Müllers Memo Die Droge kickt nicht mehr

Eigentlich müsste die Weltwirtschaft auf vollen Touren laufen. Schließlich mühen sich Notenbanken und Regierungen seit Jahren, das Wachstum anzukurbeln. Warum haben sie keinen Erfolg?
Skyline von Tokio

Skyline von Tokio

Foto: Chris Jackson/ Getty Images

Die Lage bleibt durchwachsen, die weiteren Aussichten trüben sich schon wieder ein. Das weltweite Geschäftsklima, gemessen vom Münchner Ifo-Institut, ist derzeit so schlecht wie seit mehr als drei Jahren nicht mehr. Vor allem in Asien, aber auch in Europa sackt die Stimmung ab. In der Eurozone ist das Wachstum im zweiten Quartal zurückgegangen; Frankreich und Italien stagnieren. (Achten Sie am Dienstag auf den ZEW-Konjunkturindex für Deutschland.)

Sind die Wirtschaftspolitiker auf dem falschen Dampfer?

Schließlich ist es schon seltsam: Weltweit sind die Zinsen so niedrig wie nie zuvor. Immer mehr Staaten und Unternehmen können sich Geld nicht nur umsonst leihen, sie bekommen sogar noch eine Prämie dafür. Fast die Hälfte der ausstehenden Schulden der entwickelten westlichen Länder wird jetzt zu negativen Zinsen gehandelt, hat die "Financial Times" ausrechnen lassen. Das gab es noch nie.

Die Notenbanken rund um den Globus haben ganze Arbeit geleistet. Sie haben so viele Wertpapiere aufgekauft ("quantitative Lockerung"), dass sich ihre Bilanzen seit 2008 mehr als verdoppelt haben. In Japan und in Großbritannien gehören ihnen nach Kalkulation der OECD inzwischen ein Drittel der ausstehenden Staatsschulden. Dennoch gehen die Kaufprogramme weiter. Die Bank of England ist gerade wieder eingestiegen, um die Folgen der Brexit-Entscheidung vom Juni zu mildern.

Trotz hoher Staatsschulden wird nicht gespart - im Gegenteil

Mehr Expansion geht kaum. Real liegen die Leitzinsen beiderseits des Atlantiks im negativen Bereich, und zwar schon seit 2009. Würden die traditionellen Regeln der Notenbankpolitik noch gelten, müssten die weltweiten Leitzinsen etwa doppelt so hoch sein wie derzeit, schätzt die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ).

Nicht nur die Notenbanken, auch die Regierungen bemühen sich darum, die Konjunktur anzukurbeln. Trotz hoher Staatsschulden sind sie nicht eben sparwütig, sondern verzeichnen nach wie vor hohe Defizite. Deutschland ist die einzige große Volkswirtschaft, in der der Staat schwarze Zahlen schreibt.

Reihenweise werden derzeit Konsolidierungspläne einkassiert: Japans Premier Shinzo Abe hat gerade eine neue Runde von auf Pump finanzierten Konjunkturspritzen angekündigt. (Montag gibt es neue Zahlen zur japanischen Konjunktur.) Großbritanniens neue Regierung hat das Ziel eines ausgeglichenen Staatshaushalts vorerst aufgegeben. In Italien plant der bedrängte Regierungschef Matteo Renzi neue Ausgabenprogramme. Spanien und Portugal machen ohnehin mehr Schulden, als die Euroregeln erlauben, müssen aber trotzdem keine Strafen zahlen.

Eine Übernahmewelle mit wenig Nutzen

Rund um den Erdball das gleiche Bild: Geld- und Finanzpolitiker stehen auf dem Gas, beugen die Regeln, gehen immer größere Risiken ein - doch die Wirtschaft reagiert kaum noch. Warum eigentlich nicht?

Der gängigen Theorie zufolge sollten die Unternehmen das billige Geld aufsaugen und es in neue Ideen und zusätzliche Kapazitäten investieren. Aber das geschieht kaum. Viele Konzerne haben in den vergangenen Wochen wieder mal gute Quartalszahlen vermeldet. Entsprechend positiv reagieren die Börsen.

Doch die polierte Oberfläche täuscht. Die Gewinne mögen aktuell gestiegen sein. Aber das liegt nicht unbedingt daran, dass Unternehmen erfolgreich ihre Geschäfte ausbauen, sondern dass sie sparen und eigene Aktien zurückkaufen. Das billige Geld befeuert zudem eine Übernahmewelle, die wiederum die Kurse treibt, aber gesamtwirtschaftlich wenig nützt: Wenn ein Unternehmen das andere kauft, entstehen weder zusätzliche Kapazitäten noch neue Jobs.

Das Geld fließt vor allem in Immobilienmärkte

Echte Investitionen hingegen sind rar: Seit die Finanzkrise 2008 ausbrach, sind die Kapitalausgaben nach OECD-Berechnungen pro Beschäftigtem drastisch und dauerhaft zurückgegangen. Auch die Produktivität steigt in den wohlhabenden Ländern kaum noch. Die Schwellenländer scheinen diesem Trend zu folgen.

Das häufig bemühte Argument, wonach Terror und Populismus den Unternehmen die Lust am Investieren verderben, zieht nicht: Wir haben es mit langfristigen Fehlentwicklungen zu tun. Statt in produktive Kapazitäten, neues Wissen oder intelligente Technologien fließt billiges Geld in die Immobilienmärkte. Das gilt gerade auch für Deutschland. Die Unternehmen in der Bundesrepublik, hat die OECD kürzlich kritisiert, tätigen im Vergleich zu anderen Ländern wenig wissensbasierte Investitionen. Zugleich weist Deutschland derzeit die höchsten Wohnungsbauinvestitionen in Relation zur Wirtschaftsleistung auf. Produktiv ist das nicht.

Eine folgenschwere Fehlsteuerung: Wo die Produktivität kaum steigt, können auch die Löhne kaum steigen. Zugleich verdient eine glückliche Minderheit große Summen mit dem Handel von teuren Immobilien und Unternehmensanteilen - mit Aktivitäten also, deren gesellschaftlicher Nutzen begrenzt ist. Auf Dauer eine schwer erträgliche Schieflage.

Echtes Unternehmertum kommt aus der Mode

Es sieht so aus, als habe das Primat der Makropolitik die wirtschaftlichen Anreize in geradezu grotesker Weise verzerrt: Billiges Geld sorgt dafür, dass sich mit Immobilien schnell und (scheinbar) sicher Geld verdienen lässt. Echtes Unternehmertum hingegen, das sich in langfristigen und risikoreichen Investitionen niederschlägt, kommt aus der Mode.

Seit 2008 sind die Geld- und die Finanzpolitiker im Krisenmodus. Was zunächst zweifellos richtig war - in Zeiten einer akuten Krise geht es darum, einen kompletten Systemabsturz zu verhindern -, ist in eine Dauerstimulation gemündet, die letztlich schädlich ist. Beim Versuch, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzukurbeln, hat sich der Entwicklungspfad abgeflacht: Nachhaltige Wohlstandszuwächse gibt es kaum noch.

Ganz oben auf die wirtschaftspolitische Agenda gehören deshalb Schritte, die das Wachstum der Produktionsmöglichkeiten fördern. Dabei geht es nicht um Steuersenkungen, wie derzeit von Teilen der Union gefordert, sondern insbesondere um zwei Bereiche:

  • den Ausbau des Bildungs- und Forschungssystems, weil Wohlstand letztlich auf Wissen fußt. Und weil sich derzeit drei Entwicklungen überlagern, die einen Ausbau der geistigen Ressourcen erfordern: die Alterung der Gesellschaft, der Flüchtlingszuzug und die Digitalisierung;
  • die Erneuerung der Verkehrs- und Energieinfrastruktur, weil sich anders das Ziel, in den kommenden dreieinhalb Jahrzehnten aus der Nutzung von fossilen Energieträgern auszusteigen, kaum wird erreichen lassen.

Die Vorboten des Bundestagswahlkampfs 2017 sind bereits erkennbar. Wieder mal rücken vordergründige Verteilungsfragen in den Fokus. Aber ein paar Steuererhöhungen hier, ein paar Transferzahlungen dort werden das Grundproblem nicht lösen: den Wachstumsstillstand der Produktionsmöglichkeiten, bei gleichzeitiger monetärer Überdüngung.

Die wichtigsten Wirtschaftstermine der kommenden Woche

MONTAG

Tokio - Abenomics auf dem Prüfstand: Erste Schätzung zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Japan im zweiten Quartal: Seit Beginn des superexpansiven Kurses von Premier Shinzo Abe ist die Bilanzsumme der Bank von Japan auf 80 Prozent des BIP gestiegen, die Staatsschulden liegen über 230 Prozent des BIP - mit mäßigem Erfolg.

DIENSTAG

Mannheim - deutsche Konjunktur: Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung veröffentlicht die Ergebnisse seiner Umfrage zu den Konjunkturerwartungen.

Washington - amerikanische Inflation: Neue Daten zum Anstieg der Verbraucherpreise in den USA

MITTWOCH

Paris - terreur mondial: Frankreichs Staatspräsident François Hollande trifft sich mitten in den Sommerferien mit seinem Sicherheitskabinett, um das weitere Vorgehen im Kampf gegen den Terrorismus zu besprechen.

Washington - Fed-Astrologie: Der Gouverneursrat der US-Notenbank veröffentlicht das Protokoll der letzten Sitzung. Wie üblich bewegt die Märkte die Frage, ob, wann und wie stark die Federal Reserve die Zinsen anhebt.

Berichtssaison I - Quartalszahlen von Carlsberg, Finnair

DONNERSTAG

Berlin - in Zeiten des Kampfes: Die Unions-Innenminister im Bund und in den Ländern treffen sich, um über Asylpolitik, innere Sicherheit und den Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu sprechen. Mit dabei: Die Minister aus Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, wo in wenigen Wochen Landtagswahlen stattfinden.

Berichtssaison II - Quartalszahlen von Sixt, BayernLB, Singulus

FREITAG

Keine Termine absehbar.

Zum Autor
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Institut für Journalistik, TU Dortmund

Henrik Müller ist Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund. Zuvor arbeitete der promovierte Volkswirt als Vizechefredakteur des manager magazin. Außerdem ist Müller Autor zahlreicher Bücher zu wirtschafts- und währungspolitischen Themen. Für den SPIEGEL gibt er jede Woche einen pointierten Ausblick auf die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der Woche.

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