US-Gewerkschaften Vom Aussterben bedroht

Mitglieder weg, Einfluss weg: Amerikas Gewerkschaften schwächeln seit Jahrzehnten - und jetzt setzen Republikaner und Großindustrie zum Todesstoß an. Für Barack Obama bricht ein wichtiger Machtfaktor weg.
Gewerkschaftsboss Trumka: Herbe Niederlage für die Arbeitnehmervertreter

Gewerkschaftsboss Trumka: Herbe Niederlage für die Arbeitnehmervertreter

Foto: Jeff Chiu/ AP

Richard Trumka ist wütend. Jedenfalls sieht er auf dem Foto ziemlich wütend aus: Der Chef des US-Gewerkschaftsverbunds AFL-CIO hat den Mund aufgerissen, seine Augen sind zu Schlitzen verengt, die Brauen wirken geradezu verknotet. Er scheint gerade ein Schimpfwort auszuspucken.

Das Foto ist Blickfang einer ganzseitigen Anzeige in der "New York Times". Überschrift: "Warum ist Richard Trumka wütend?" Die Antwort ist klar: Die am Dienstag missglückte Abwahl des Republikaners Scott Walker, des gewerkschaftsfeindlichen Gouverneurs von Wisconsin, war eine herbe Niederlage für die Arbeitnehmervertreter.

Das Inserat nutzt das Wisconsin-Drama für einen landesweiten Schlachtruf: Es sei höchste Zeit, den Gewerkschaften den Garaus zu machen. Dieser Appell stammt von einer Gruppe namens Center for Union Facts, einer Tarnfirma des Lobbyisten Rick Berman aus Washington, der im Sold der US-Industrie steht. Gewerkschafter nennen ihn "Dr. Evil", nach dem Schurken aus den "Austin Powers"-Filmen.

Krieg der Rechten gegen die Gewerkschaften

Denn Berman spielt mit harten Bandagen: Das besagte Foto von Trumka ist völlig aus dem Zusammenhang gerissen, es stammt von 2011 und hat mit Wisconsin nichts zu tun. Doch solche Feinheiten bleiben im Krieg der Rechten gegen die Gewerkschaften schon mal auf der Strecke.

Es ist ein Krieg, den die Gewerkschaften zu verlieren drohen. Während der politische Einfluss der Wall Street immer stärker wird, sind die traditionsreichen "Unions" seit Jahrzehnten im Niedergang und drohen inzwischen sogar auszusterben. 2011 waren nur noch 11,8 Prozent aller US-Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert. Ist diese Entwicklung umkehrbar? "Wahrscheinlich nicht", fürchtet Ezra Klein in der "Washington Post". Titel seiner Kolumne: "Die Gewerkschaften kommen nicht zurück."

Das wiederum ist ein Problem für Präsident Barack Obama und die Demokraten. Deren stärkste Wählerbasis waren bisher die Gewerkschaften: Sie sammelten das meiste Wahlkampfgeld, sie mobilisierten die Massen, sie untermauerten Obamas Team mit einer Grassroots-Basis. Auch die bricht nun weg.

"Die Gewerkschaften sind jetzt vogelfrei"

"Dies ist ein Wendepunkt, ein historischer Moment", sagt der Arbeitsrechtsprofessor Gary Chaison. "Die Gewerkschaften sind jetzt vogelfrei."

Denn der sonst so progressive Staat Wisconsin, aus dem der Todesstoß kam, ist ein Mikrokosmos der gesamten USA. Auslöser des Showdowns war ein drakonisches Spargesetz vom März 2011, mit dem die Republikaner dort den Staatsdienern (Lehrer, Polizisten, Feuerwehrleute) das Tarifrecht entzogen. Aus Protest besetzten Zehntausende das Kapitol in der Landeshauptstadt Madison. Als das nicht half, fädelten Walkers Gegner einen "Recall" ein, einen vorzeitigen Abwahlantrag. Doch am Dienstag setzte sich Walker durch - mit 53,1 Prozent.

Es war ein teuer erkaufter Sieg: Walker verfeuerte dafür 30,5 Millionen Dollar, mehr als siebenmal so viel wie sein Demokraten-Gegner Tom Barrett, der langjährige Bürgermeister von Milwaukee. Dennoch kleidete Walker seinen Sturmlauf ins Mäntelchen der Zivilcourage: "Die Wähler wollen Anführer, die Stellung beziehen und harte Entscheidungen treffen."

Schon peilen die Konservativen beflügelt die nächsten Schlachtfelder an. "Wir müssen uns nicht länger von den Gewerkschaften herumschubsen lassen", frohlockt der republikanische Parteichef Reince Priebus.

Auch zahlreiche andere Bundesstaaten haben bereits die Tarifrechte für öffentliche Angestellte eingeschränkt, darunter Idaho, Indiana, Michigan, Nebraska, Nevada, New Hampshire, Ohio und Oklahoma. Unter dem Druck der Finanzklemme drohen ähnliche Gesetze in Florida, Pennsylvania und New Jersey. Kaliforniens demokratischer Gouverneur Jerry Brown will die staatliche Pensionsgrenze anheben, die Wähler in San Diego haben die Pensionen bereits gekürzt. Die Gewerkschaften schauen machtlos zu.

Der Zenit liegt weit zurück

Ihr Sturz kommt nicht über Nacht. Der Zenit ihres Einflusses liegt weit zurück: Mitte der fünfziger Jahre waren fast 40 Prozent aller Angestellten in den USA in einer Gewerkschaft oder genossen Tarifverträge. Selbst die in der US-Handelskammer organisierten Arbeitgeber hielten Tarifverhandlungen damals für "einen Bestandteil des demokratischen Prozesses".

Diese Konsenskultur ist längst Geschichte. Ab Ende der siebziger Jahre brach die Gewerkschaftsmitgliedschaft ein, auch in Folge von Korruptionsskandalen. Als 1981 die Fluglotsen streikten, machte Präsident Ronald Reagan kurzen Prozess und feuerte 11.345 von ihnen. Es war ein Signal an die Arbeitgeber, dass von nun an ein anderer Wind wehe - und der Anfang vom Ende der Gewerkschaften.

Der gewerkschaftliche Organisationsgrad sinkt zwar weltweit. In den USA aber ist dieser Trend stärker ausgeprägt als etwa in Deutschland, Großbritannien oder Japan. Neben der zunehmend gewerkschaftsfeindlichen Politik und den Verkrustungen in den Gewerkschaften selbst gibt es auch strukturelle Gründe für den Niedergang: Den Wandel der Wirtschaft von der Produktion zur Dienstleistung, begleitet vom Aufstieg arbeitnehmerfeindlicher Giganten wie Walmart.

Die jüngste Rezession und die öffentliche US-Schuldenkrise haben die Fronten noch weiter verhärtet. 2009 sank die Zustimmung der Amerikaner zu den Gewerkschaften erstmals überhaupt unter 50 Prozent. Am Dienstag stimmten in Wisconsin auch 38 Prozent der Haushalte, in denen Gewerkschaftsmitglieder leben, für den Gewerkschaftsgegner Scott Walker. Das zeigt, wie die "Unions" sogar in ihrer Kernklientel politisch an Halt verlieren.

Selbst Obama sieht die Zeichen: Aus dem verlorenen Kampf um Wisconsin hielt er sich betont heraus, unterstützte Barrett nur durch einen einzigen, mageren Aufruf - via Twitter. Haben die Gewerkschaften noch eine Chance auf eine Renaissance? "Schwer zu sehen", schreibt Joe Nocera, Kolumnist der "New York Times", "dass das in nächster Zeit passiert."

Kein Wunder, dass Richard Trumka wütend ist.

Mit Material von Reuters
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