Altmaiers überarbeitete Industriestrategie Nachgesessen, aber wieder keine Eins
Anfang des Jahres hatte Peter Altmaier mit seiner Industriestrategie fast die komplette deutsche Wirtschaft verärgert. Nun stellt er einen neuen Entwurf vor - doch der liest sich wie eine Mängelliste der Großen Koalition.
Wer nachsitzen muss, weil er seine Aufgaben nicht zufriedenstellend erledigt hat, sollte es beim zweiten Anlauf besser machen. Bei seiner "Industriestrategie 2030" ist das Wirtschaftsminister Peter Altmaier nur eingeschränkt gelungen.
Als der CDU-Politiker vor einem Dreivierteljahr den ersten Entwurf seines Plans vorlegte, hagelte es Kritik von allen Seiten. Ökonomen, Wirtschaftsverbände und der parteieigene Mittelstandsflügel warfen dem Minister Staatsgläubigkeit und die Bevorzugung von Großunternehmen vor, nur die politische Linke und die Gewerkschaften applaudierten.
Das passte nicht so richtig zur Ankündigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Altmaier werde die CDU wieder als Marktwirtschaftspartei im Sinne Ludwig Erhards positionieren. Und so verdonnerte sie ihren langjährigen Vertrauten dazu, sein "Made in Germany"-Papier noch einmal kräftig nachzuarbeiten - unter der Aufsicht von Fraktionschef Ralph Brinkhaus und der Wirtschaftsexperten der Union.
Nun hat Altmaier seinen zweiten Versuch vorgelegt, doch viel besser ist das Werk nicht geworden. Zwar ist nun überall von der "erstklassigen Marktposition" der "mittelständisch geprägten" und "oftmals familiengeführten" deutschen Industrieunternehmen die Rede, und der Minister vermeidet es diesmal auch, den Bestand von Großkonzernen wie Deutscher Bank oder Thyssenkrupp zu garantieren, die in der Erstausgabe seines Konzepts noch unter den besonderen Schutz des Staats gestellt werden sollten.
"Fruchtbares Miteinander" statt "nationale Champions"
Doch ansonsten liest sich das 40-seitige Papier wie eine Auflistung der wirtschaftspolitischen Versäumnisse der Großen Koalition. Eine klare Linie in der umstrittenen Frage, ob und wie der Staat künftig heimische Industrieunternehmen vor unerwünschten Übernahmen schützen will, ist dagegen nicht zu erkennen.
Künftig, so will es Altmaier, darf die Bundesregierung ausländische Beteiligungen nicht nur im Sicherheits- und Energiesektor untersagen, sondern auch in Hightechbranchen wie künstlicher Intelligenz, Robotik oder Bio- und Quantentechnologie. Das kann durchaus sinnvoll sein. Vor allem wenn es um Käufe aus Ländern geht, die ihrerseits Direktinvestitionen deutscher Unternehmen beschränken.
Doch nach welchen Kriterien der Eingriff erfolgen und was mit den betroffenen Firmen geschehen soll, lässt das Papier offen. Von einem öffentlichen Beteiligungsfonds, der in Altmaiers Erstlingswerk noch die fraglichen Anteile übernehmen sollte, ist nun nicht mehr die Rede.
Dafür soll als "nationale Rückgriffsoption" künftig die staatseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) einspringen. Dies freilich ist laut Altmaiers Papier "auch schon in der Vergangenheit" praktiziert worden.
Von der Förderung "nationaler Champions" ist im neuen Plan nicht mehr die Rede, stattdessen hebt das Konzept das "fruchtbare Miteinander" von Mittelstand und Großunternehmen hervor. Und es verspricht, die politischen Rahmenbedingungen für die Industrie zu verbessern. Ein Thema, von dem im ersten Entwurf so gut wie nichts zu lesen war.
Altmaiers Ziel jedoch, damit die verärgerte Unternehmerklientel zu besänftigen, dürfte grandios verfehlt werden. Denn die Liste seiner Zusagen und Absichtserklärungen liest sich eher wie eine Bilanz der eigenen Fehler.
Von einer "sicheren und bezahlbaren Energieversorgung" zum Beispiel, die Altmaier in seinem Papier verspricht, kann nach Ansicht vieler Unternehmer keine Rede sein. Der Ausbau der Stromnetze kommt nicht voran, dafür haben die Preise europäisches Rekordniveau erreicht. Ein Konzept, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, hat Altmaier zwar mehrfach versprochen, aber bislang nicht vorgelegt.
- Eine deutliche Senkung der Unternehmensteuern hält Altmaier genauso für unabdingbar wie eine Begrenzung der Sozialabgaben. Nur geht der Minister leider mit keinem Wort darauf ein, wie diese Erkenntnis mit den bisherigen Beschlüssen der Koalition zusammenpasst: etwa den Solidaritätszuschlag für einen Großteil der Wirtschaftsklientel beizubehalten oder auf Kosten der Beitragszahler das heutige Rentenniveau festzuschreiben.
- Genauso wohlfeil klingt Altmaiers Bekenntnis zum Ausbau der staatlichen Infrastruktur. Zwar gibt die Regierung in der Tat mehr Geld für Straßen, Brücken oder Kommunikationsnetze aus. Doch das reicht gerade mal, um die Substanz der staatlichen Infrastruktur zu erhalten. Ein echtes Wachstumsprogramm, wie es kürzlich der Bundesverband der deutschen Industrie vorgelegt hat, lehnt der Wirtschaftsminister mit Blick auf die schwarze Null dagegen ab.
- Einen zukunftsweisenden Anstoß gibt das Altmaier-Papier immerhin: Beim Klimaschutz soll noch einmal verstärkt an Technologien zur Speicherung von klimaschädlichem CO2 im Boden geforscht werden ("CCS-Verfahren"). Doch lässt das Konzept auch hier die entscheidende Frage offen, nachdem alle Bundesländer wegen anhaltender Bürgerproteste entsprechende Pilotprojekte gestoppt haben. Wie will die Bundesregierung die Blockaden überwinden? Die Antwort bleibt Altmaier schuldig.
Und so ist sein groß angekündigtes Industriepapier im Kern nicht mehr als ein Papierchen. Der Schwerpunkt liegt auf defensiven Maßnahmen wie den neuen Hürden für Auslandsbeteiligungen. Wie die Rahmenbedingungen für mehr industrielles Wachstum, neue Technologien und zusätzliche Unternehmensgründungen verbessert werden können, sagt der Plan dagegen nicht.
Vielleicht liegt es daran, dass im Untertitel von Altmaiers Papier nicht mehr von "strategischen Leitlinien", sondern nur noch von "Leitlinien" die Rede ist.