
Politik und Konjunktur Warum eine neue Welle des Populismus droht


Es ist so etwas wie ein leichtes Aufatmen zu hören. Endlich scheint es ein Rezept gegen den organisierten Rechtspopulismus zu geben. Die SPD setzt auf den Ausbau des Sozialstaats, die Union auf den Schutz deutscher Industriejobs und die Aufarbeitung der Flüchtlingskrise. In jüngsten Umfragen verliert die AfD leicht, während Union und SPD etwas gewinnen.
Ist das der Beginn einer Trendwende?
Dieser Tage war ich bei einer Veranstaltung der Bertelsmann Stiftung, wo wir eine umfangreiche Studie (pdf) zu populistischen Einstellungen in Deutschland diskutierten. Eine Kernaussage der Untersuchung lautet: "Für die AfD gibt es in der Wählermobilisierung (...) eine 'gläserne Decke' - und diese hängt sehr viel tiefer und erscheint sehr viel massiver als bei allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien."
Das Potenzial der Partei wäre demnach weitgehend ausgeschöpft. Wir hätten es mit einer neuen Normalität zu tun, aber keineswegs mit einer sich immer weiter aufbauenden populistischen Welle, die am Ende systemgefährdend wäre.
Möglich, dass die Diagnose für die AfD zutrifft. Aber was den Populismus und die damit einhergehende Unruhe in den westlichen Demokratien insgesamt angeht, stellen sich die Bedingungen anders dar. Ich befürchte, dass wir uns in den kommenden Jahren noch auf einiges gefasst machen müssen.
Zwei Bündel von Gründen haben den Aufstieg der Populisten in den vergangenen Jahren befördert: ökonomische und kommunikative.
Die Zeiten werden rauer
Wirtschaftliche Verwerfungen bilden den Humus, auf dem die politische Polarisierung gedeiht. Nun muss man sagen, dass Deutschland in den vergangenen Jahren nicht gerade unter ökonomischem Stress gelitten hat. Eine lange Phase gesamtwirtschaftlicher Stabilität, ordentlicher Wachstumsraten und hoher Beschäftigung liegt hinter uns. Die Angst vor Arbeitslosigkeit, das verbreitete Lebensgefühl der Neunziger- und Nullerjahre, ist weitgehend verschwunden. Stattdessen haben jetzt viele Leute den Eindruck, das System drifte in die falsche Richtung; Chancen und Risiken, Belastungen und Ansprüche seien unfair verteilt - zwischen Oben und Unten, zwischen Zuwanderern und Ansässigen.
Wenn schon in einer Phase der Prosperität die politische Polarisierung zunimmt, was passiert dann in der nächsten Wirtschaftskrise?
Der konjunkturelle Abschwung, so sieht es aus, schreitet voran. Soeben hat das Ifo-Institut vermeldet, Unternehmen in Deutschland schätzten das Geschäftsklima abermals schlechter ein (Dienstag gibt's neue Informationen zur Stimmung der Konsumenten). Der Boom der vergangenen Jahre ist vorbei. Mehr noch: Die Konjunkturflaute geht einher mit strukturellen Verschiebungen in wichtigen Branchen.
Deutschlands export- und industriegetriebenes Wirtschaftsmodell ist unter Druck. Gerade in der wichtigen Autoindustrie - geschwächt durch Protektionismus (achten Sie auf die Diskussion über US-Zölle), Fahrverbote und Elektromobilität - droht in den kommenden Jahren eine sechsstellige Zahl von Jobs verloren zu gehen. Bei überfälligen staatlichen Strukturreformen - und irgendwann womöglich Sparprogrammen - wird es eine Menge Verlierer geben.
Dazu kommt die "Globoterisierung". So nennt der Ökonom Richard Baldwin eine neue Form der internationalen Arbeitsteilung, bei der intelligente Maschinen über alle Grenzen hinweg vernetzt sind. Als Resultat müssten wir uns darauf einstellen, dass der globale Wettbewerb noch härter werde - Jobvernichtung und sinkende Löhne inklusive. Baldwin ist kein alarmistischer Spinner, sondern einer der angesehensten Handelsökonomen weltweit.
Nach Jahren relativer Stabilität, gerade in Deutschland, werden die Zeiten härter und die Verteilungskonflikte schärfer.
Stadt und Land im Fluss
Die politisch gravierendste Bruchlinie verläuft zwischen Metropolen und ländlichen Regionen. Bereits in den vergangenen Jahren haben dünner besiedelte Gegenden tendenziell unter der Globalisierung gelitten. Das ist gerade in Ländern wie Großbritannien und Frankreich zu beobachten, wo die wirtschaftliche Dynamik auf wenige Metropolen konzentriert ist. Auf dem Lande gesellt sich zu ökonomischen Schwierigkeiten das Gefühl, von Politik und Medien übersehen zu werden. Und dann ist da noch ein offenkundiges Befremden, wenn es um Zuwanderung und kulturelle Vielfalt geht, die in den großen Städten längst Alltag ist.
Die Gelbwesten in Frankreich begannen als Protestbewegung von Bürgern in ländlichen Regionen, die auf das Auto angewiesen sind, gegen höhere Spritsteuern. Das Brexit-Referendum (achten Sie Mittwoch auf die geplante Abstimmung im Unterhaus) im Sommer 2016 lässt sich auch verstehen als Protestwahl gegen die Londoner Dominanz. Donald Trump gewann seine Präsidentschaft in den rostenden, eher ländlich geprägten Gegenden des Mittleren Westens. In Deutschland begannen die Pegida-Demos in den östlichen Bundesländern, einer Region mit schrumpfender Bevölkerung und unterdurchschnittlicher Wirtschaftsentwicklung. Politisch profitierte die AfD massiv von dieser Bewegung.
Emotionen, Emotionen
Zum ökonomischen Strukturwandel kommt der politische. Angestoßen wurde er durch die radikalen Veränderungen der Medienöffentlichkeit, die zu einer Polarisierung und Emotionalisierung der Auseinandersetzungen beigetragen haben. Im harten Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Bürger haben die großen Vereinfacher und Zuspitzer Vorteile gegenüber dem Typus des bedächtigen Problemlösers.
Ein Faktor dabei ist die Mediennutzung. Je weniger Bürger sich mittels klassischer Nachrichtenmedien informieren, desto größer wird das Spielfeld für Populisten. Und die Verschiebungen in der Mediennutzung sind längst nicht abgeschlossen. So beziehen in Deutschland immer noch viele ihre Nachrichten aus traditionellen Quellen, Online- und Social-Media-Medien werden weniger intensiv genutzt als in vergleichbaren Ländern, wie eine Studie des US-Instituts Pew zeigt. Das heißt aber auch: Gerade hierzulande ist das Potenzial für eine weiter zunehmende Polarisierung der öffentlichen Debatte besonders groß, wenn nämlich auch bei uns der Medienwandel voranschreitet - und wenn die ökonomischen Spannungen zunehmen.
Populismus, von links unten bis rechts oben
Unter diesen Vorzeichen ist das Potenzial für eine weitere Polarisierung gegeben, nicht nur in Deutschland, aber auch hierzulande. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass sich Frust und Wut auf ganz unterschiedliche Art mobilisieren lassen: von Rechts und Links, von Oben und Unten.
In Frankreich lässt sich das derzeit gut beobachten. Die klassischen Parteien sind marginalisiert. Es konkurrieren drei "Bewegungen" miteinander: Marine Le Pens Rassemblement National (von oben, rechts), Jean-Luc Mélanchons La France Insoumise (von oben, links), dazu Macrons La France En Marche (von oben, Mitte und explizit anti-populistisch). Die Gelbwesten sind eine Bewegung von unten, inzwischen gekapert von Links- und Rechtsextremen.
Gemeinsam ist allen Spielarten von Populismus, dass sie einen scharfen Gegensatz zwischen dem einfachen Volk und den Eliten konstruieren, dass sie die gesellschaftlichen Verhältnisse laut tönend negativ und grob vereinfachend darstellen - und allzu simple Lösungen propagieren. Gelegentlich knüpfen sie dabei an ältere Erzählungen an, an Nationalismus, Marxismus oder an religiöse Endzeitvorstellungen, was den populistischen Narrativen zusätzliche Kraft verleiht.
Gefährlich daran ist, dass populistische Politik gesellschaftliche Konflikte anheizt und Schein-Lösungen propagiert, die tatsächliche Probleme nicht lindern können, sondern gravierende Nebenwirkungen nach sich ziehen. (Achten Sie auf den Fortgang der Krise in Venezuela, einem Land, das immer noch im Griff der linkspopulistischen Ideologie des Chavismus ist.)
Wie gesagt, es kann schon sein, dass die AfD ihr Wählerpotenzial weitgehend ausgeschöpft hat. Aber das heißt nicht, dass der Populismus so einfach wieder verschwindet.