Neue Euro-Bonds-Pläne Herr Barroso drängt, Frau Merkel ziert sich

EU-Kommissionspräsident Barroso und Kanzlerin Merkel: Skepsis gegenüber Euro-Bonds
Foto: Peer Grimm/ dpaHamburg - Den Trick kennen Marketing-Experten: Wenn sich ein Produkt nicht gut verkauft, hilft manchmal ein neuer Name, um das Image aufzupolieren. Mit diesem Kniff versucht es nun die EU-Kommission und tauft einen alten Vorschlag einfach um. In einem neuen Diskussionspapier heißen Euro-Bonds jetzt Stabilitäts-Bonds. Mitten in der Krise soll das wohl nach Fortschritt und Hoffnung klingen. Die Idee bleibt die alte: Staatsanleihen - auch Bonds genannt - werden gemeinsam von mehreren Euro-Ländern ausgegeben. Die Staaten sollen also vereint Schulden aufnehmen und auch dafür haften.
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso will Bundeskanzlerin Angela Merkel in den kommenden Wochen von der Idee überzeugen. Es dürften harte Verhandlungen werden, denn es geht um eine europäische Grundsatzfrage: Laut geltenden EU-Verträgen dürfen Schulden eines Einzelstaates nicht auf die Gemeinschaft übertragen werden.
Auch die Bundesregierung lehnt gemeinsame Anleihen bisher strikt ab. So wurde die Idee im Sommer zunächst verworfen. Doch die Schuldenkrise spitzt sich weiter zu, und viele Experten sehen Euro-Bonds als Chance für eine Lösung. Darum holt die Kommission den Vorschlag gemeinsamer europäischer Anleihen wieder hervor.
In einem 40-seitigen Papier, über das zunächst "Financial Times Deutschland" und "Süddeutsche Zeitung" berichteten, haben Mitarbeiter der Kommission drei Varianten ausgearbeitet. Das Grundprinzip ist immer dasselbe: Unter dem gemeinsamen Euro-Dach begeben die Mitglieder der Währungsunion Anleihen. Doch bei der Höhe der Schuldenaufnahme und bei der Haftung gibt es Unterschiede - und Raum für Kompromisse.
SPIEGEL ONLINE gibt einen Überblick über die Modelle sowie ihre Vor- und Nachteile - und erklärt, warum Deutschland sich gegen die gemeinsamen Anleihen sperrt.
Wer von Euro-Bonds profitiert und wer draufzahlt
Durch gemeinsame Anleihen soll die Zinsbelastung schwächerer Euro-Länder gesenkt werden. Die Idee: Krisen-Länder profitieren von der hohen Kreditwürdigkeit von Staaten wie Deutschland, die von Gläubigern als verlässliche Zahler eingestuft werden. Wenn sich genügend Länder mit Top-Rating an den Anleihen beteiligen, dürften auch die Euro-Bonds die Bestnote bekommen.
Damit würde voraussichtlich die Zinsbelastung für schwächere Länder sinken, die Belastung für Deutschland hingegen etwas steigen. Deshalb lehnt die Bundesregierung Euro-Bonds bisher ab. Schließlich kommt die Bundesrepublik derzeit so günstig wie selten zuvor an Kredite. Die Zehnjahres-Rendite, also die Zinsen für die Gläubiger, liegt in Deutschland bei 1,9 Prozent - in Italien und Spanien dagegen bei rund 6,5 Prozent. Die Rendite von Euro-Bonds würde sich vermutlich irgendwo zwischen diesen beiden Zinssätzen einpendeln.
Die Bundesregierung warnt, dass sich Krisenländer dann auf niedrigeren Zinsen ausruhen und sich weniger Mühe geben könnten, ihre Spar- und Reformvorhaben umzusetzen.
Auch die EU-Kommission spricht dieses Problem in ihrem Papier an: Je stärker das Kreditrisiko der Euro-Staaten gebündelt werde, umso ruhiger wäre es an den Anleihemärkten - aber umso geringer wäre auch die erzieherische Wirkung der Märkte auf die nationalen Regierungen.
Das Prinzip "Alle haften für alle"
Das weitest reichende Modell der Kommission sieht vor, dass Gemeinschaftsanleihen die nationalen Staatstitel komplett ersetzen. Es gäbe europaweit einheitliche Anleihen und damit eine einheitliche Rating-Note. Die Euro-Länder könnten auf diesem Weg theoretisch unbegrenzt Kredite aufnehmen. Unabhängig von ihrem eigenen Anteil müssten die beteiligten Länder auch für Staaten einspringen, die ihre Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen können.
Der Vorteil dieses Modells: Das Vertrauen in Staaten mit hoher Kreditwürdigkeit wie Deutschland, die Niederlande, Österreich, Finnland und Luxemburg könnte das Misstrauen der Gläubiger gegen Krisenländer ausgleichen. Diese Gemeinschaftsanleihen wären deshalb wohl bei Kreditgebern sehr gefragt - auch weil der größte Anleihenmarkt der Welt entstünde. Die Gläubiger könnten darauf setzen, dass sie ihr Geld zurückbekommen - wer am Ende wie viel bezahlt, darüber müssten sich die Euro-Staaten untereinander streiten. Eine Europäische Schuldenagentur könnte die Einnahmen aus den Euro-Bonds an die Länder verteilen und die Zinsen für die Gläubiger von den Mitgliedsländern eintreiben.
Das Problem dieses Modells: Für starke Länder wie Deutschland bedeutet es ein hohes Risiko, weil die Länder unbegrenzt für die Schulden der anderen haften. Der Spardruck auf die Krisenländer könnte angesichts geringerer Zinsen sinken. Dank ihrer starken Partner bekommen sie günstiger Geld, ohne dafür im Gegenzug ihre Haushalte in Ordnung bringen zu müssen.
Um Haushaltssünder zu disziplinieren und die Kredite gerecht aufzuteilen, müsste die EU also strenge politische Regeln aufstellen. Dazu wären umfassende Vertragsänderungen notwendig. Das würde viel Zeit in Anspruch nehmen - für eine schnelle Lösung taugt dieses Modell also nicht.
Das Prinzip "Jeder haftet voll für ein bisschen"
Etwas schneller ließe sich das zweite Modell umsetzen. Es sieht Gemeinschaftsanleihen als eine Art Teilfinanzierung der Staatsschulden. Länder könnten weiter eigene Staatsanleihen begeben und zusätzlich Geld über Euro-Bonds eintreiben. Die Kreditaufnahme über die Gemeinschaftsanleihen wäre aber begrenzt: Die Menge könnte an die Haushaltsdisziplin der Länder geknüpft werden oder an eine bestimmte Obergrenze. Diese könnte etwa in der sogenannten Maastricht-Grenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bestehen.
Der Vorteil dieses Modells: Weil sie weiter nationale Anleihen begeben würden, wären die Länder motiviert, sich Vertrauen bei Investoren zu sichern und ihren Haushalt in Ordnung zu bringen. Weil alle Partner voll haften müssten, dürfte das Vertrauen von Investoren hoch sein und die Zinsen sinken.
Der Nachteil dieses Modells: Weil auch hier alle Euro-Länder voll für die Schulden haften, müssten die europäischen Verträge geändert werden. Die Bonds wären damit zunächst nur ein Signal an die Märkte, dass Europa beim Schuldenmachen enger zusammenrückt.
Das Prinzip "Jeder haftet für sich"
Das dritte Modell würde auf mehr Eigenverantwortung der einzelnen Staaten setzen. Nationale Anleihen blieben bestehen, Länder könnten nur eine begrenzte Menge Geld über Gemeinschaftsanleihen aufnehmen. Im Gegensatz zum zweiten Modell würde jeder Staat zudem nur anteilsmäßig für die gemeinsamen Schulden haften.
Der Vorteil dieses Modells: Da jeder Staat nur bis zu einem bestimmten Anteil haftet, wäre keine Vertragsänderung nötig. Das Modell ließe sich schnell umsetzen. Weil Staaten durch nationale Anleihen weiter auf das Wohlwollen von Investoren angewiesen sind, bliebe die disziplinierende Wirkung durch die Märkte erhalten.
Der Nachteil: Das Modell würde wohl von allen drei Varianten am wenigsten Erleichterung bei Zinsen bringen. Denn die Haftungsbegrenzung senkt zwar das Risiko für die Partnerländer, doch bei den Investoren dürfte diese Einschränkung eher zu Misstrauen führen. Es würde wohl keine Bestnote beim Rating geben, die Renditen würden dementsprechend nicht so stark sinken. Stabile Länder wie Deutschland würden sich wohl kaum über solche Bonds finanzieren.
Deutschland hält sich eine Hintertür offen
Von Begeisterung über die Anleihen-Modelle war in Berlin wenig zu spüren. Die Bundesregierung versprach immerhin diplomatisch höflich, die Euro-Bonds-Szenarien würden "gründlich studiert und ausgewertet".
Barrosos mögliches Kalkül: Er will Merkels Regierung langsam weichklopfen. Der Schuldenschnitt für Griechenland und die Sparprogramme in den Krisenländern haben die Märkte bisher nicht beruhigen können. Zudem kommen in der EU Zweifel auf, dass sich genug Investoren finden lassen, die mit ihrem Geld zur Hebelung des Rettungsfonds EFSF beitragen, damit dessen Schlagkraft erhöht wird. Also suchen die Euro-Retter mit den Gemeinschaftsanleihen nach einem weiteren Lösungsweg in der Schuldenkrise.
Und Deutschland hat sich bei den Euro-Bonds ein Hintertürchen offen gelassen. Stets betonen Merkel und ihre Mitstreiter, dass sie in Euro-Bonds "derzeit" oder "jetzt" nicht das Mittel zur Lösung der Krise sehen - was nicht ausschließt, dass ihre Zeit doch irgendwann kommen wird.