
Tierorthopädie: Gehhilfen für Hund, Katze, Storch
Luxus-Medizin für Tiere Hunde, wollt ihr ewig leben?
Die Lebensqualität von Wallace ist dahin. Sieben unbeschwerte Hundejahre waren ihm beschert, dann erkrankte der Jagdterrier an rheumatischer Arthritis. Wallace nimmt jetzt Schmerzmittel vor dem Spaziergang, darf keine Füchse und keine Bälle mehr jagen. Ein Job für Dieter Pfaff.
Der Orthopäde aus der Pfalz bringt jedes Tier zurück auf die Beine: ob Hund, Katze, Ziege oder Esel. Sogar einem Storch verpasste Pfaff schon eine Prothese. Früher hat er Menschen versorgt. Doch seinen Job als Leiter eines orthopädischen Betriebs hat er vor sechs Jahren aufgegeben. Das Geschäft mit den Tieren ist lukrativer und macht dem Hundenarr Spaß. Seine Kunden reisen aus ganz Europa ins beschauliche Frankenthal, denn Paff hat die Tierorthopädie perfektioniert. Seine Körperstützen, Prothesen und Rollwagen sind Einzelanfertigungen - selbst entwickelt und angefertigt. Das hat seinen Preis. Eine Prothese kostet etwa 800 bis 1000 Euro.
Pharmaindustrie freut sich über steigende Umsätze
Die Tierliebe der Deutschen ist legendär. Rund fünf Milliarden Euro im Jahr geben sie allein für die fünf Millionen Hunde hierzulande aus. Hinzu kommen rund acht Millionen Katzen und diverse Kleintiere. Und das tierische Hobby wird immer kostspieliger. Denn dank des Fortschritts bei der Tiermedizin werden Haustiere immer älter, dadurch wiederum anfälliger für Krankheiten - was wieder die Nachfrage nach teuren Therapien treibt. "Die Umsätze mit Haustierarzneien steigen konstant an", sagt Martin Schneidereit, Geschäftsführer des Bundesverbands für Tiergesundheit. Rund 370 Millionen Euro gaben Haustierbesitzer vergangenes Jahr für Medikamente aus. Ein Vielfaches setzten Tierärzte, Tierkliniken und allerlei aufs Animalische spezialisierte Wunderheiler um.
Auch Patient Wallace wurde schon in der Tierklinik durchgecheckt. Jetzt liegt er wieder auf dem Behandlungstisch - diesmal beim Tierorthopäden. Wallace' Pfoten sind nach innen verdreht, sie wirken viel zu lang. Wallace läuft nicht mehr auf seinen Pfoten, sondern auf den Pfotengelenken. Tierärzte schlugen daher eine Versteifung der Vorderbeine vor. "Zu riskant", findet Pflegemutter Manuela Zobel. Sie setzt alle Hoffnung auf die wundersamen Plastikkonstruktionen, die Pfaff anhand eines Gipsabdrucks für Wallace angefertigt hat.
Die erste Anprobe beginnt und endet katastrophal. Hilflos stakst Wallace los, reißt seine Beine unkoordiniert in die Luft, verheddert sich und fällt. "Oh Gott", entfährt es Manuela Zobel. "Alles eine Sache der Gewohnheit", beruhigt sie Dieter Pfaff. Die klobigen Beinstützen von sich gestreckt, liegt Wallace flach auf dem Boden. Manuela Zobel zählt die Scheine einzeln auf den Kassentisch. 760 Euro. "Das Geld ist es wert, wenn er wieder Spaß hat", sagt sie. Zwar gibt es spezielle Krankenversicherungen für Tiere, aber wie die meisten deutschen Hunde ist Wallace nicht krankenversichert.
Akupunktur gegen Inkontinenz
Ob Arthritis, Diabetes, Tumore oder Rückenprobleme: Wie die Herrchen leiden auch Deutschlands Hunde und Katzen an typischen Wohlstandserkrankungen. Und wie in der Humanmedizin stehen den Vierbeinern alle Möglichkeiten der modernen Medizintechnik offen - vom Ultraschall bis zur Computertomographie. Tumore werden entfernt, bestrahlt oder mit einer Chemotherapie bekämpft. Auf die Hüft-OP folgt der Reha-Aufenthalt mit Aqua-Jogging. Kliniken empfehlen ihren Patienten regelmäßige Vorsorge-Checks und individuelle Ernährungsberatung. Dank Akupunktur muss Hund auch im Alter nicht inkontinent sein. Beim Bandscheibenvorfall und nach der Hüft-OP gibt es Massagen.
Das Geschäft mit kranken Tieren ist, anders als die Behandlung von Menschen, wenig reguliert. Zum Ärger von Dieter Pfaff. "Immer mehr Sanitätshäuser bieten jetzt Tierorthopädie an, obwohl sie keine Ahnung davon haben." Man könne nicht einfach von der menschlichen auf die tierische Anatomie schließen, warnt Pfaff. Vor 17 Jahren fertigte der Orthopädiemeister die erste Gehhilfe für seinen eigenen Hund an. Daraus ein Geschäft zu machen, sei damals undenkbar gewesen: "Da wäre ein Großteil meiner Patienten wohl noch eingeschläfert worden."
Letzte Barriere: Organspende
Gehhilfe statt Giftspritze: Mit diesem Wandel beschäftigt sich Peter Kunzmann. Der Philosoph und Theologe forscht an der Uni Jena zu Fortschritt und Berufsethos in der Tiermedizin. Die kostspielige Liebe vieler Haustierbesitzer verurteilt Kunzmann nicht. "Das Haustier ist schließlich oft ein Familienmitglied." Und vieles, wofür die Deutschen sonst viel Geld ausgeben, sei weniger sinnvoll als die teure Tierbehandlung. Problematisch werde es erst, wenn unheilbar kranke Tiere dennoch weiter behandelt würden: "Viele Menschen klammern sich verzweifelt an das Leben ihres Tieres, da muss der Arzt irgendwann Stopp sagen." Leider komme nicht jeder Tierarzt dieser Verantwortung nach, meint Kunzmann: "Schließlich verdienen die Ärzte daran, Therapien zu verkaufen."
Eine letzte medizinische Barriere besteht in Deutschland dann doch noch: die Organspende. Einem gesunden Tier dürfen in Deutschland keine Organe entnommen werden, in den USA ist das erlaubt. "Oft spendet ein Tier aus dem Tierheim zum Beispiel eine Niere und bekommt dafür ein neues Zuhause beim Besitzer des Empfängertiers", sagt Kunzmann, "das ist der Deal."