Streit über Schuldenbremse "Scholz zieht mit der Gießkanne Richtung Süden"

Wollte nicht allen helfen: Finanzminister Scholz
Foto: EMMANUEL DUNAND / AFPDie Pläne von Olaf Scholz (SPD) für eine Entlastung besonders finanzschwacher Kommunen die Schuldenbremse zu lockern, stoßen sowohl beim Koalitionspartner als auch in den Ländern auf erhebliche Kritik. "Ich halte nichts von der Entwicklung, im Wochenrhythmus Ausnahmen von der Schuldenbremse für dies oder das zu fordern", sagte der hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) dem SPIEGEL. Eine Beteiligung des Bundes an der Schuldentilgung sei auch "ohne eine Grundgesetzänderung möglich".
Am Mittwoch war bekanntgeworden, dass Scholz eine kurzzeitige Aussetzung der Schuldenbremse plant. Dies könnte dem Bund ermöglichen, besonders hoch verschuldeten Städten und Gemeinden einen Teil ihrer Verbindlichkeiten abzunehmen. Scholz‘ Entschuldungsplan ist schon länger bekannt, doch von einer möglichen Aussetzung der Schuldenbremse war bislang keine Rede.
Entsprechend groß ist der Ärger beim Koalitionspartner, wo man von einer "massiven Provokation" durch Scholz spricht. Die Union hatte die Schuldenbremse 2009 zusammen mit der SPD beschlossen. Damals schnürte Deutschland im Kampf gegen die Finanzkrise milliardenschwere Konjunkturpakete und wollte signalisieren, dass seine Schulden nicht endlos weiterwachsen würden. Wenn die Regel nun einmalig gelockert werde, drohe ein Dammbruch, heißt es aus der Unionsfraktion. "Das ist eine Prinzipienfrage."
Die Schuldenbremse erlaubt dem Bund in wirtschaftlich guten Zeiten eine Neuverschuldung von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, was aktuell rund zwölf Milliarden Euro entspricht. Scholz will besonders finanzschwachen Kommunen die Hälfte ihrer kurzfristigen Darlehen abnehmen, die auch als Kassenkredite bezeichnet werden. Das entspräche einer Summe von rund 22 bis 23 Milliarden Euro. Der Spielraum der Schuldenbremse würde also deutlich überschritten.
Wie fair ist der Entschuldungsplan?
Profitieren würden von der Entlastung drei Bundesländer mit besonders hoch verschuldeten Kommunen: Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Hinzu kommt nach SPIEGEL-Informationen Hessen. Das Land steht eigentlich vergleichsweise gut da, weil es im vergangenen Jahr bereits einen eigenen Fonds für verschuldete Kommunen – die sogenannte Hessenkasse – eingerichtet hatte. Für diesen Fonds soll es nun ebenfalls Hilfen des Bundes geben.
Trotz der Landeshilfen hätten viele hessische Kommunen ihre Altschulden erst in Jahren oder Jahrzehnten getilgt, argumentiert Finanzminister Schäfer. "Hessen und seine Kommunen müssen also ebenso berücksichtigt werden, wenn der Bund nun auch in die Verantwortung geht und sich an der Schuldentilgung beteiligt."
Doch ist es überhaupt fair, wenn nur Kassenkredite zur Grundlage der Entschuldung werden? Nein, findet man etwa in Schleswig-Holstein, nach dem Saarland das am zweithöchsten verschuldete Flächenland. "Olaf Scholz hat bei den Kommunen große Erwartungen geweckt, nun ist ihm scheinbar das Geld ausgegangen und er will seine Zusage schuldenfinanziert einlösen", sagte die schleswig-holsteinische Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) dem SPIEGEL.
"Mit dem Vorschlag des Bundesfinanzministers wären diejenigen die Dummen, die ihre Kommunen in den letzten Jahren fair behandelt haben, auch zu Lasten einer höheren Landesverschuldung", so Heinold weiter. "Unser Land kann nicht akzeptieren, wenn der Bundesfinanzminister mit der Gießkanne Richtung Süden zieht und den hoch verschuldeten Norden ausspart." Auch Bayern, Baden-Württemberg und die ostdeutschen Bundesländer haben längst eigene Ansprüche angemeldet.
Für eine Grundgesetzänderung braucht Scholz jedoch eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Um die zu bekommen, wird es voraussichtlich nicht bei den Hilfen für Kassenkredite bleiben - das zeichnet sich nach Gesprächen von Scholz' Staatssekretär Rolf Bösinger mit den Ländern ab. In einem zweiten Schritt dürfte Scholz auch den übrigen Ländern mehr oder weniger große Entlastungen gewähren. Dann würde sich bewahrheiten, wovor Kritiker von Scholz‘ Entschuldungsplan frühzeitig gewarnt hatten : Aus einer begrenzten Hilfsaktion würden ein teurer Finanzpoker.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels wurde der aktuelle Spielraum der Schuldenbremse mit 6,6 Milliarden Euro beziffert, er beträgt aber rund 12 Milliarden Euro. Der Fehler beruhte auf einer falschen Agenturangabe, wir haben ihn korrigiert.