Auswertung des Arbeitsministeriums Wer von zwölf Euro Mindestlohn profitieren würde

Mindestlohn-Kontrolle in einem Einkaufszentrum: Mehr Geld für zehn Millionen Menschen
Foto: Stefan Sauer/ dpaSPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz will einen gesetzlichen Mindestlohn von zwölf Euro durchsetzen. Das von seinem Kabinettskollegen und Parteifreund Hubertus Heil geführte Arbeitsministerium hat nun zusammengetragen, was solch eine Erhöhung für Staatshaushalt, Sozialkassen und Arbeitsmarkt bedeuten würde – und zieht ein durchweg positives Fazit.
Laut der Auswertung des Ministeriums, die dem SPIEGEL vorliegt, würden zehn Millionen Menschen von einem Mindestlohn profitieren, darunter besonders Beschäftigte in Minijobs, aber auch viele in regulärer sozialversicherungspflichtiger Anstellung.
Die höheren Löhne, so das Ministerium, könnten für die Wirtschaft »positive Nachfrageeffekte« haben. So zitiert das Haus Modellrechnungen, wonach eine Erhöhung des Mindestlohns zu einer höheren Produktivität führe und Wachstumsimpulse setze. Unternehmen, die jetzt schon freiwillig höhere Löhne zahlen, würden zudem unterstützt.
Fiskalisch könnte zudem im Ergebnis der Staat profitieren. So würden die Steuereinnahmen und die Zahlungen an die Sozialversicherung steigen – insgesamt könnten demnach so 10,9 Milliarden Euro pro Jahr mehr eingenommen werden. Das Plus geht jedoch vor allem auf perspektivisch stark steigende Sozialversicherungsbeiträge zurück, die sich demnach auf 6,9 Milliarden Euro belaufen.
Jede dritte Frau könnte profitieren
Bezogen auf Frauen und Menschen in Ostdeutschland wiederum hätte laut dem Papier, das auf eine Anfrage aus der SPD-Bundestagsfraktion zurückgeht, sogar jede beziehungsweise jeder Dritte einen Vorteil. Profitieren würden auch Beschäftigte mit Tarifverträgen, die etwa im Einzelhandel, in der Landwirtschaft oder in der Hotellerie zum Teil niedrigere Stundenlöhne vorsehen.
Mehr Geld hätten durch zwölf Euro Mindestlohn unter anderem Beschäftigte im Bereich Körperpflege, Gastronomie oder beim Verkauf von Lebensmitteln. In ihren Berufsgruppen verdient mindestens die Hälfte aller Vollzeitbeschäftigten weniger als zwölf Euro pro Stunde. Die Fachleute des Arbeitsministeriums verweisen zudem auf die Forschung, nach der eine Anhebung des Mindestlohns auch auf die etwas höheren Lohngruppen ausstrahlen kann – und auch deren Gehälter angehoben werden könnten.
Ein rascher gesetzlicher Anstieg des Mindestlohns auf zwölf Euro ist dennoch umstritten. Union und FDP lehnen dies ab. Die Grünen treten ebenfalls für zwölf Euro Mindestlohn ein. Die Linke will die Lohnuntergrenze auf »armutsfeste« 13 Euro anheben.
Der Vorsitzende der Mindestlohnkommission, Jan Zilius, hatte 2020 der »Rheinischen Post« gesagt, es drohe eine umfassende »Überholung von laufenden Tarifverträgen«, die »mit unserer im Grundgesetz vereinbarten Tarifautonomie nicht mehr viel zu tun hätte«. Tarifverhandlungen für untere Lohngruppen würden obsolet.
Die Höhe des Mindestlohns von zwölf Euro begründet das Arbeitsministerium mit Plänen der EU-Kommission, sich an Indikatoren wie der Hälfte des Durchschnittslohns oder an der Grenze von 60 Prozent des mittleren Einkommens zu orientieren. Aus letzterem ergibt sich demnach der Wert von zwölf Euro je Stunde.
Sollte es so kommen, hätte Deutschland eine der höchsten Lohnuntergrenzen innerhalb der EU, zuletzt war nur Luxemburg noch mehr fällig – 12,38 Euro pro Stunde. In Deutschland liegt die Lohnuntergrenze seit 1. Juli aktuell bei 9,60 Euro. Sie soll zum 1. Januar 2022 auf 9,82 Euro und zum 1. Juli 2022 auf 10,45 Euro steigen.