Niedriglöhne Deutschland wird zur Minijobber-Republik

Altenpflege: Minijobs sind im Sozialwesen weit verbreitet
Foto: dapdMünchen - Schon bald könnte es vom deutschen Arbeitsmarkt eine neue Jubelmeldung geben: Viele Experten erwarten, dass die Arbeitslosigkeit unter die Marke von drei Millionen fällt. Doch ein genauerer Blick auf das deutsche Jobwunder sorgt für Ernüchterung. Denn laut "Süddeutscher Zeitung" (SZ) arbeiten immer mehr Menschen in Deutschland als Minijobber.
Diese Beschäftigten verdienen nicht mehr als 400 Euro im Monat und müssen keine Steuern und Sozialbeiträge zahlen. Ende September 2010 gab es mehr als 7,3 Millionen Menschen mit so einem geringfügig entlohnten Job, berichtete die Zeitung jetzt unter Berufung auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA). Das seien fast 1,6 Millionen mehr als 2003. Damals lockerte die rot-grüne Bundesregierung die Regeln für Minijobs.
Nach Angaben der BA ist inzwischen jedes vierte Beschäftigungsverhältnis ein geringfügig entlohntes. Knapp fünf Millionen arbeiten demnach ausschließlich als Minijobber. Mehr als zwei Millionen hätten schon eine Stelle und verdienen zusätzlich bis zu 400 Euro im Monat dazu. Bei diesen Nebenjobbern ist der Anstieg laut der Statistik besonders stark: Ihre Zahl habe seit 2003 um mehr als eine Million zugenommen.
Laut der Statistik sind vor allem im Groß- und Einzelhandel, in Restaurants und Hotels sowie im Gesundheits- und Sozialwesen die 400-Euro-Jobs weit verbreitet. Fast jeder zweite Arbeitsplatz in der Gastronomie ist demnach inzwischen ein Minijob.
"Die Minijobs haben sich als Irrweg erwiesen"
Weder Gewerkschaften noch Arbeitgeber sind mit dem Minijob-Boom zufrieden - im Gegenteil. "Die Minijobs haben sich als Irrweg erwiesen", sagte Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Für viele Arbeitssuchende seien sie "eher eine Falle im Niedriglohnsektor als eine Hilfe". Vor allem für Frauen hätten sich durch die Aufteilung von Arbeitsplätzen in Minijobs die Eingliederungschancen verschlechtert.
Der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) sind vor allem die Regeln für die Verdienstanrechnung bei Hartz-IV-Empfängern mit Minijob ein Dorn im Auge. Hier gebe es "massive Fehlanreize". Weil der Staat kleine Erwerbseinkommen begünstige, "ist es attraktiv, Hartz IV nur mit einem geringen legalen Hinzuverdienst zu kombinieren, statt zügig einen Vollzeitjob zu suchen", sagte ein BDA-Sprecher.
Auch Forscher sehen die Minijobs nur in den seltensten Fällen als Vorstufe für höher bezahlte Stellen. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung nannte den Minijob-Boom eine "gravierende Fehlentwicklung". Der Staat stelle "ohne sachlichen Grund" Nebenjobber von Sozialbeiträgen und Steuern frei. Zudem habe sich sogar während der Wirtschaftskrise die Zahl derjenigen erhöht, die ausschließlich mit einem Minijob Geld verdienen. "Ein Übergang auf eine Vollzeit- oder Teilzeitstelle mit mehr Stunden gelingt aber selten", sagte WSI-Arbeitsmarktforscher Alexander Herzog-Stein der "SZ".
Forscher der Universität Duisburg-Essen stellten zudem fest, dass Minijobber häufig benachteiligt werden - auch wenn für sie die gleichen Arbeitnehmerrechte gelten wie für vergleichbar andere Beschäftigte. Minijobber wüssten aber oft nicht um ihre Ansprüche oder trauten sich nicht, diese einzufordern, erklärten die Forscher. Als Beispiel führten sie den sächsischen Einzelhandel an: Dort bekämen Minijobber zum Teil nur die Hälfte des Tariflohns und meist kein Urlaubsgeld oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.