Start der Kommission Zehn Experten, ein Auftrag - Rente retten

Es gibt leichtere Aufgaben: SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil hat die Rentenkommission vorgestellt. Sie soll Wege finden, das System zu stabilisieren - obwohl die Gesellschaft überaltert.
Arbeitsminister Heil (M.), Rentenkommissionschefs Schiewerling (CDU, l.), Lösekrug-Möller (SPD, r.)

Arbeitsminister Heil (M.), Rentenkommissionschefs Schiewerling (CDU, l.), Lösekrug-Möller (SPD, r.)

Foto: Ralf Hirschberger/ dpa

Nun ist also klar, wer bis März 2020 an einem der schwierigsten Zukunftsthemen Deutschlands arbeiten wird. SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat die Mitglieder der Rentenkommission vorgestellt. Vier Frauen und sechs Männer , die Regierungsparteien, Gewerkschaften, Arbeitgeber und Wissenschaft vertreten.

Geleitet wird das Gremium von zwei Fachpolitikern und ehemaligen Abgeordneten, die bereits selbst im Rentenalter sind: Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) ist gerade 67 Jahre alt geworden, Karl Schiewerling (CDU) wird es in zwei Wochen werden. Bis März 2020, so der Auftrag, sollen sie ein Konzept für die Rentenversicherung der Zukunft vorlegen.

Mit dem Beschluss, eine Rentenkommission einzurichten, hatten Union und SPD eines der heikelsten Streitthemen aus den Koalitionsverhandlungen ausgeklammert - zumindest zum Teil. Denn die SPD konnte für die Zeit bis 2025 eine sogenannte doppelte Haltelinie durchsetzen: Bis dahin darf erstens der Beitragssatz nicht über die Marke von 20 Prozent steigen, derzeit sind es 18,6 Prozent. Und zweitens darf das Rentenniveau nicht unter die aktuelle Höhe von 48 Prozent sinken.

Obwohl beide Kennzahlen in diesem Zeitraum die Grenzen nur unwesentlich überschreiten würden, sehen die Sozialdemokraten das als Erfolg. Es sei ein klares Signal, Beiträge und Rentenniveau auch in der Zeit nach 2025 möglichst stabil zu halten. Die noch immer gültige Gesetzeslage sieht das nicht vor - demnach darf das Rentenniveau bis 2030 auf bis zu 43 Prozent sinken und der Beitragssatz auf bis zu 22 Prozent steigen. Für die Zeit danach gibt es aktuell keine gesetzlichen Haltelinien mehr. (Siehe die wichtigsten Daten und Fakten zur Rente im Endlich-verständlich-Format.)

Hauptproblem Überalterung

Doch Rentenbeiträge und -niveau einigermaßen zu stabilisieren, wird enorm schwierig. Denn just ab Mitte des nächsten Jahrzehnts wird eine unausweichliche Entwicklung erst ihre volle Wirkung entwickeln: der demografische Wandel. Die deutsche Gesellschaft überaltert, vor allem wegen der stark steigenden Lebenserwartung. Dass seit Jahrzehnten zu wenig Kinder geboren werden, verstärkt den Effekt noch.

Ab 2020 wird das das Verhältnis zwischen Rentenempfängern und Beitragszahlern etwa 20 Jahre lang drastisch verschlechtern. Dieses Verhältnis wird im sogenannten Altenquotienten deutlich, der ausdrückt, wie viele Menschen im Rentenalter auf hundert Personen im erwerbsfähigen Alter kommen. Derzeit sind es rund 35, im Jahr 2040 werden es bereits 51 sein - obwohl das Eintrittsalter dann bereits bei 67 Jahren liegen wird.

Um auf diese Entwicklung zu reagieren, bleiben im Grunde nur vier Stellschrauben:

  • der Beitragssatz, um die Einnahmen innerhalb des Systems zu erhöhen,
  • das Rentenniveau, um die Ausgaben innerhalb des Systems zu senken,
  • das Eintrittsalter, um den Altenquotienten zu senken und
  • die Höhe des Steuerzuschusses, um die Einnahmen außerhalb des Systems zu erhöhen.

Konkret wird die Rentenkommission also darum ringen, an welcher dieser Stellschrauben wie stark gedreht werden soll. Die beiden Lager in der Kommission haben da ganz verschiedene Vorstellungen.

Der SPD und den Gewerkschaften geht es erklärtermaßen vor allem darum, das Vertrauen in die gesetzliche Rente zu stärken - sie soll einen gewissen Lebensstandard im Alter sichern, auch ohne zusätzliche private Vorsorge. Das diene dem sozialen Frieden und sei deshalb eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dürfe also nicht allein von den Beitragszahlern finanziert werden. Weil die SPD zudem eine weitere Erhöhung des Eintrittsalters auf mehr als 67 Jahre kategorisch ausschließt, ist klar, an welcher Stellschraube am stärksten gedreht werden soll: Es müssten auf lange Sicht deutlich mehr Steuermittel in die Rentenversicherung fließen.

Union und Arbeitgeber verweisen hingegen auf die rot-grüne Rentenreform von 2001 und den damit verbundenen Paradigmenwechsel: Seitdem soll die gesetzliche Rente nur noch als Sockelabsicherung dienen. Um den Lebensstandard zu halten, braucht es zusätzlich die private und die betriebliche Altersvorsorge. Dieser Grundsatz soll beibehalten werden. Die Arbeitgeber wollen die Beitragssätze und damit die Lohnkosten auf keinen Fall zu stark steigen lassen, die Union lehnt eine drastische Erhöhung der Steuerzuschüsse ab. Geht es nach ihnen, sollte vor allem an zwei Stellschrauben gedreht werden: Das Eintrittsalter soll auf mehr als 67 Jahre steigen, und das Rentenniveau soll sinken.

Schwierige Prognosen

Ein weiteres Problem: Die Kommission braucht belastbare Prognosen, wie sich die Finanzen der Rentenversicherung künftig entwickeln werden. Das ist offenkundig schwierig, wie sich in den jährlichen Vorausberechnungen der Bundesregierung zeigt: Allein zwischen 2016 und 2017 hat sich die prognostizierte Entwicklung des Rentenniveaus erheblich verändert, und das ohne neue gesetzliche Regelungen.

Da sich SPD und Union aber im Koalitionsvertrag auf teure Vorhaben wie die Ausweitung der Mütterrente geeinigt haben, ist auch die jüngste Prognose wieder Makulatur. Die Bundesregierung räumte in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP im März ein, dass dadurch das Rentenniveau schon im Jahr 2023 statt 2025 unter die 48-Prozent-Marke fallen und der Beitragssatz bereits im Jahr 2024 über die 20-Prozent-Marke steigen würde.

Je weiter die Vorhersage in die Zukunft reicht, desto größer werden die Unsicherheiten. Als der Münchner Rentenforscher Axel Börsch-Supan vor Kurzem Berechnungen vorlegte, wonach die doppelte Haltelinie im Jahr 2025 bereits elf Milliarden Euro höhere Steuerzuschüsse im Jahr kosten würde, 2035 dann 80 Milliarden Euro und 2048 gar mehr als 125 Milliarden Euro, erntete er harsche Kritik - von beiden Koalitionspartnern. Ein nicht nachvollziehbares "Horrorszenario", wetterte der SPD-Rentenexperte Ralf Kapschack. "Pure Spekulation", sekundierte sein CDU-Pendant Peter Weiß.

Immerhin können die Vertreter der Großen Koalition diesen Streit bald im persönlichen Gespräch ausdiskutieren: Börsch-Supan ist ebenfalls Mitglied der Rentenkommission - als einer von drei Vertretern der Wissenschaft.

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