "Code of Conduct"-Gruppe, die beim EU-Rat die Einhaltung der - rechtlich nicht bindenden Regeln - überwacht, die verhindern sollen, dass EU-Staaten sich mit Niedrigsteuern gegenseitig unterbieten. Doch bisher liefen alle Forderungen des Ausschusses ins Leere. Die Grünen drohen deshalb mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, um die Herausgabe zu erzwingen.
Allerdings läuft das Mandat des Sonderausschusses Ende November aus. FDP-Politiker Theurer fordert deshalb eine Verlängerung - um sowohl die "Code of Conduct"-Dokumente zu erhalten als auch die Aussagen von Juncker, Schäuble und den Finanzministern aus Frankreich, Spanien und Italien auswerten zu können.
EU-Bürger sollen an Transparenzbericht mitschreiben
Zugleich läuft eine Initiative, die den Einfluss von Lobbyisten auf EU-Gesetze begrenzen und Interessenskonflikte bei Politikern transparenter machen soll. Giegold wurde vom Parlament mit dem Verfassen eines Initiatativberichts beauftragt, der am Ende zu einer strengeren Gesetzgebung führen soll. Das Besondere an dem Bericht ist die Beteiligung der Bevölkerung: Auf einer Diskussionswebsite kann man eigene Vorschläge präsentieren und über den bisherigen Textentwurf abstimmen.
"EU-Institutionen sollten das Beispiel für saubere, transparente und verantwortliche Politik sein", so Giegold. Wie viel die hehren Worte wert sind, wird sich auch in den Sonderausschuss-Sitzungen der kommenden Tage zeigen.
Zusammengefasst: Der Sonderausschuss des Europaparlaments, der in der Luxemburg-Steueraffäre ermittelt, wird von Politikern und Konzernen ignoriert. Jetzt revanchieren sich die Abgeordneten: Lobbyisten von Unternehmen, die eine Aussage vor dem Ausschuss verweigert haben, sollen den Zugang zum Parlament verlieren. Zugleich haben EU-Kommissionspräsident Juncker und Bundesfinanzminister Schäuble ihr Kommen zugesagt.