Referendum in Griechenland Die Quittung für fünf Jahre Feigheit

Europa ist empört über Tsipras' Referendums-Überfall. Doch wie konnte es dazu kommen, dass die Zukunft der Währungsunion von der erratischen Führung in Athen abhängt? Schuld hat auch die fortwährende Feigheit der Euroretter.
Schlange vor Athener Geldautomat: You had it coming.

Schlange vor Athener Geldautomat: You had it coming.

Foto: EUROKINISSI/ REUTERS

"You had it coming", sagt man auf Englisch. Übersetzt bedeutet das so viel wie: Das hast du dir selbst zuzuschreiben, das war absehbar, selbst schuld.

You had it coming, Europa. Aber sowas von.

Die Entscheidung der griechischen Regierung, ein Referendum über die von den Gläubigern geforderten Reformen abzuhalten, droht innerhalb weniger Tage die schönen Illusionen aus fünf Jahren Euro-Rettungspolitik zu zerstören. Es ist leicht, die Schuld daran bei Alexis Tsipras und den Seinen zu suchen.

Nach monatelangen Verhandlungen, kurz vor Ablauf der entscheidenden Frist, kommt die griechische Regierung auf die Idee, dass sie die Verantwortung für ein klares Ja oder Nein zu den Verhandlungsergebnissen nicht selbst tragen kann. Warum haben die Griechen nicht schon vor Wochen erklärt, dass sie zum Ergebnis der Verhandlungen ein Votum ihrer Bevölkerung einholen wollen? Das wäre demokratisch gewesen. So aber ist Tsipras' Referendumsvolte im besten Fall populistisch (falls sie auf politischem Machtkalkül beruht). Im schlimmsten Fall ist sie feige (wenn da ein Regierungschef schlicht Angst vor einer schwierigen Entscheidung bekommen hat).

"Fortwährende Feigheit" lautet aber auch die Antwort auf eine andere Frage: Wie konnte der Rest der Eurostaaten, allen voran Deutschland, überhaupt in die Situation geraten, dass die erratisch agierende Führung eines wirtschaftlich unbedeutenden Elf-Millionen-Volks die Währungsunion an den Rand des Zusammenbruchs bringt?

Seit fünf Jahren drücken sich die Politiker der Eurozone unter der inoffiziellen Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor schmerzhaften Entscheidungen, mit denen sich die Schuldenkrise in Griechenland lösen ließe. Mit der Folge, dass die eben nicht gelöst, sondern immer weiter verschleppt wird.

Das begann schon mit dem ersten Griechenland-Hilfsprogramm 2010. Um die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands abzuwenden, vergaben die Eurostaaten damals ihre ersten Kreditbürgschaften nach Athen. Eine trickreiche Umgehung jener Klausel, die genau diese gegenseitige Haftung in der Währungsunion ausschließt. Mutiger wäre es schon damals gewesen, die privaten Griechenland-Gläubiger auf ihren Verlusten sitzen zu lassen. Wären dadurch tatsächlich Banken in Schwierigkeiten geraten, hätte man das Steuergeld immer noch nutzen können, um diese Banken teilweise zu verstaatlichen und mit frischem Kapital auszustatten. Großbritannien hat in der Finanzkrise vorgemacht, wie so etwas geht.

Griechenlands Schulden: Das Geld ist weg.

Griechenlands Schulden: Das Geld ist weg.

Foto: DER SPIEGEL

Mit der Feigheit ging es weiter beim Schuldenschnitt 2012. Hier fehlte der Mut, den privaten Griechenland-Gläubigern einen vollständigen Verlust ihres Kapitals zuzumuten - sie mussten nur auf rund die Hälfte verzichten. Schon damals war klar, dass auch diese halbierte Schuldenlast für Griechenland nicht tragbar sein würde. Doch die Politiker ignorierten die unbequemen Zahlen - und verordneten Athen stattdessen unrealistische Spar- und Reformziele. Und gaben sich der bequemen Illusion hin, dass eine Handvoll Troika-Beamte Griechenland mal eben den Schlendrian austreiben könne.

Mit dieser harten Politik haben die Gläubigerstaaten gehörig dazu beigetragen, dass die Griechen Anfang 2015 eine neue linke Regierung gewählt haben. Im Umgang mit dieser Regierung zeigt sich der dritte Fall von Feigheit: Europas Politiker weigern sich, über den von Athen seitdem hartnäckig geforderten Schuldenschnitt auch nur zu verhandeln. Vor allem aus Angst vor dem eigenen Wähler - denn dem gegenüber müsste man dann ja einräumen: Die nach Griechenland geflossenen Milliarden sind weg.

Das sind sie nun aller Voraussicht nach auch. Die meisten Wähler dürften es längst geahnt haben.

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