Forderung nach Regulierung "Der gemeinnützige Sektor ist intransparent"

Andreas Rickert ist Chef von Phineo, einer Art Rating-Agentur für gemeinnützige Organisationen. Im Interview spricht er über Milliardenumsätze, die Notwendigkeit neuer Gesetze und das Misstrauen der Branche gegenüber Unternehmensberatern.
Spendensammlung in Heidelberg: "Es geht nicht um Misstrauen"

Spendensammlung in Heidelberg: "Es geht nicht um Misstrauen"

Foto: Uwe Anspach/ picture alliance / dpa

Andreas Rickert, Jahrgang 1974, ist seit 2010 Vorstandsvorsitzender der gemeinnützigen Phineo AG. Der promovierte Biologe arbeitete vier Jahre für die Unternehmensberatung McKinsey, bevor er 2007 als Direktor des Programms "Zukunft der Zivilgesellschaft" zur Bertelsmann Stiftung wechselte. Phineo ist eine Ausgründung des Projekts in eine eigenständige Organisation.

SPIEGEL ONLINE: Herr Rickert, die Adventszeit rückt näher und mit ihr zahlreiche Gelegenheiten, Geld für den guten Zweck zu spenden. Kann man das denn ruhigen Gewissens tun?

Rickert: Ganz klar: Man sollte spenden. Die zigtausend gemeinnützigen Organisationen in Deutschland leisten wichtige Arbeit, die Unterstützung braucht und verdient. Das Problem ist aber, dass der gemeinnützige Sektor intransparent ist. Denn leider gibt es keine Publizitätspflicht wie etwa in der Privatwirtschaft, wo jede noch so kleine GmbH die Pflicht hat, eine Bilanz zu veröffentlichen. Das muss sich ändern. Schließlich setzen die 600.000 Organisationen jährlich rund 90 Milliarden Euro um und sammeln etwa vier Milliarden Euro Spenden ein. Mit der Caritas besitzt der gemeinnützige Sektor sogar den größten privaten Arbeitgeber des Landes.

SPIEGEL ONLINE: In den meisten dieser Organisationen sind nur wenige, dafür umso engagiertere Menschen aktiv, im Zweifel ohne betriebswirtschaftliche Ausbildung. Nehmen Sie zum Beispiel eine Elterninitiative, die Nachhilfe für benachteiligte Schüler organisiert. Wollen Sie der noch zusätzlich Bürokratie aufbürden - abgesehen davon, dass Sie ausgerechnet den Engagierten pauschal das Misstrauen aussprechen?

Rickert: Es geht nicht um Misstrauen, sondern darum, Vertrauen zu gewinnen. Transparenz ist ein gesellschaftlicher Trend. Schon im eigenen Interesse sollte auch der gemeinnützige Sektor darauf setzen. Angaben zu Einnahmen, Ausgaben und Vermögen sowie den verantwortlichen Personen und ihren Aufgaben muss ein eingetragener Verein ohnehin machen, entweder gegenüber dem Finanzamt oder dem Amtsgericht.

SPIEGEL ONLINE: In weiten Teilen kann doch sogar im Internet in Vereinsregistern recherchiert werden. Wieso reicht das nicht aus?

Rickert: Die Register sind eben nur zum Teil online zugänglich, zudem ist die Recherche recht unübersichtlich und kostet Geld. Entscheidend ist aber, sich schnell und einfach in groben Zügen über eine Organisation informieren zu können. Ergänzend dazu sollten die Organisationen auf freiwilliger Basis über die gesellschaftliche Wirkung ihrer Projekte berichten.

SPIEGEL ONLINE: Auf welche Resonanz sind Sie in der Politik mit Ihren Forderungen gestoßen?

Rickert: Grundsätzlich erhalten wir Zustimmung. Aktuell gibt es in der Bundesregierung keinen eindeutigen Ansprechpartner, die Zuständigkeiten sind über viele Ministerien verteilt. Ihre Arbeit muss besser koordiniert werden. Daher wäre ein Beauftragter der Bundesregierung für die Zivilgesellschaft, angesiedelt im Bundeskanzleramt sinnvoll. Zudem sollte der Bundestag einen eigenständigen Ausschuss für diesen wichtigen Sektor einrichten.

SPIEGEL ONLINE: In der Vergangenheit wurde etwa der Katarina-Witt-Stiftung Intransparenz vorgeworfen, was diese stets bestritt. Wie schätzen Sie das ein?

Rickert: Gerade Stiftungen und Spendenaktionen engagierter Einzelpersonen sind oft sparsam mit Informationen. Versuchen Sie da mal, auf der Webseite etwas über Finanzgebaren oder Strukturen zu finden. Ich unterstelle gar nicht, dass die Stiftung unseriös arbeitet, wahrscheinlich ist es eher Nachlässigkeit - aber überprüfen lässt sich das eben nicht.

SPIEGEL ONLINE: Würden Sie sich mit Ihrer Forderung nach mehr Transparenz nicht selbst überflüssig machen? Phineo ist schließlich so etwas wie eine Rating-Agentur für gemeinnützige Organisationen.

Rickert: Unser Ansatz ist wesentlich umfassender. Wir sehen uns eher als Broker, der Geber und Nehmer zusammenbringt. Wir veröffentlichen Analysen ausschließlich zu Projekten, die wir als wirksam empfehlen können. Gleichzeitig profitieren die Organisationen enorm von unserer kostenlosen Analyse. Sie hilft Schwächen zu erkennen und anzugehen. Wir sind also - um im Bild zu bleiben - eine Art Unternehmensberatung für den gemeinnützigen Sektor.

SPIEGEL ONLINE: Werden Sie dort überhaupt akzeptiert? Ihr größter Finanzier ist die Bertelsmann-Stiftung, die von vielen ökologisch-sozial Engagierten als neoliberaler Think-Tank betrachtet wird. Zu den weiteren Gesellschaftern zählen die Deutsche Börse sowie die Wirtschaftsprüfer KPMG und PriceWaterhouseCoopers, die auch nicht in erster Linie für ihre Sorge um das Allgemeinwohl bekannt sind.

Rickert: Zu Beginn gab es durchaus viele Diskussionen. Das lag zum einen an unserem Ansatz, mit einer Analysemethode den Erfolg von Engagement einzuschätzen. Zum anderen lag das sicher auch an unserer ungewöhnlichen Partnerlandschaft, zu der ja unter anderem auch der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft oder die Stiftung Mercator gehören. In diesem Kreis dominiert kein Partner. Geld und Stimmrechte wurden voneinander entkoppelt. Die Bertelsmann Stiftung bestreitet zwar rund 40 Prozent des Budgets, hält aber nur 12 Prozent der Anteile. Auch haben wir bewusst die transparente und unabhängige Rechtsform einer gemeinnützigen Aktiengesellschaft gewählt. Die anfängliche Aufgeregtheit hat sich inzwischen gelegt, und wir finden mit unseren Themen Akzeptanz.

Mehr lesen über

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten