Politisches Patt in Rom Italiens Chaos-Wahl wird zur Gefahr für Europa

Politisches Patt in Rom: Italiens Chaos-Wahl wird zur Gefahr für Europa
Foto: REMO CASILLI/ REUTERSHamburg - Der Schock kam mit Verzögerung: Erst am Dienstagmorgen erkannten die Anleger an den Finanzmärkten, was das Drama der italienischen Parlamentswahl für Europa bedeuten könnte. An den Börsen rauschten die Aktienkurse nach unten, der Euro verlor dramatisch an Wert, und Italien musste plötzlich wieder höhere Zinsen auf seine Schulden zahlen.
Die Unsicherheit ist zurück. Und verantwortlich dafür sind Italiens Wähler. Sie haben bei der Parlamentswahl zwar dem favorisierten Mitte-links-Kandidaten Pier Luigi Bersani eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus ermöglicht. Doch in der zweiten Kammer, dem Senat, machten sie ausgerechnet die Mitte-rechts-Allianz von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi zur stärksten Kraft. Und als wäre das nicht genug, bescherten sie auch noch dem ehemaligen Kabarettisten und Polit-Anarcho Beppe Grillo rund 24 Prozent der Stimmen.
Das Ergebnis ist ein Schock für Europa - es ruft dem ganzen Kontinent eine Krise ins Bewusstsein, die viele schon überwunden glaubten. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone ist mit dieser Wahl womöglich unregierbar geworden. Und wenn sie doch noch regiert werden sollte, dann bestimmt nicht so, wie es sich die Euro-Retter in Brüssel oder Berlin erhofft hatten. "Ein schwache italienische Regierung wird für Europa zu einer weiteren Belastung", fürchten die Analysten der Schweizer Großbank UBS.

Wahl in Italien: Die lange Nacht von Rom
Italien ist ein Schlüsselland der Euro-Krise - im Guten wie im Schlechten. Der Staat ist mit fast 130 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet - höher liegt dieser Wert nur in Griechenland. Als Italien im Sommer 2011 ins Visier der Finanzmärkte geriet, wurde aus der kleinen Krise der Euro-Zone eine große Krise existentiellen Ausmaßes. Von nun an ging es nicht mehr nur um die kleinen Staaten am Rand der Währungsunion, jetzt ging es um den Kern. Das Ende des Euro schien möglich.
Dann kam Mario Monti, ein parteiloser Wirtschaftsprofessor aus der Lombardei, und löste den unberechenbaren Populisten Berlusconi als italienischen Ministerpräsidenten ab. Monti boxte ein Sparpaket durch, brachte eine Renten- und eine Arbeitsmarktreform auf den Weg und verstärkte den Kampf gegen Steuerhinterziehung. Er führte eine Immobiliensteuer ein und legte kurz vor seinem Abgang noch fest, dass die Mehrwertsteuer Mitte 2013 von derzeit 21 auf 22 Prozent steigen soll.
Berlusconi kokettiert gerne mit dem Euro-Austritt
Mit solchen Reformen avancierte Monti zum Liebling der Finanzmärkte - und trug dazu bei, dass sich die Lage wieder beruhigte. Doch im eigenen Land hat er sich mit seiner Politik unbeliebt gemacht. Gerade einmal rund zehn Prozent der Italiener gaben ihm noch ihre Stimme.
Mit dem Wahlausgang stehen nun auch Montis Reformen wieder in Frage. Der wahrscheinliche künftige Ministerpräsident, Pier Luigi Bersani, hatte zwar im Wahlkampf versprochen, den Kurs des Schuldenabbaus fortzusetzen. Doch ob es so kommt, ist aus zwei Gründen äußerst fraglich:
- Erstens dürfte Bersani das mit dem Sparen eher langfristig gemeint haben. Kurzfristig setzt er auf Steuererleichterungen für die unteren Schichten. So will er zum Beispiel die von Monti eingeführte Immobiliensteuer für ärmere Familien wieder abschaffen und die Erhöhung der Mehrwertsteuer stoppen. Die Wirtschaftszeitung "Il Sole 24 Ore" schätzt das Volumen der von Bersani angekündigten Wohltaten auf insgesamt 44 Milliarden Euro - wie die Summe gegenfinanziert werden soll, ist unklar.
- Zweitens hat Bersani nun mit Berlusconi und Grillo zwei unberechenbare Gegenspieler im Nacken, die jeden Ansatz einer Reform im Senat abschmettern könnten. Womöglich muss der künftige Ministerpräsident sogar den Euro-Schreck Berlusconi an einer Koalitionsregierung beteiligen.
Berlusconi hat im Wahlkampf bereits einen Vorgeschmack darauf gegeben, was Europa von ihm erwarten darf. Er polterte gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und das von ihr aufgezwungene Sparregime, er kokettierte mit dem Euro-Austritt Italiens und stellte Steuerhinterziehern eine Amnestie in Aussicht.
Ganz so weit wird es nun nicht kommen, schließlich wird Berlusconi nicht Ministerpräsident. Doch mit Sparen und Reformieren dürfte es trotzdem erst einmal vorbei sein. Das Land steckt tief in der Rezession - und die meisten Italiener haben bei der Wahl klar gemacht, dass sie Montis Sparkurs nicht länger akzeptieren wollen. Sie sehnen sich nach wirtschaftlichem Wachstum und politischer Stärke. Unter dem Druck der Euro-Gegner kann Bersani kaum riskieren, wie sein Vorgänger als Merkels Schoßhündchen dazustehen.
Wahrscheinlich ist deshalb, dass der Ton rauer werden wird zwischen Italien und dem Rest Europas - und speziell zwischen Rom und Berlin. Denn wenn sich die neue Regierung auf irgendetwas einigen kann, dann auf die Forderung nach mehr finanzieller Solidarität in Europa. Konkret heißt das: Es dürfte eine neue Debatte um Euro-Bonds oder um eine andere Form gemeinsamer Haftung geben - ein Thema, bei dem Italien sogar wichtige Staaten wie Frankreich als Unterstützer gewinnen könnte.
Für die Bundesregierung ist das ein Horrorszenario. Sie lehnt bisher jede Form der Vergemeinschaftung von Schulden ab und pocht stattdessen weiter auf einen eisernen Sparkurs. Ob diese Forderungen in Italien künftig noch gehört werden, ist nach dem Wahlausgang mehr als fraglich.