Teure Mieten in München Wie Frau Jünke ihre Heimat verlor
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Karin Jünke, Rentnerin
»Ich vermiss Leute, ich vermiss Autos, ich vermiss das Leben hier draußen...dass ich Menschen seh', sie sehen es ja selber, tote Hose, mehr nicht.«
Ihr gesamtes Leben hat Karin Jünke in ein und demselben Haus in München-Schwabing gelebt, 71 Jahre lang. Doch 2014 musste die Witwe ihre Wohnung räumen, nachdem sich die Miete innerhalb weniger Monate fast verdoppelt hatte.
Heute lebt die 78-Jährige am Stadtrand von München in einer Wohnanlage für Senioren.
Karin Jünke
»Sicher siehst du hier auch Leute, da sagst: »Guten Morgen« und gehst vorbei, aber ansonsten…dieses dazugehören, das hab ich hier nicht, das krieg ich auch nicht mehr.«
In ihrem alten Viertel ist sie so gut wie nie, zu schmerzhaft sind die Erinnerungen. Doch an diesem Tag trifft sich Jünke mit Freundin Sabine Roth. 50 Jahre lang waren sie Nachbarinnen in einem Haus in Schwabing, auch Roth musste ihre Wohnung räumen. Sie wollen wissen: Was ist aus ihrer früheren Heimat geworden?
Karin Jünke
»Hi, lang nicht mehr gesehen«
Karin Jünke
»Da drüben liegt mein Klausi, auf dem Friedhof….da sind auch meine Eltern begraben und meine Großeltern, aber da schauen wir gar nicht rüber, mag ich nicht…«
Reporter: »Frau Jünke, je näher sie ihrer Heimat kommen…«
Jünke: »…desto flauer wird mein Gefühl im Magen, ist ganz eigenartig. So, jetzt kommen wir nach Alt-Schwabing, das da hinten ist alles Alt-Schwabing, jetzt schauen’s sich mal die schönen Häuser alle an.«
Karin Jünke
»Also jetzt rechts ge, dann bis zur dritten Ampel links, dann sind wir da«
Als junge Frau hat Karin Jünke in diesem Gebäude geheiratet….
Karin Jünke
»Ich weiß nicht ob des…ist nicht mehr Panther, ne, Levante, keine Ahnung, kenn ich nicht…«
An dieser Kreuzung ist Jünke ihr Leben lang vorbeigegangen, heute erkennt sie die Umgebung kaum wieder: Boutiquen, Stammlokale, Nachbarn. Niemand scheint mehr da zu sein. Karin Jünke muss feststellen, ihr Viertel von früher scheint es nicht mehr zu geben.
Karin Jünke
»Da ist noch ein Juwelier, die müssen Stammkunden haben, oder Hausbesitzer, die nicht endlos steigern, aber ich glaub die andern…die gehen alle kaputt die kleinen Geschäfte…«
Nur wenige Meter entfernt ihr altes Zuhause, hier lebten Jünke und ihre Familie zeitweise in vier Generationen unter einem Dach.
Karin Jünke
»Des war mein Kinderzimmer, daneben war eine Kammer, und daneben war die Wohnung von meinen Eltern und Großeltern…«
2014 übernimmt der Enkel des Vermieters das Haus, wenige Monate später muss Jünke ihre Wohnung räumen.
Reporter: »Wenn sie das Klingelschild anschauen, kennen Sie da noch Namen?«
Jünke: »Da ist nur er selber, also er selber wohnt da, der Hausbesitzer…aber ansonsten sind alle heraußen.«
Karin Jünke
»Kannst reinfilmen…Ich gehe vorbei….Nein, ich mag da nicht mehr reingehen.«
Den Hausbesitzer nicht mal endlich zur Rede stellen?
Karin Jünke
»Ich möchte ihn nicht konfrontieren, ich hätte einfach Angst, dass ich irgendwas mache, wo ich hinterher bereu dann.«
Sabine Roth, Rentnerin
»Ich bin ja froh, dass ich keinen Freund oder irgendjemand da drinnen habe, den ich besuchen muss, dass ich auch noch reingehen muss…«
Karin Jünke
»Du musst einfach da mal abschließen damit, sonst drehst du durch.«
Karin Jünke hat genug gesehen, sie will nur noch weg von hier. Doch Abschließen kann sie nicht. Zu präsent ist die Wut: Eine Mieterhöhung um fast 100 Prozent – wie konnte das passieren?
München hält seit vielen Jahren einen traurigen Rekord, in keiner anderen Stadt in Deutschland lebt man so teuer zur Miete. Nicht nur Rentnerinnen wie Karin Jünke werden dadurch verdrängt. Auch junge Menschen sind betroffen.
So wie Kevin Martin. Er ist Angestellter der Stadtwerke. Martin arbeitet für die Stadt, bezahlbaren Wohnraum hat sie allerdings nicht für ihn.
Kevin Martin, Angestellter der Stadt München
»Ich hab' da oben gewohnt, rechts, das ist das Küchenfenster, rechts das ist mein Zimmer, und ja jetzt wohn ich da nicht mehr…schon schade, weil es eine sehr schöne Gegend ist, aber irgendwann hat es auch keinen Sinn mehr, sich das anzutun.«
Martin ist zu Besuch bei seiner alten WG im Stadtteil Berg am Laim. Seine Freunde wohnen noch immer hier, doch er konnte sich die Miete nicht mehr leisten.
Kevin Martin
»Wir hatten das Problem, dass die Mietpreisbremse damals nicht gegolten hat, d.h. er konnte den Preis aufrufen, wie er lustig war, und dementsprechend hat er halt 1500€ für 59 Quadratmeter genommen…ja, das sind 23€ pro Quadratmeter, ungefähr…und dann ist es auch noch ein Staffelmietvertrag, d.h. jedes Jahr im April wird die Miete drei Prozent teurer.«
Seit 2013 lebt Kevin Martin in München. Ganze sechs Mal ist er seitdem umgezogen: Mal wegen Eigenbedarfskündigung, mal wegen zu hoher Mieten. Mittlerweile ist er mit seiner Freundin aufs Land nach Weilheim gezogen: dort zahlt er weniger Miete für mehr Platz, doch was denkt er über die Stadt, für die er arbeitet?
Kevin Martin
»Man kann sich München nicht leisten, obwohl man mit dazu beiträgt, dass die Stadt weiterläuft und funktioniert. Und ich glaube so geht’s nicht nur mir, sondern ganz viel anderen Leuten, die die Stadt auch braucht, ja, also die Friseurin um die Ecke, oder den Verkäufer im Supermarkt, die braucht es auch. Und wenn die sich München nicht mehr leisten können, dann hat München irgendwann ein großes Problem.«
Er muss los, seinen Zug erwischen, mal wieder. Denn mittlerweile pendelt Kevin Martin jeden Tag zweieinhalb bis drei Stunden. Der 27-Jährige nimmt es mit Galgenhumor.
Kevin Martin
»Ahja, das ist dann immer praktisch, wenn die Anzeige ausfällt…«
Und scheint gereizt, vom täglichen Bahnfahren.
Kevin Martin
»Irgendwelche hupenden Dödel neben mir stehen zu haben, und dass dann jeden Tag!«
Kevin Martins Weg zur Arbeit wurde immer länger. Nach München zurückkehren wird er bei den Mietpreisen aber nicht.
Zurück am Münchner Stadtrand in Jünkes Wohnung. Wie sie ihre Heimat in wenigen Wochen verlor, hat sie in diesem Ordner dokumentiert.
Der neue Hausbesitzer lässt modernisieren: Neue Treppen, neue Fenster, neue Heizung. Mit jeder Maßnahme kommt ein neuer Brief.
Karin Jünke, Rentnerin
»Also da steht schon mal neue Gesamtmiete: 1752 Euro und 250 Euro für den Lift.«
Karin Jünke
»Ich bin gut bei 1250€ Miete gewesen, und durch die ganzen Modernisierungsmaßnahmen wäre ich locker bei 2000€ gewesen«
Möglich macht es ein Gesetz, das Vermietern erlaubt, 11 Prozent der Modernisierungskosten auf die Mieter umzulegen. Das Gesetz wurde zwar 2019 geändert, doch für Jünke hat es ihre Heimat gekostet.
Karin Jünke
»Mir fehlt einfach, das hört sich saublöd an, aber mir fehlt meine Heimat. Da hat eigentlich mein schönes Leben aufgehört.«
Karin Jünke fühlt sich bestohlen – von der Politik, aber vor allem vom Hausbesitzer, ihn kannte sie bereits, als er noch ein Kind war.
Karin Jünke
»Und dann wirst du so behandelt wie der letzte Dreck, also dem wünsch ich nichts Gutes, dem wünsch ich genau den gleichen schönen Lebensabend wie ich ihn hab, genau des gleiche wünsch ich ihm. Vielleicht muss er auch mal an nem Rollator gehen, vielleicht schmeißt ihn auch mal jemand raus…also uns Älteren ist ein Riesenstück Lebensqualität flöten gegangen.«