Globale Finanzmärkte Die Welt versinkt in Schulden

Nichts gelernt aus der Finanzkrise: Immer höher steigen die Schulden der globalen Wirtschaft. Der nächste große Crash ist nur noch eine Frage der Zeit.
IWF-Chefin Christine Lagarde: Becher halbvoll oder halbleer?

IWF-Chefin Christine Lagarde: Becher halbvoll oder halbleer?

Foto: Dave Hunt/ dpa

Wer keine Fehler macht, wagt zu wenig. Wer den gleichen Fehler immer wieder macht, dem ist nicht zu helfen. Die Finanzkrise von 2007/08 lässt sich vielleicht noch als Ausrutscher einer überoptimistischen Globalisierungseuphorie verstehen. Dass es seither genauso weitergeht, ist das eigentliche Drama.

Ein paar Zahlen: Die weltweit aufgelaufenen Schulden der Staaten und der Privatwirtschaft betrugen Ende 2007 stolze 107 Billionen Dollar, gut das Doppelte der globalen Wirtschaftsleistung. Seither ist viel von Schuldenabbau, von strenger Finanzmarktregulierung und von Sparen die Rede. Man darf sich davon nicht täuschen lassen. Geschehen ist tatsächlich das Gegenteil: Die Schulden sind weiter gestiegen, in einigen Ländern sogar explodiert, wie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich vorgerechnet hat. Bei unglaublichen mehr als 150 Billionen Dollar lagen sie Ende 2013, rund das Zweieinhalbfache des globalen Sozialprodukts.

Reichlich Gesprächsstoff für die Spitzen der globalen Finanzpolitik und der Finanzmärkte, die sich ab Mittwoch in Washington anlässlich der Herbsttagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank treffen und bei dieser Gelegenheit auch noch ein G20-Treffen abhalten. Denn die immer weiter steigenden Schulden

  • machen die Weltwirtschaft anfällig für die nächste große Krise,
  • behindern die Wachstumsdynamik,
  • sind der Stoff, aus dem ernsthafte Konflikte entstehen, innerhalb von Gesellschaften wie auch zwischen Staaten.

Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man meinen, die horrenden aufgelaufenen Verbindlichkeiten seien global irrelevant. Schließlich sind die Schulden des einen das Vermögen der anderen. Letztlich saldiert sich alles zu null. Was allerdings nicht heißt, dass es immer so weitergehen kann.

Wie der IWF in den kommenden Tagen darlegen wird, sind Verbindlichkeiten und Vermögen international höchst ungleichmäßig verteilt. Die Polarisierung in Schuldner- und Gläubigernationen spitzt sich dramatisch zu. 2006 hatte Spanien Nettoauslandsschulden von 860 Milliarden Dollar, heute sind es 1,4 Billionen. Italien hatte damals 450 Milliarden, heute 740. Die Türkei: damals 200 Milliarden, heute mehr als 400. Brasilien: damals 350 Milliarden, heute 750. Indien: damals 180 Milliarden, heute 480. Ach ja: Spitzenreiter USA hatte damals knapp 2 Billionen Dollar Auslandsschulden, heute sind es 5,7 Billionen.

Die Situation ist wacklig

Die alljährlichen außenwirtschaftlichen Defizite dieser Länder haben sich zu horrenden Beträgen summiert - in Höhen von bis zu 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (Indien). Die so entstehenden Schulden müssen ständig refinanziert werden. Verlieren die internationalen Gläubiger das Vertrauen in die Rückzahlungsfähigkeit einer Nation, können Finanzkrisen ausbrechen, die in einer Kettenreaktion andere Staaten mitreißen.

Die Situation ist wacklig. Und sie wird es lange bleiben. Hohe Schulden belasten die wirtschaftliche Dynamik. Unternehmen haben wenig Spielraum, Investitionen zu finanzieren. Private Haushalte in angespannter Finanzlage müssen Geld zurücklegen und Schulden abtragen, statt flott zu konsumieren. Die Regierungen müssen hohe Steuern verlangen und gleichzeitig Leistungen kürzen. All das dämpft die ökonomische Aktivität. Aus den Schulden herauszuwachsen, ist deshalb keine Option mehr. Inzwischen werden Teile der Euro-Zone vom Horrorszenario einer Schulden-Deflation verfolgt, weshalb die EZB nun ihre Bilanz mit großen Mengen an Kreditpapieren aufblähen will.

Früher war es so: Hochverschuldete Länder bekamen einen Schuldenerlass - die Gläubigernationen verzichteten einfach auf große Teile ihrer Forderungen. Damals, in den Achtzigerahren, aber ging es um kleine Volkswirtschaften und vergleichsweise niedrige Beträge. Heute hingegen würde ein Schuldenerlass riesige Löcher in die Bilanzen der Gläubiger reißen. Und zu diesen Gläubigernationen gehört auch Deutschland.

Der Sprengstoff, aus dem die nächste globale Krise sein wird

Neben Japan und China hat Deutschland die höchsten Forderungen an den Rest der Welt: 1,7 Billionen Dollar, knapp 50 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung. Für kleinere Überschussländer stehen, in Relation zur Wirtschaftsleistung, noch weit größere Beträge im Feuer: mehr als 140 Prozent an Forderungen gegenüber dem Ausland halten jeweils die Schweiz und Norwegen, mehr als 200 Prozent sind es für Hongkong und Singapur. Man kann solche Summen nicht einfach abschreiben. Der Vermögensverlust wäre zu groß.

Wenn also das Wachstum schwach bleibt und die Inflationsraten niedrig - wonach es derzeit weltweit aussieht -, werden die Schulden und die globale Vermögensbilanz weiter in Schieflage geraten. Es ist der Sprengstoff, aus dem die nächste globale Krise entstehen wird. Und sie wird noch größer sein als die vorige.

Soll niemand sagen, er habe von nichts gewusst.

Die wichtigsten Wirtschaftstermine der kommenden Woche

Montag

Berlin - Krisenvor- und -nachsorge - Die Bundesbanker Claudia Buch und Andreas Dombret laufen in den zuständigen Bundestagsausschüssen auf, um sich über anstehende Gesetzgebungsverfahren zum Euro-Rettungsfonds ESM und zur Bankenunion befragen zu lassen.

Dienstag

Tokio - Ganz locker - Die Bank of Japan entscheidet über die weitere Expansion der Geldpolitik.

Washington - Vorschau - Der IWF stellt seinen aktuellen Bericht zum Zustand der Weltwirtschaft vor.

Mittwoch

Mailand - Verlorene Generation - Europas Staats- und Regierungschefs sowie die zuständigen Fachminister tagen zur horrenden Jugendarbeitslosigkeit.

Pittsburgh - Auftakt der Berichtssaison - Wie immer eröffnet der Aluminiumkonzern Alcoa den Reigen der Zahlenpräsentation vom dritten Quartal.

Frankfurt - Lesezirkus - Die Frankfurter Buchmesse beginnt.

Donnerstag

London - Straffung - Die Bank of England berät über ihren weiteren geldpolitischen Kurs. Die Zeiten des ganz billigen Pfundes scheinen sich dem Ende zuzuneigen.

Washington - Globalsteuerung - G20-Treffen der Finanzminister und Notenbank-Chefs. Die Deutschen Wolfgang Schäuble und Jens Weidmann sind dabei.

Freitag

Berlin - Freiheit - oder nur Freihandel? - In Zeiten anschwellender Demokratieforderungen in Hongkong treffen sich mehr als zwei Dutzend chinesische und deutsche Minister, angeführt von ihren Regierungschefs Merkel und Li, zu Regierungskonsultationen.

Washington - Schönreden oder Gesundbeten? - Euro-Gruppen-Chef Dijsselbloem hält am Rande der IWF-Weltbank-Herbsttagung eine Rede über die "nächste Stufe der Erholung der Euro-Zone".

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