Negativpreis Lobby-Wächter küren Europas dreisteste Strippenzieher

EU-Kommission in Brüssel: NGOs kritisieren den Druck von Unternehmen auf die Behörde
Foto: AFPHamburg - Gerade einmal zwei Monate dauerte es, bis Günter Verheugen einen neuen Job fand. Über zehn Jahre war der SPD-Mann Mitglied der EU-Kommission, seit April arbeitet Verheugen nun für die Royal Bank of Scotland - als "Senior Berater und Vizevorsitzender für weltweite Bankgeschäfte und Märkte". Eine Sprecherin der Bank sagte dazu, Verheugens Erfahrung in der Europapolitik und seine Kontakte seien von großem Wert.
Nichtregierungsorganisationen wie LobbyControl kritisieren die Rekrutierung der Bank dagegen als "Anzapfen kommissionsinternen Insider-Wissens" und "klaren Interessenskonflikt" zwischen Wirtschaft und Politik. Immerhin sei der 66-Jährige als Industrie-Kommissar maßgeblich an der Reform des Bankensektors beteiligt gewesen. Verheugen selbst kann die Vorwürfe nicht nachvollziehen: Er sieht seinen Job darin, der Bank zu erklären, wie sie sich auf die neuen Finanzmarktregeln einstellen kann. Jede Art von Lobbying sei in seinen Verträgen ausgeschlossen, sagte er der "taz".
LobbyControl hat die Bank nun als Kandidat für den "Worst Lobby Award" nominiert, für die Preisverleihung wird die schlimmste Lobby-Gruppe auf EU-Ebene gesucht. Neben der Beschäftigung von Verheugen kritisiert die Organisation, dass die RBS ihre Arbeit nicht im Lobbyregister der Europäischen Kommission ausweise - dafür aber hinter den Kulissen sehr aktiv sei. Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE wollte sich die RBS nicht äußern. "Wer ist Günter Verheugen?", fragte ein Sprecher lediglich.
Erfolgreicher Druck auf die Politik
LobbyControl vergibt den Negativpreis zusammen mit Spinwatch, Friends of the Earth und Corporate Europe Observatory zum sechsten Mal. Ziel sei, die Öffentlichkeit auf problematische Folgen des Lobbyismus in Brüssel aufmerksam zu machen. In diesem Jahr gibt es zwei Kategorien:
- zum einen den Bereich Finanzindustrie, für den neben der RBS auch zwei Lobby-Gruppen nominiert sind;
- zum anderen den Bereich Klimaschutz. Hier werden die schlimmsten Strippenzieher gegen schärfere Umweltschutzregeln gesucht, wobei es ebenfalls drei Kandidaten gibt.
Zu den großen Klimaschutzverhinderern gehört nach Ansicht von Lobby Control und Co. auch die britische RWE-Tochterfirma RWE npower. Die NGOs begründen die Nominierung damit, dass der Energieriese sich mittels Werbung "ein umweltfreundliches Image verpasst habe", zugleich aber Lobbyarbeit betreibe, "um seine schmutzigen Kohle- und Ölkraftwerke offenzuhalten".
So arbeite das Unternehmen mit anderen Energiekonzernen daran, die Schadstoffbegrenzungen der EU aufzuschieben. Dabei nahm RWE npower laut LobbyControl die Richtlinie über Industrieemissionen (IED) ins Visier: So hätten die Unternehmen bei einer Veranstaltung im EU-Parlament in übertriebener Weise gewarnt, die Richtlinie lasse nicht die Industrieemissionen schrumpfen - sondern gleich die gesamte EU-Industrie.
Laut den NGOs war der Druck auf die Politik erfolgreich: Die Unternehmen müssen die Emissionen ihrer Kohlekraftwerke nun nicht eindämmen, sofern sie diese garantiert bis 2023 abschalten. Länger laufenden Kraftwerken werden Extra-Laufzeiten von bis zu drei Jahren gewährt.
Der Chef der britischen Energie-Lobby-Gruppe AEP zeigte sich im Juli "zufrieden" mit der neuen Richtlinie. Zwei Jahre zuvor hatte er sie im "Independent" noch als "furchteinflößendes Beispiel schlechter Regulierung" bezeichnet.
Bei RWE gibt man sich überrascht über die Nominierung und teilt SPIEGEL ONLINE mit: "RWE npower hat ambitionierte Klimaschutzziele. Bis 2015 wollen wir die CO2-Intensität der Stromerzeugung um 33 Prozent im Vergleich zum Jahr 2000 senken." Mehr als die Hälfte davon sei bereits erreicht. Große Investitionen in zwei neue Gaskraftwerke würden maßgeblich dazu beitragen. Und RWE npower sei in Großbritannien "das erste Unternehmen, das seinen Kunden einen Tarif über CO2-freien Strom ohne Preisaufschlag anbietet". Ältere Kohle- und Ölkraftwerke würden "bis Ende 2015 vom Netz genommen".
"Aggressive Lobbyarbeit"
Weiterer Kandidat in der Kategorie Klima sind der Stahlgigant ArcelorMittal und der Unternehmerverband BusinessEurope. Beide wurden nominiert "für ihre Panikmache bezüglich effektiverer CO2-Beschränkungen durch den Emissionsrechtehandel", heißt es in der Begründung. Dem größten privaten Stahlunternehmen sei es gelungen, die EU-Kommission davon zu überzeugen, dass die schlimmsten Klimasünder Europas weiter subventioniert werden müssten. Außerdem habe ArcelorMittal Vorschläge bekämpft, die CO2-Reduktionsziele in den kommenden zehn Jahren von 20 auf 30 Prozent zu erhöhen.
Das Unternehmen teilt SPIEGEL ONLINE mit, es sei sich "seiner Verantwortung bewusst, Kohlendioxidemissionen zu senken". Ziel sei es, bis 2020 die Emissionen um acht Prozent zu reduzieren. Zudem werde an neuen Technologien gearbeitet, mit denen "Emissionen weiter beträchtlich gesenkt werden können". ArcelorMittal sei jedoch auch der Überzeugung, "dass CO2-Emissionsrechte als Bestandteil des Emissionsrechtehandelssytems weiter frei zugeteilt werden sollten, um die Wettbewerbsfähigkeit mit anderen Regionen zu gewährleisten, die keine verpflichtenden CO2-Reduktionsziele haben".
Dem Unternehmerverband BusinessEurope werfen die Kritiker vor, mit "aggressiver Lobbyarbeit effiziente Klimaschutzmaßnahmen zu verhindern" und nur nach außen vorzugeben, die Klimaziele zu unterstützen. So habe der Verband vor "maßlos übertriebenen Arbeitsplatzverlusten in Europa" gewarnt, kritisiert LobbyControl. Ergebnis sei, dass das Vorhaben der EU, mehr CO2 zu reduzieren, scheiterte.
BusinessEurope weist die Vorwürfe zurück. "Wir sind nicht gegen die 30 Prozent", sagte Verbandssprecher Folker Franz SPIEGEL ONLINE. "Wir sind nur für einen zeitlichen Aufschub. Für die europäische Industrie gelten schon jetzt die härtesten Klimaregeln, und international bewegt sich nichts." Dies habe sich zuletzt beim gescheiterten Klimagipfel in Kopenhagen gezeigt, wo sich die Staaten nicht auf das Ziel einigen konnten, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen.
Ab sofort kann jeder im Internet über den "Worst Lobby Award" abstimmen. Gewählt werden kann bis zum 25. November, am 3. Dezember werden die Negativpreise in Brüssel vergeben. Hier kommen Sie zur Abstimmung.