Millionen Pannen-Kreditkarten Klebefilm-Trick hebelt 2010-Fehler aus

Schlamperei, miese Information, "Primitivfehler": Es hagelt Kritik an Banken und Sparkassen. Millionen Kredit- und EC-Karten funktionieren wegen eines Software-Fehlers nur eingeschränkt. Der Austausch würde Monate dauern, Einzelhändler basteln an Notlösungen - mit Klebeband.
Mastercard: Einzelhändler wollen Einnahmeverluste ersetzt haben

Mastercard: Einzelhändler wollen Einnahmeverluste ersetzt haben

Foto: Martin Meissner/ AP

Berlin/Frankfurt am Main - Diese Situation liebt jeder im Supermarkt: An der Kasse lädt der Vordermann eine ganze Einkaufswagenladung aufs Band, es dauert ewig, bis der Kassierer alles eingelesen hat - womöglich ist er dabei noch einmal losgelaufen, um den Preis für einen nicht ausgezeichneten Artikel zu erfragen - und dann funktioniert die EC-Karte nicht. Die Stimmung steigt in der langen Reihe der wartenden Kunden.

EC- und Kreditkarten

Derzeit gibt es viele, viele Konsumenten, die mit solchen und ähnlichen Situationen zu kämpfen haben. Sie stehen an der Ladenkasse, vor Geldautomaten oder im Restaurant, und ihre Scheckkarte funktioniert nicht. Mehr als 26 Millionen sind derzeit nur eingeschränkt nutzbar. Der Grund: Eine Software-Panne auf dem Speicherchip der Karte, wegen der Geldautomaten und Bezahlterminals die Jahreszahl 2010 nicht verarbeiten können. Lediglich die Maschinen, die noch den Magnetstreifen auslesen - und damit eigentlich viel unsicherer sind - funktionieren noch problemlos.

Bei den Banken laufen deshalb die Vorbereitungen auf Hochtouren, um den unangenehmen Fehler zu beheben. Ein Austausch der betroffenen Karten wäre schwierig, sagt der Sprecher des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV), Christian Achilles, SPIEGEL ONLINE. Das Ausmaß sei zu groß: Bei den Sparkassen und Landesbanken sind allein rund 20 Millionen EC-Karten und 3,5 Millionen Kreditkarten betroffen. Der Austausch "würde sich über Monate hinziehen", sagt Achilles. Dem Plastikkartenhersteller Gemalto zufolge, der den Software-Fehler zu verantworten hat, könnte ein Austausch zudem einen dreistelligen Millionenbetrag kosten. So wird derzeit fieberhaft an der Möglichkeit gearbeitet, die Software der Karten zu aktualisieren.

Rückbesinnung auf den Magnetstreifen

Als Zwischenlösung sind bei den Sparkassen und Landesbanken derzeit alle 25.700 Geldautomaten so umgestellt worden, dass sie bei einer fehlerhaften Karte den Magnetstreifen anstelle des Chips auslesen. Ähnlich überlisten viele Einzelhändler die fehlerhaften Karten. Sie überkleben den Chip per Hand mit Klebeband. Dadurch greifen manche Bezahlterminals automatisch auf den Magnetstreifen zurück, bei dem keine Probleme auftreten. "So haben wir zwar ein paar Euro Kosten für Klebestreifen, aber keinen Ärger mit den Kunden", sagt ein Lebensmittelhändler in Frankfurt.

Verbraucherschützer betrachten diese Vorgänge mit Sorge. Denn das Absurde an der Situation ist: Eigentlich soll der Chip, der für den Ausfall der Karten sorgt, mehr Sicherheit garantieren. "Der Magnetstreifen ist erheblich unsicherer als der Chip", sagt der Leiter des Fachbereichs Finanzdienstleistungen beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), Manfred Westphal. Udo Reifner vom Institut für Finanzdienstleistungen (IFF) in Hamburg, sagt ebenfalls: "Der Chip ist das Sicherste, was es gibt". Die Magnetstreifen könnten Betrüger so einfach kopieren wie ein Tonband, und dann eine Kopie der Karte erstellen.

Der Zentrale Kreditausschuss (ZKA), die Dachorganisation der Banken und Sparkassen, rät zudem dringend davon ab, die Karten zu manipulieren. Zum Beispiel stelle sich die Frage der Haftung, wenn Lesegeräte oder die Karten selbst dadurch beschädigt würden, sagte ein Sprecher.

"Das sind Primitivfehler"

Die Banken müssen sich derweil harsche Vorwürfe wegen der Panne gefallen lassen. "Die Geldinstitute hätten die Karten doch testen müssen", sagt Finanzexperte Reifner: "Das sind Primitivfehler." Auch Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner sagt: "Die Verantwortlichen müssen mehr Sorgfalt an den Tag legen, um die Sicherheit und Funktionsfähigkeit von Bank- und Kreditkarten zu gewährleisten." Banken trügen die Verantwortung dafür, dass von ihnen ausgegebene Zahlungsmittel funktionierten, sagte Aigner dem "Tagesspiegel".

Verbraucherschützer Westphal empört sich vor allem über die Informationspolitik der Geldinstitute. "Die Institute setzen die Öffentlichkeit nur scheibchenweise ins Bild über das wahre Ausmaß des Problems. Zuerst sind nur Kreditkarten betroffen, dann plötzlich auch EC-Karten. Inzwischen sollen die Probleme im Inland behoben sein, aber über die im Ausland erfährt man nichts." Dabei kann nach Überzeugung des Verbraucherschützer jede Karte mit einem fehlerhaften Chip identifiziert werden. "Es wäre also kein Problem, die betroffenen Kunden zu informieren, statt sie erst an der Kasse in eine peinliche Situation zu bringen."

Auch die Einzelhändler sind sauer, fordern, der entstandene Umsatzausfall müsse ihnen ersetzt werden. "Wir haben verärgerte Kunden und verlorengegangene Einnahmen, wofür wir schlicht nichts können", sagt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE). Insgesamt sei jeder fünfte der eine Million EC-Karten-Bezahlterminals in den Geschäften betroffen. Kunden, die dann nicht genügend Bargeld in der Tasche hätten, müssten auf den Einkauf verzichten. Der entstandene Umsatzausfall müsse ersetzt werden. "Wir zahlen jährlich einen dreistelligen Millionenbetrag an Gebühren an die Banken für die Nutzung der EC-Karten - da sind solche Pannen sehr, sehr ärgerlich."

Bargeld oder Reisechecks mitnehmen

DSGV-Sprecher Achilles verteidigt seine Sparkassen und Banken: "Natürlich werden die Karten getestet. Aber der Mangel war so versteckt, dass die gesamte Kreditwirtschaft ihn nicht entdeckt hat." Die Commerzbank, bei der EC-, aber keine Kreditkarten von dem Fehler betroffen sind, will sich nicht zu den Vorwürfen äußern. Eine Sprecherin sagt aber, man wolle die Panne "so schnell wie möglich" beheben.

Den Verbrauchern bleibt derweil nichts anderes übrig, als Geduld zu bewahren und bei Problemen etwa am Geldautomat mehrere Maschinen auszuprobieren. Denn ob diese den Chip oder die Magnetkarte auslesen, ist von außen nicht ersichtlich.

Bei Reisen ins Ausland empfiehlt der DSGV genügend Bargeld oder Reisechecks mitzuführen. Zwar bemüht sich der Verband derzeit, zumindest in den fünf großen Urlaubsländern Österreich, Schweiz, Italien, Frankreich und Spanien die Geldautomaten so zu konfigurieren, dass alle Sparkassenkarten wieder funktionieren. Doch in einigen Ländern könne das schwierig werden, sagt DSGV-Sprecher Achilles. Dort nämlich, wo keine Notfallfunktion aktiviert werden könne und es nur die theoretische Möglichkeit gebe, die Maschinen wieder komplett auf das Auslesen der Magnetstreifen zurückzustellen. "Das will man nicht", sagt Achilles.

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