Verzerrte Noten Wie Rating-Agenturen ihrem Heimatland helfen

Passant vor der S&P-Zentrale in New York: Racheaktion der Regierung?
Foto: BRENDAN MCDERMID/ REUTERSHamburg - Rating-Agenturen haben sich in jüngster Zeit viele Vorwürfe gefallen lassen müssen, zwei stechen besonders hervor: Zu Hochzeiten der Krise entstand der Eindruck, dass die Bonitätswächter den Daumen weitgehend wahllos heben oder senken. Nachdem die Agenturen gefährlichen US-Finanzprodukten lange die Top-Note gewährt hatten, stuften sie plötzlich nahezu täglich ein Euro-Krisenland herab - selbst wenn es sich nach Kräften um Besserung bemühte.
Der zweite Verdacht bekam im Herbst neue Nahrung: Die Rating-Agenturen schonen ihre eigenen Heimatländer. Obwohl Washington zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit am Rand der Zahlungsunfähigkeit stand, gewähren zwei der drei großen Agenturen - die ihren Sitz alle in den USA haben - dem Land bis heute die Top-Note.
Andreas Fuchs und Kai Gehring, zwei junge Ökonomen der Unis Heidelberg und Göttingen, haben jetzt das Verhalten von neun Rating-Agenturen weltweit untersucht . Sie fanden heraus: Vier der neun untersuchten Firmen gaben ihrem Heimatland eine signifikant bessere Note, als es aufgrund ihrer Urteile über andere Staaten zu erwarten gewesen wäre.
Dazu gehörten neben den US-Größen Standard & Poor's (S&P) und Fitch auch die zyprische Agentur Capital Intelligence (CI) und der japanische Wettbewerber Rating and Investment Information (R&I). Die Forscher übertrugen die Buchstaben-Noten der Agenturen auf eine 21-Punkte-Skala. Ergebnis: Im Schnitt bewerteten die Agenturen ihr eigenes Land um fast einen ganzen Punkt besser, als zu erwarten war.
Verzerrte Urteile gibt es also offenbar nicht nur bei US-Agenturen. So bewertet der japanische Anbieter JCR seine Heimat von jeher mit dem Top-Rating, der heimische Konkurrent R&I immerhin mit der zweitbesten Note - und das trotz einer Staatsverschuldung, die bei 211 Prozent der Wirtschaftsleistung (Deutschland: 81 Prozent) liegt. Alle ausländischen Agenturen beurteilen Japan dagegen deutlich negativer.
Wie aber lässt sich die Bevorzugung der Heimatländer erklären? Eine mögliche Antwort lautet: Regierungsvertreter üben erfolgreich Druck auf die Agenturen aus. So könnten sie den Firmen unter anderem damit drohen, dass sie ihre Urteile nicht länger offiziell anerkennen. Der chinesischen Agentur Dagong wurde 2010 die offizielle Zulassung in den USA verweigert - dabei urteilt sie nach den Ergebnissen von Fuchs und Gehring vergleichsweise objektiv.
Die US-Agentur Egan-Jones entzog ihrem Heimatland bereits 2012 die Top-Note. Nur zwei Wochen später leitete die Börsenaufsicht SEC gegen sie ein Verfahren wegen angeblicher Regelverstöße ein. Dass die US-Regierung vergangenes Jahr die Rating-Agentur S&P wegen der Immobilienkrise auf Milliarden verklagte, bezeichnete das Unternehmen sogar offen als Racheaktion. Als bislang einzige der großen Rating-Agenturen habe man schließlich die USA herabgestuft und werde deshalb jetzt auch als einzige verfolgt.
Gleiche Sprache bringt bessere Note
Die Schuld für verzerrte Ratings allein bei der Politik zu suchen, wäre aber falsch - darauf deuten die weiteren Ergebnisse der Studie hin. Die Autoren untersuchten auch Abweichungen bei der Bewertung anderer Staaten. "Dabei fanden wir signifikant bessere Noten für Länder, die dem Heimatland der Agentur kulturell näher waren oder zu dessen Banken enge Verbindungen hatten", sagt Co-Autor Gehring.
So erhielten Länder mit der selben Muttersprache wie der Agentur-Sitz im Schnitt ein Rating, dass um 0,7 bis fast ein Punkt höher war. Das könnte schlicht daran liegen, dass es bei anderen Ländern schwieriger ist, Informationen zu erhalten. Doch auch wenn die Agenturen in solchen Staaten eigene Büros unterhielten, verbesserte das die Beurteilung nicht. "Es geht eher um Vertrauen", vermutet Gehring. Mit den kulturellen Unterschieden wachse offenbar die Sorge vor unerkannten Risiken.
Die Bewertungen werden auch besser, je mehr Geschäfte Banken aus dem Heimatland der Agentur in bewerteten Ländern machen. Bei fünf Unternehmen gibt es der Studie zufolge einen signifikanten Zusammenhang zwischen den Noten und dem Umfang der Geschäftbeziehungen, auch bei der deutschen Agentur Feri. Ein Anstieg der Investitionen um 20 Prozentpunkte entsprach dabei einer um einen Punkt verbesserten Note.
"Mögliche Gründe können unter anderem in potentiellen Interessenkonflikten liegen, da viele Banken und Finanzunternehmen an den Agenturen beteiligt sind", so die Autoren. An Feri, Moody's, JCR, R&I sowie der Mutterfirma von S&P sei jeweils mindestens ein Finanzunternehmen beteiligt. Problematisch ist das nicht zuletzt deshalb, weil Banken selbst zu den wichtigsten Kunden der Agenturen gehören.
Auf die Interessenkonflikte hat die EU mittlerweile reagiert. Als Teil neuer Regeln wurden Höchstgrenzen für die Beteiligung von Banken und anderen Unternehmen an den Agenturen festgelegt.