Ökonomen zum Referendum "Die Euro-Zone stünde vor einem Scherbenhaufen"

Deutsche Ökonomen warnen vor katastrophalen Folgen für Europa, sollten die Griechen gegen das Rettungspaket stimmen: Das Land ginge pleite, andere Staaten würden vom Dominoeffekt erfasst. Aber: Die Politik wäre gezwungen, endlich Regeln für den Worst Case zu entwickeln.
Welche Folgen hätte ein negatives Votum?

Welche Folgen hätte ein negatives Votum?

Foto: Alkis Konstantinidis/ dpa

Hamburg - Das Pleite-Szenario für Griechenland war nur für kurze Zeit vom Tisch. Gerade mal vier Tage sorgten die Beschlüsse der europäischen Regierungschefs für Entspannung in der Schuldenkrise. Selbst die Bankmanager, deren Unternehmen zur Kasse gebeten werden, begrüßten den Euro-Rettungsplan.

Doch nun stellt eine simple Ankündigung des griechischen Premiers alles wieder auf den Kopf: Georgios Papandreou plant, seine Bürger über den Deal mit den Rettern abstimmen zu lassen. Das sei "demokratisch und höchst patriotisch", verteidigt der Regierungschef den Schritt.

An den Märkten sorgte Papandreous Vorstoß am Dienstag jedoch für Entsetzen: Die europäischen Börsen stürzten ab, der Dax   verlor zeitweise knapp sechs Prozent und notierte bei 5795 Punkten. Zu den größten Verlierern gehörten die Banken: Aktien der Deutschen Bank   und der Commerzbank   etwa brachen zeitweise um mehr als zehn Prozent ein. Der Grund ist klar: Die Anleger befürchten, dass die Schuldenkrise bei einem negativen Votum der Griechen eskaliert.

Doch wie könnten die Folgen eines Neins im Detail aussehen? Und warum greift Papandreou überhaupt zu diesem riskanten Mittel? SPIEGEL ONLINE hat renommierte Ökonomen nach ihrer Meinung gefragt. Die Antworten im Überblick:

Michael Hüther, Institut der deutschen Wirtschaft: "Selbstmord aus Angst vor dem Tod"

Foto: dapd

Was halten Sie von Papandreous Entscheidung, das Volk zu fragen?

Der Schritt wirkt ein bisschen wie politischer Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Doch klar ist auch: Die griechische Regierung hat große Probleme, die Bevölkerung von ihrem Sparkurs zu überzeugen. Teile der Finanzpolitik wurden bereits schrittweise an die europäischen Partner abgetreten. Diese Bedingung für die Hilfen ist angesichts der schwindenden Akzeptanz in den Zahlerländern politisch ebenso unvermeidbar, wie sie ökonomisch mit Blick auf die Disziplinierung des Schuldners richtig ist.

Doch die finanzpolitische Entmündigung geht weiter. Das ist der Preis für die in der vergangenen Woche gefundene Lösung, letztlich für die Abschirmung des Landes vom Kapitalmarkt. Das Ziel ist, die notwendige Zeit für den Umbau der Staatsfinanzen wie der Volkswirtschaft zu gewinnen. Die griechischen Bürger von dem Sinn dieser Strategie zu überzeugen, bedarf mit Sicherheit einer anderen Beteiligung, als es bisher über das Parlament und die Straße geschah. Insoweit kann man Papandreou verstehen. Doch die Risiken sind erheblich - politisch für ihn, ökonomisch für uns alle.

Was würde ein Nein der Griechen bedeuten?

Bei einem Nein droht das, was die Euro-Partner mit ihren Beschlüssen vermeiden wollten. Die Kreditausfallversicherungen würden greifen, wellenhafte Dominoeffekte durch das Finanzsystem wären zu erwarten. Die Euro-Zone stünde vor einem Scherbenhaufen, denn das Scheitern aller bisherigen Lösungsversuche würde die gemeinsame Währung in ihrer Existenz bedrohen. Die Verunsicherung der Investoren und der Konsumenten - nicht nur in der Euro-Zone - wäre so tiefgreifend, dass ein gravierender Einbruch der Wirtschaftsleistung folgen würde. Der Glaubwürdigkeitsverlust Griechenlands an den internationalen Kapitalmärkten würde die wirtschaftliche Anpassung dramatisch verschärfen und auf Jahre verlängern. Europa müsste einen neuen Antritt finden, die europäischen Verträge müssten neu geschrieben werden. Diese Risiken überwiegen gegenüber dem möglichen Gewinn an politischer Legitimation.

Kai Carstensen, Institut für Wirtschaftsforschung: "Griechenland würde ins Chaos stürzen"

Was halten Sie von Papandreous Entscheidung, das Volk zu fragen?

Foto: dapd

Papandreou braucht dringend eine innenpolitische Legitimation für seinen Kurs. Nur so erscheinen Reformen im für Griechenland notwendigen Ausmaß durchführbar. Ein Referendum ist daher sinnvoll, zumal auch die Opposition dann endlich Farbe bekennen muss. Vielleicht könnte es sogar der Beginn einer "Regierung der nationalen Einheit" sein.

Was würde bei einem Nein in Griechenland passieren?

In einer Demokratie gibt es keine alternativlosen Entscheidungen. Das Volk hat das Recht, finanzielle Unterstützung und Reformvorschriften von außen abzulehnen - mit allen Folgen. Denn wenn die europäische Politik ihre eigenen Regeln nur ein wenig ernst nähme, würde eine Ablehnung das Ende der Hilfszahlungen bedeuten.

Griechenland wäre pleite und müsste alle Zins- und Tilgungszahlungen einstellen. Auch intern könnte die Regierung nicht mehr alle Verpflichtungen erfüllen. Rentner, Sozialhilfeempfänger und staatlich Bedienstete würden das als Erste zu spüren bekommen. Zudem würde sich die Kapitalflucht verstärken, weil die griechischen Banken, die in großem Umfang dann vollkommen wertlose Staatsanleihen halten, vor dem Aus stünden.

All dies würde das Land nicht nur tiefer ins wirtschaftliche Chaos stürzen, sondern auch das demokratische System einer schweren Belastungsprobe aussetzen. Dennoch wäre nicht alles verloren: Griechenland könnte aus der Euro-Zone austreten, abwerten und wieder wettbewerbsfähig werden. Auf anderem Weg würde es ohne die europäischen Hilfszahlungen auf absehbare Zeit wohl nicht mehr auf die Beine kommen.

Was würde ein Nein für die Euro-Zone bedeuten?

In der Euro-Zone wären alle Rettungspakete für Griechenland und die europäischen Banken Makulatur. Die Staaten müssten ihren Bürgern erklären, wie allen Beteuerungen zum Trotz aus Garantien Verluste werden konnten. Die Einsicht, dass die europäische Rettungsorgie gescheitert ist, hätte daher auch innenpolitische Auswirkungen in Deutschland.

Sie hätte aber vor allem Konsequenzen für die europäische Krisenstrategie. Statt immer größere Rettungspakete zu schnüren, müsste die Politik endlich konkret über eine Insolvenzordnung für Staaten beraten. Und sie müsste Verfahrensregeln zum Ausstieg aus dem Euro - sowohl freiwillig als auch erzwungen - auf den Weg bringen. Vielleicht würde sie dann sogar zu der Erkenntnis kommen, dass eine gemeinsame Währung keine Schicksalsgemeinschaft begründet.

Jens Boysen-Hogrefe, Institut für Weltwirtschaft: "Ein Ja könnte das Land stabilisieren"

Was halten Sie von Papandreous Entscheidung, das Volk zu fragen?

Foto: IFW

Die Regierung Papandreou geht ein großes Risiko ein. Allerdings hat sie auch eine Menge zu gewinnen. Falls im Prozess der Abstimmung den griechischen Bürgern klar vermittelt werden kann, dass bei einem Nein alles noch schlimmer kommen kann, könnte dies die Schlagkraft der Reformen deutlich erhöhen und für die dringend benötigte politische Stabilität sorgen.

Was würde bei einem Nein in Griechenland passieren?

Wenn die griechischen Bürger aber gegen das Sparprogramm stimmen, dürfte dies erhebliche Konsequenzen haben. Die internationalen Geldgeber wären gezwungen, ihre Hilfen einzustellen. Griechenland könnte seinen Schuldendienst nicht mehr aufbringen. Eine Pleite der griechischen Banken wäre wohl unausweichlich. Da weiterhin die laufenden Ausgaben höher sind als die laufenden Einnahmen, wäre auch die Auszahlung von Gehältern und Renten in Gefahr. Die soziale Lage der Bürger dürfte sich dramatisch zuspitzen.

Was würde ein Nein für die Euro-Zone bedeuten?

Einen automatischen Ausstieg aus dem Euro gäbe es nicht. Dass Griechenland nach einem Nein im Referendum freiwillig aus dem Euro aussteigt, halte ich zwar für nicht wahrscheinlich, aber für denkbar. Der Zahlungsausfall Griechenlands wäre auf jeden Fall ein sogenanntes Kreditereignis. Kreditausfallversicherungen müssten zahlen. Es käme zu Verlusten im Finanzsystem, von denen derzeit unklar ist, wer sie tragen wird.

Es bleibt zu hoffen, dass die Bankenrekapitaliserung hier rechtzeitig Abhilfe schaffen kann. Die Unsicherheiten im Zuge der Schuldenkrisen anderer Länder dürften weiter steigen, insbesondere wenn Griechenland den Euro verlässt. Schlimmstenfalls könnten die Bürger in Ländern wie Portugal, Irland, Italien oder gar Spanien die Banken stürmen. Dann dürfte nur noch die EZB die Möglichkeit haben, die Krise aufzuhalten.

Gustav Horn, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung: "Papandreous Entscheidung war ein Geniestreich"

Was halten Sie von Papandreous Entscheidung, das Volk zu fragen?

Foto: Tim Brakemeier/ picture-alliance/ dpa

Man kann die Reaktion des griechischen Premiers getrost als Geniestreich oder zumindest als angemessen bezeichnen. Es war im Grunde überfällig, dass endlich das griechische Volk nach seinem Willen gefragt wird. Zu gravierend sind die Belastungen, die dem griechischen Volk zugemutet werden, als dass sie allein durch Parlamentsentscheide zu legitimieren wären. Nicht zuletzt geht es um die Frage, ob Griechenland überhaupt Mitglied des Euro-Raums bleibt.

Was würde ein Nein der Griechen bedeuten?

Ginge das Referendum negativ aus, wäre es mehr als zweifelhaft, dass Griechenland den Euro behält. Mindestens stünden Neuverhandlungen über Rettungsmaßnahmen an, aber welche Regierung eines Geberlandes würde sich und ihren Wählern dies noch zumuten? Am Ende steht dann wahrscheinlich die Insolvenz mit all ihren dramatischen Folgen für Griechenland wie für den Rest des Euro-Raums.

Es besteht aber auch die Chance, dass das Referendum positiv ausgeht. In diesem Fall wäre deutlich geworden, dass die heftigen Demonstrationen vor allem das Werk von Interessengruppen sind, nicht aber Ausdruck des Willens der Gesamtbevölkerung. In diesem Fall hätte die Regierung die volle Legitimation zum Verbleib im Euro-Raum und zur Durchsetzung der hierfür notwendigen Sanierungsprogramme. Dies wäre dann ein historisch bedeutsamer Beitrag zur Stabilisierung des Euro-Raums.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren