Nobelpreisträgerin Ostrom Die Frau, die bei Fischern forscht

Es ist eine historische Entscheidung. Elinor Ostrom ist die erste Frau, die den Nobelpreis für Wirtschaft erhält. Aus gutem Grund: Die US-Forscherin ist der Frage nachgegangen, wie sich knappe Ressourcen am besten verteilen lassen - eines der drängendsten Probleme unserer Zeit.
Nobelpreisträgerin Ostrom: Eine leidenschaftliche, humorvolle und unkomplizierte Frau

Nobelpreisträgerin Ostrom: Eine leidenschaftliche, humorvolle und unkomplizierte Frau

Foto: JOHN SOMMERS II/ REUTERS

Hamburg - Sie war mal wieder voll in ihrem Element: Mehrere Tage diskutierte Elinor Ostrom im Frühjahr 2007 an der Universität Freiburg mit Doktoranden aus ganz verschiedenen Disziplinen - vom Forstwirt über den Politologen bis hin zum Ökonomen. Es ging um den Nutzen verschiedener Wirtschaftstheorien - und die Frage, wie sich knappe Ressourcen am besten verteilen lassen.

Leidenschaftlich, humorvoll, unkompliziert - so haben die Teilnehmer der "Summer School" die Wissenschaftlerin noch heute in Erinnerung. Die temperamentvolle und herzliche Mittsiebzigerin, von deren Expertise alle beeindruckt waren, durfte jeder ganz selbstverständlich "Lin" nennen. "Damals dachte ich: 'Wenn endlich mal eine Frau den Nobelpreis gewinnt, dann wird das Ostrom sein'", sagt der Ökonom Michael Wohlgemuth, der am Freiburger Walter-Eucken-Institut forscht.

Sie hat die Männerdominanz gebrochen

Er sollte recht behalten: Es hat lange gedauert, aber bei der 41. Vergabe des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften kam erstmals eine Frau zum Zuge. Zusammen mit dem ebenfalls aus den USA stammenden Ökonomen und Rechtswissenschaftler Oliver Williamson wurde er Ostrom am Montag zugesprochen.

Die schwedischen Juroren, ganz überwiegend Männer, dementierten angesichts ihrer historischen Entscheidung schnell, dass sie eine Auswahl nach Geschlecht getroffen hätten. "Wir dürfen da nicht taktisch denken: Ob Frau, Mann, Amerikaner, Nichtamerikaner, Rechte, Linke. Ostrom hat den Nobelpreis nicht wegen ihres Geschlechts bekommen, sondern ausschließlich für Verdienste um die Forschung", sagte Komiteemitglied Mats Persson.

Und man würde Ostrom auch unrecht tun, ihre Bedeutung für die Wirtschaftswissenschaften darauf zu reduzieren, die Männerdominanz beim Nobelpreis gebrochen zu haben - also so etwas wie die Angela Merkel der Ökonomie zu sein. Denn die Auszeichnung der Amerikanerin markiert vor allem zweierlei: eine weitere Entideologisierung des Nobelpreises und den zunehmenden Sieg von praxisrelevanter Forschung über die abstrakte Theorie.

Sie macht ihre Arbeit - ohne viel Aufhebens

Ostrom repräsentiert so etwas wie die "Neue Mitte" der Wirtschaftswissenschaften. Sie lässt sich weder der klassisch-verbalen Ausrichtung zuordnen, die stets die praktische Relevanz der Forschung für die Politik im Blick hat, noch allein auf die mathematisch-präzise Ökonomie reduzieren, die das Geschehen der Welt vornehmlich in sperrige Formeln presst.

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Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften: Die Preisträger seit 1999

Foto: AFP / University of Stockholm

Dass Ostrom ideologisch nicht festgefahren ist, also mehr die Grautöne ihrer Disziplin vertritt als ein Schwarzweiß-Schema zu repräsentieren, liegt wohl auch daran, dass sie ausgebildete Politikwissenschaftlerin ist. 1965 machte Ostrom ihren Doktor an der University of California in Los Angeles und wechselte danach zur Indiana University in Bloomington. Ein Ort, an dem sie sich zur Grenzgängerin zwischen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften entwickelte - und an dem sie noch immer aktiv ist.

"Lin ist eine echte Wissenschaftlerin, die vor allem die Frage umtreibt, warum etwas so ist, wie es ist", sagt Claudia Keser, Ökonomin an der Universität Göttingen, die Ostrom aus der Forschung kennt. Angesichts dieser unprätentiösen Grundhaltung passt es, dass Ostrom fast nie die Öffentlichkeit sucht - und schon gar nicht zwanghaft versucht, Gehör zu finden.

Die 76-Jährige macht einfach ihre Arbeit - ohne viel Aufhebens.

Das Problem der Allmende-Güter

Und das ausgesprochen erfolgreich: Trotz ihres Wirkens im Hintergrund hat sie sich über die Jahrzehnte zu einer der renommiertesten Umweltökonomen entwickelt. Vor allem, weil sie der Frage nachgegangen ist, wie gemeinschaftliches Eigentum von Nutzern erfolgreich verwaltet werden kann.

Was nach einer eher bürokratischen Problematik klingt, ist eine der spannendsten Herausforderungen der Gegenwart. Denn dahinter steckt nicht weniger als die Frage, wie knappe Ressourcen am besten genutzt werden.

In der Wissenschaft sind die Güter, bei denen eine Rivalität zwischen den Nutzern besteht, aber niemand von der Nutzung wirklich ausgeschlossen werden kann, als Allmende-Güter bekannt. Das Problem daran lässt sich am Phänomen der Überfischung leicht skizzieren: Zwar ist jedem Fischer, der halbwegs bei Sinnen ist, bewusst, dass er durch Überfischung seinen Job riskiert. Trotzdem handelt er rational, wenn er mit möglichst vielen Booten aufs Meer fährt. Denn was er nicht im Netz hat, holt sich die Konkurrenz.

Mit anderen Worten: Es ist für jeden Einzelnen rational, wenn er aus Sicht der Gemeinschaft irrational handelt. Zumindest dann, wenn es kein klares Regelwerk gibt. Das gilt nicht nur bei der Fischerei, auf Kuhweiden in den Bergen und beim Wasserverbrauch. Auch bei der Suche nach wirksamen Mechanismen gegen den Klimawandel ist das Phänomen zu beobachten.

Klare Regeln definiert

Ostrom ist deshalb der Frage nachgegangen, welcher Regeln es bedarf, damit es nicht zur Übernutzung von Ressourcen und somit auch zur Selbstschädigung aller kommt. Dazu hat sie sich jedoch nicht in ihrem wissenschaftlichen Elfenbeinturm verkrochen, sondern unter anderem Almbauern und Fischer in aller Welt besucht, die zum Teil seit einer gefühlten Ewigkeit funktionierende Vereinbarungen zur Lösung des Allmende-Dilemmas getroffen haben.

Die Prinzipien, die Ostrom herausgearbeitet hat - unter anderen müssen alle Betroffenen bei der Festlegung der Regeln mitwirken, die Vereinbarungen müssen klar sein, ihre Einhaltung muss überwacht und Fehlverhalten sanktioniert werden - ist damit das Ergebnis umfangreicher Feldforschung. Diese hat sie später noch durch experimentelle Forschung ergänzt - dabei wurde sie vor allem von Reinhard Selten inspiriert, der 1994 für seine Erkenntnisse in der Spieltheorie als bislang letzter Deutscher mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Oft finden die Leute vor Ort die beste Lösung

Ein Beispiel, wie sich das Dilemma der Überfischung lösen lässt, gibt es in der Türkei: Dort haben Fischer in einem Ort eine Art Kooperative gegründet, in der jeder einen bestimmten Meeresabschnitt zugeteilt bekommt. Weil die Bereiche unterschiedlich attraktiv sind, rotieren die jeweiligen Seegebiete zwischen den Betroffenen. So bekommt jeder eine faire Chance - und gleichzeitig werden alle Fischer von ihren Konkurrenten überwacht.

Wie das Beispiel zeigt, ist Ostrom in ihrer praxisorientierten Forschung auch zu der Erkenntnis gekommen, dass die Menschen vor Ort oft die besten Lösungen für ihre Probleme finden. Damit hat die Wissenschaftlerin nachgewiesen, dass weder der Staat noch der Markt - wie es viele ihrer Kollegen behaupten - in der Regel zu den besten Ergebnissen führt.

Ostrom versteift sich nicht in der Feststellung, dass die Betroffenen immer die beste Lösung für ihr Problem sind. Da ist sie in ihrer Ideologiefreiheit konsequent. Sie geht vielmehr vorurteilsfrei der Frage nach, wann welche Lösung wirklich die beste ist.

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