Proteste auf Zypern "Warum sind wir denn jetzt schuld?"

Heftige Proteste vor dem Parlament in Nikosia: "Der Kapitalismus macht uns kaputt"
Foto: YORGOS KARAHALIS/ REUTERSDie Menschen in Zypern sind empört. Sie sind die ersten, die mit ihrem eigenen Ersparten in der Euro-Krise für die Rettung der Banken aufkommen sollen, und sie wollen das nicht hinnehmen. Die Stimmung in der Hauptstadt ist aufgeheizt. Der größere Spielraum, den die Euro-Gruppe der Regierung in Nikosia nun einräumt, wird den Bürgern nicht reichen.
Im Café d'Avila sitzen junge Zyprer am späten Montagabend zusammen, trinken Bier und rauchen Wasserpfeife. Die Zwangsabgabe auf zyprische Vermögen wird an den Tischen hier diskutiert. Klar ist: Alle sind dagegen. Die Abgabe ist "undemokratisch", schimpft Alecos. Der 28-jährige Lehrer hat kein großes Vermögen, ihm geht es ums Prinzip: "Die einfachen Bürger müssen zahlen, dabei können sie nichts dafür, dass die Banken pleite sind." Marina, eine Werberin, stimmt ihm zu und betont, dass es egal sei, über welche Summen verhandelt wird: "Es kann doch nicht sein, dass die Troika einfach entscheidet, den Bürgern etwas wegzunehmen!" Es dürfe nicht der erste Schritt sein, Sparer zu enteignen - egal ob sie 10.000 oder 100.000 Euro hätten.
Die Troika ist im d'Avila das Feindbild, obwohl die jungen Zyprer eigentlich viel von Europa halten. "Der Kapitalismus macht uns kaputt", sagt Dimitri. Der 32-jährige Verkäufer würde einen zyprischen Austritt aus dem Euro dem Schrecken ohne Ende, also mit immer neuen Auflagen verbundenen Rettungspaketen, vorziehen. Darüber streiten sie an diesem Abend leidenschaftlich im Café, mit der Wasserpfeife auf dem Tisch. Einig sind sie sich jedoch darin, dass es vor allem die Bundesregierung ist, die für das Leid der südeuropäischen Euro-Länder verantwortlich ist - die Namen Angela Merkel und Wolfgang Schäuble kennen hier alle.
"Natürlich muss etwas passieren"
Einige der Cafébesucher haben am Nachmittag vor dem Parlament demonstriert. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte sich dort eine Menge versammelt, die zeigte, dass sie ernsthaft verärgert ist: Seit vergangenem Samstag bekommen die Zyprer kein Geld mehr aus den Bankautomaten, und sie sollen auf einen Teil ihres Vermögens verzichten, um das zyprische Finanzsystem zu retten. Die Menschen standen vor dem zyprischen Parlamentsgebäude, vielleicht 300 Demonstranten, hielten Plakate in die Luft und schrien ihre Wut raus. Gegen den eigenen Präsidenten Nikos Anastasiades, vor allem aber gegen Europa, gegen die Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF.
Die Wut war groß, das Verständnis für die Zwangsabgabe klein: "Natürlich muss etwas passieren", sagte die Anwältin Cassandra Konpari, "aber sie können uns doch nicht alle dafür bestrafen, dass es den Banken schlecht geht." Sie, das sind die anderen in Europa, vor allem die Deutschen. Konpari demonstriert zum ersten Mal vor dem Parlament und sie hofft, dass der Protest etwas bewirkt. Die 30-Jährige schlägt vor, in Zypern den griechischen Weg zu gehen: Gehaltserhöhungen der Beamten aussetzen, Staatseigentum privatisieren und überall mehr sparen. Sie steht mit ihrer Freundin Marina Lavithia hier, ebenfalls 30 Jahre alt, ebenfalls Anwältin. Lavithia versteht, dass die EU gegen die angebliche Geldwäsche und das Schwarzgeld in Zypern vorgehen will, "aber sie wollen die Russen treffen und schlagen uns", klagt sie.
"Man muss sich fast schon schämen, ein Deutscher zu sein"
Dass der griechische Weg als Vorbild für eine erfolgreiche Krisenbewältigung taugt, ist unter den Demonstranten umstritten. Überhaupt ist sich die bunte Menge aus Alten und Jungen, Erfolgreichen und Arbeitslosen nur darin einig, dass sie die Zwangsabgabe ablehnen. Die einen fordern Neuwahlen, die anderen die Abkehr vom Kapitalismus. Mit ihrem Protest aber wollen sie die Politik im eigenen Land und im Rest von Europa unter Druck setzen.
Die Stadt nahm von dem Aufstand kaum Notiz. Nicht einmal der Verkehr staute sich. Nur zwei Polizeiwagen sperrten die Straße vor dem Parlament ab, nur vereinzelt waren Polizisten zu sehen. "Fuck Europe", "Hands Off Cyprus", "Hang the Banksters" - die Parolen auf den Plakaten waren wütender als die Stimmung. Die Demonstranten waren indes überrascht, dass so viele gekommen sind. Schließlich war Montag ein Feiertag, die Menschen in Zypern nutzten das lange Wochenende um wegzufahren, sich mit der Familie zu treffen. Sie kritisierten die Regierung dafür, die Parlamentsentscheidung ausgerechnet auf diesen Tag zu legen - andererseits sind sie sich unsicher, ob an einem Arbeitstag wieder so viele Menschen zusammenkommen.
Trotzdem haben die Proteste schon etwas bewegt. Immerhin haben die Euro-Finanzminister dem zyprischen Parlament am Montagabend mehr Spielraum eingeräumt in der Frage, welche Guthaben mit einer Zwangsabgabe belegt werden.
Doch das wird die Demonstranten wohl nicht besänftigen. Die Schuldigen müssten zahlen, zitieren viele von ihnen Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Warum aber sind wir denn jetzt schuld?", fragte der 67-jährige Rentner Giorgios vor dem Parlament.
Tatsächlich wächst der Hass auf die Bundesregierung, ein Plakat mit der Aufschrift "Merkel & Schäuble, go home and stay" hatte allerdings ausgerechnet ein Deutscher um den Hals hängen. Robert Baier ist mit einer Zyprerin verheiratet und lebt in Nikosia. "Man muss sich fast schon schämen, ein Deutscher zu sein", sagt der 37-Jährige. Er nennt die Beteiligung der Kleinsparer undemokratisch und gefährlich. Seine Frau Andia Stylianou-Baier hat in Deutschland studiert, sie nennt das Land ihre zweite Heimat: "Ich war immer die beste Botschafterin für Deutschland", sagt sie. Das sei jetzt vorbei.
Kurz nachdem es dunkel wurde, sind die Demonstranten abgezogen. Sie haben etwas bewegt, das ist jetzt klar. Es wird ihnen aber nicht reichen.