Rating-Agenturen Der Mythos vom Währungskrieg

Karikatur anno 1882: Die bösen Wall-Street-Plutokraten als Sündenböcke
Foto: CorbisWenn Elmar Brok und Gregor Gysi einer Meinung sind, sollte man skeptisch werden - erst Recht, wenn der CDU-Mann und der Fraktionschef der Linken fast wortgleiche Formulierungen benutzen. Man befinde sich schon fast in einem "Währungskrieg", sagte Brok nachdem die Rating-Agentur Standard & Poor's (S&P) entschieden hatte, die Kreditwürdigkeit von neun Euro-Ländern herabzustufen. Die US-Agenturen betrieben offenbar "anglo-amerikanische Interessenpolitik". Gysi ist da nur ein kleines Stück weiter: Für ihn hat der "Krieg" gegen die "europäischen Völker" bereits begonnen.
Bevor wir nun alle zu Gewehr und Stahlhelm greifen, um die bösen Amerikaner in die Flucht zu schlagen, lohnt sich ein kleiner Blick auf die Realität. Was ist passiert? Standard & Poor's hat seine Meinung zur Bonität einiger Euro-Staaten und damit auch zum Euro-Rettungsschirm EFSF geändert: Dass Frankreich seine Schulden zurückzahlt, gilt den Analysten - vereinfacht ausgedrückt - nun nicht mehr als sehr sicher, sondern nur als ziemlich sicher. Bei Italien haben sie da schon etwas größere Zweifel und portugiesische Staatsanleihen sehen sie als eine spekulative Anlage.
In einzelnen Fällen mag man darüber streiten, ob ein Land bei S&P nicht einen zu Tick zu gut oder zu schlecht wegkommt. Erst Recht mag man fragen, warum immer noch halb Europa aufschreit, wenn ein paar Analysten das aufschreiben, was eh schon alle wissen. Im Großen und Ganzen aber sind die Einschätzungen zu den Euro-Staaten keineswegs so "grotesk", wie Herr Gysi meint. Oder würde er etwa ohne zu zucken sein Vermögen in portugiesische Staatsanleihen stecken? Wohl eher nicht.
Auch die Kritik am Zeitpunkt der Veröffentlichung ist unsinnig. "Ausgerechnet jetzt!", schimpfen die Kritiker der Rating-Agenturen, wo sich in der Euro-Krise doch gerade so etwas wie Entspannung breit gemacht hat. Doch wann hätte S&P sein Urteil sonst veröffentlichen sollen? Wenn die Finanzmärkte gerade mal wieder so richtig in Panik sind? In solchen Fällen wird den Agenturen in der Regel vorgeworfen, sie würden die Lage weiter verschlimmern.
Es gibt keinen guten Zeitpunkt für schlechte Nachrichten. Sie kommen immer ungelegen. Und es ist ja auch irgendwie menschlich, dass man sie lieber nicht hören will. Doch warum kleiden so viele Menschen ihre Angst vor der schlechten Nachricht in so abstruses Gerede von der anglo-amerikanischen Verschwörung? Es ist halt so schön einfach, die Schuld für die Misere auf der anderen Seite des Atlantiks zu suchen. Und der anti-amerikanische Reflex ist bei weiten Teilen der deutschen Bevölkerung noch ziemlich gut intakt. Damit lassen sich womöglich sogar Wählerstimmen gewinnen.
Oder Bücher verkaufen. Denn nicht nur Politiker ziehen mit der Theorie von den bösen US-Agenturen durchs Land, auch Autoren wie der ehemalige Börsenhändler Dirk Müller versuchen, damit auf sich aufmerksam zu machen. "Ich bin mir sicher, dass die amerikanischen Rating-Agenturen in enger Abstimmung mit der amerikanischen Regierung stehen, die wiederum selbst seit vielen Jahren von der Wall Street dominiert wird", darf Müller im Internet-Chat der ZDF-Sendung "Maybritt Illner" verkünden. Belege? Fehlanzeige. Aber weil er die Welt so schön einfach erklärt, wird Müller neuerdings auch als "Experte" zu Anhörungen in den Finanzausschuss des Deutschen Bundestags geladen.
Mal ganz abgesehen von den mangelnden Beweisen: Auch die Argumentation der Verschwörungstheoretiker ist äußerst dürftig. Welches Interesse sollten die USA oder die amerikanische Wirtschaft an einem sinkenden Wechselkurs des Euro oder am Zusammenbruch der Währungsunion haben? Im Gegenteil: Sie sollten alles daran setzten, dass der Euro hält. Eine starke europäische Währung macht die amerikanischen Exporte in die Euro-Zone billiger und hilft den USA dabei, ihre gewaltigen Leistungsbilanzdefizite zu verringern. Zudem gilt: Von einer tiefen Rezession in Europa, die auf einen Zusammenbruch der Währungsunion wahrscheinlich folgen würde, könnten sich die USA zudem kaum abkoppeln. Deshalb drängt auch US-Präsident Barack Obama die europäischen Regierungschefs immer wieder zum entschlossenen Handeln in der Schuldenkrise.
Auch den großen US-Banken dürfte ein Euro-Kollaps kaum nutzen. Einige von ihnen stecken selbst tief im Euro-Schlammassel. Sie haben Anleihen europäischer Krisenstaaten in ihren Bilanzen oder müssen für sogenannte Kreditausfallversicherungen (CDS) gerade stehen, die fällig werden, wenn ein Euro-Land Pleite geht. Laut Statistik der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich liegt der Großteil dieser Versicherungsrisiken in den USA.
Bleiben die US-Hedgefonds, die angeblich gegen den Euro gewettet haben und damit nun das große Geld verdienen wollen. Mag sein, dass das stimmt. Aber reichen ein paar Hedgefonds aus, um eine große amerikanische Verschwörung anzuzetteln?
Deutlich wahrscheinlicher ist eine andere Lesart der Dinge: Politiker, Buchautoren und selbst manche Analysten bei den Banken machen die Rating-Agenturen gerne größer und mächtiger als sie sind. So lassen sich schöne Verschwörungsgeschichten erzählen, mit denen man prima von eigenen Fehlern ablenken kann.