Kohle-Kommissionschef Pofalla "Eine zusätzliche Abgabe auf den Strompreis soll es nicht geben"

Der Kohlekompromiss steht - aber wie teuer wird er? Im Interview erklärt Ronald Pofalla, warum die Bürger keine Angst vor ihrer Stromrechnung haben müssen.
Ronald Pofalla, ist einer der vier Vorsitzenden der Kommission der Bundesregierung zum Kohleausstieg. Seine drei Co-Vorsitzenden sind Matthias Platzeck, Barbara Praetorius und Stanislaw Tillich.

Ronald Pofalla, ist einer der vier Vorsitzenden der Kommission der Bundesregierung zum Kohleausstieg. Seine drei Co-Vorsitzenden sind Matthias Platzeck, Barbara Praetorius und Stanislaw Tillich.

Foto: TOBIAS SCHWARZ/ AFP

SPIEGEL: Herr Pofalla, die sogenannte Kohlekommission hat einen Kompromiss gefunden - aber wie teuer er wirklich wird, ist noch nicht klar. Der Steuerzahler wird zum Beispiel einen Ausgleich für Kraftwerke zahlen, die bis 2030 schließen. Wie viel wird das sein?

Pofalla: Vielleicht weniger, als die meisten denken. Eine bestimmte Menge an Gigawatt ist längst für den Marktaustritt der dahinterstehenden Kraftwerke angemeldet worden. Der CO2-Preis kann sich bis 2030 so entwickeln, dass einzelne Steinkohlekraftwerke nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können. Das liegt auch daran, dass die Preise für Emissionszertifikate steigen, die die Betreiber für die Verbrennung von Kohle und die Freisetzung von Treibhausgasen erwerben müssen. Diese Entwicklungen können zu den von uns festgelegten Überprüfungszeitpunkten in den Jahren 2023, 2026 und 2029 jeweils abgewartet werden.

SPIEGEL: Das wird nicht reichen.

Pofalla: Wenn wir darüber hinaus weitere Kraftwerke schließen müssen, hat die Kommission empfohlen, ein besonderes Ausschreibungsmodell vorzusehen. Kraftwerksbetreiber könnten Angebote machen, welches Kraftwerk sie für welche Entschädigungssumme schließen wollen. Zum Zuge käme dann das günstigste Angebot.

SPIEGEL: Und damit erreicht Deutschland seine Klimaziele für das Jahr 2030?

Pofalla: Die Mengen an Kohlekraft, auf die wir uns in der Strukturwandelkommission geeinigt haben, sind ausreichend, um die Einsparziele des Energiesektors zu erreichen. Das heißt aber auch, dass die anderen Sektoren, wie etwa der Verkehr, ihren eigenen Beitrag leisten müssen. Das ist die Aufgabe einer anderen Kommission.

SPIEGEL: Die Ausgangslage war kompliziert, als Sie im vergangenen Jahr ihre Arbeit in der Kohlekommission übernahmen. Die Umweltverbände wollten das letzte Kohlekraftwerk im Jahr 2030 schließen, am liebsten aber früher. Die Energiekonzerne erst 2040, aber lieber noch später.

Pofalla: Es war ja noch ein bisschen kniffliger. Einzelne Bundesländer wollten noch später, also erst 2045 und danach damit aufhören, Braunkohle zu verstromen. Es hat Monate gedauert, diesen Korridor sukzessive immer enger zu machen.

SPIEGEL: Wie weit waren die Positionen denn noch voneinander entfernt, als Sie Freitagnacht in die entscheidenden Verhandlungsstunden gingen?

Pofalla: Da war die Spanne immer noch groß. Sie lag zwischen 2030 und Anfang der Vierzigerjahre. Aber allen war klar, dass sich jeder bewegen muss.

SPIEGEL: Es wäre für alle Beteiligte blamabel gewesen, einen Kompromiss platzen zu lassen.

Pofalla: In der Tat wäre das kaum zu vermitteln gewesen, da die Erwartungshaltung an das Kommissionsergebnis hoch war. Am Ende ist uns etwas gelungen, was viele nicht für möglich gehalten haben, einen Konsens über eine der wichtigsten Fragen der Gegenwart zu erzielen: Wie wollen wir unseren Planeten auch für folgende Generationen lebenswert erhalten? Das ist nicht nur ein historischer Kraftakt, sondern zugleich auch ein Signal gegen die Verfechter von Partikularinteressen und Populisten jeder Art.

SPIEGEL: Es gab ja drei Interessengruppen: die Umweltverbände, die Wirtschaft und die betroffenen Bundesländer.

Pofalla: Die Streitpunkte waren noch ein bisschen komplizierter, als es in der Öffentlichkeit diskutiert wurde. In Wahrheit lagen die Interessen an viel mehr Punkten auseinander und oft über Kreuz.

SPIEGEL: Die Energiekonzerne hatten öffentlich gewarnt, wenn die Kraftwerke schließen, gehe die Wirtschaftsnation Deutschland vor die Hunde. Waren das nur leere Drohungen?

Pofalla: Wir haben in direkten Gesprächen dafür Sorge getragen, dass auch die Energieunternehmen erste Kraftwerksschließungen bis zum Jahr 2022 mittragen würden. Jetzt ist es Aufgabe der Bundesregierung, mit den Betreibern vertragliche Pakete zu schnüren, die realistisch sind und die unterschiedliche Interessen ausgleichen.

SPIEGEL: Werden die Kraftwerksbetreiber in diesen Verhandlungen jetzt nicht alles daransetzen, die Regierung über den Tisch zu ziehen und horrende Summen an Kompensation zu verlangen - auf Kosten der Steuerzahler?

Pofalla: Die Gefahr sehe ich nicht. Nehmen Sie den Zeitraum bis zum Ende des Jahres 2022. Da reden wir insgesamt über nicht besonders viele Kraftwerke. Über die Hälfte der Leistung, die bis dahin aus dem Markt genommen werden soll, stammt aus Kraftwerken, die von den Betreibern ohnehin schon zur Stilllegung angemeldet wurden. Dafür wird es selbstverständlich keine Entschädigungen geben.

SPIEGEL: Und für den Rest?

Pofalla: Da reden wir insbesondere über eine Leistung von annähernd drei Gigawatt Braunkohle, die über das hinausgehen, was der Markt nicht ohnehin herausnehmen wird. Es gibt für diese Verhandlungen im Übrigen einen Orientierungswert für einen angemessenen Preis. Der Bund hat vor wenigen Jahren eine sogenannte Sicherheitsreserve gebildet und eine Reihe von Kohlekraftwerken hierein überführt. Sie wurden vom Netz genommen, stehen aber für Notsituationen weiter einsatzbereit.

SPIEGEL: Damals betrug der Preis knapp 600.000 Euro je Megawatt, das stillgelegt wurde. Das würde sich bei der Kraftwerksleistung, über die Sie bis zum Jahre 2022 reden, auf knapp zwei Milliarden Euro summieren. Ist das die Größenordnung?

Pofalla: Lassen Sie uns nicht spekulieren. Die Bundesregierung muss mit den Energieversorgern jetzt in Gespräche einsteigen. Dem kann ich nicht vorgreifen.

SPIEGEL: Wie viel Symbolpolitik steckt in dem Kompromiss? Hinter diesen zwei oder drei Gigawatt Leistung, die bis 2022 zusätzlich verschwinden sollen, könnten sich ja - vielleicht nicht zufällig - genau die Kraftwerksblöcke verbergen, die von der Braunkohlegrube am Hambacher Forst gespeist werden. Damit wäre der Wald gerettet, und die Umweltverbände hätten einen Punkt.

Pofalla: Wir haben in den Kommissionstext geschrieben, dass der Erhalt des Hambacher Forstes wünschenswert ist. Das war den Umweltverbänden sehr wichtig. Die Kommission hat sich aber bewusst für keine kraftwerksspezifischen Empfehlungen ausgesprochen. Das bleibt den Verhandlungen der Bundesregierung vorbehalten.

SPIEGEL: Kritiker werfen ihnen vor, man könne nicht aus Atomkraft und Kohlekraft gleichzeitig austreten. Müssen wir Sorge vor Blackouts haben?

Pofalla: Ganz klar nein. Die Bundesnetzagentur war in die Kommissionsarbeit eingebunden. Die Schließung eines Kraftwerkes kann untersagt werden, wenn dadurch Gefahren für die Stromversorgung entstehen. Ich halte es dadurch für ausgeschlossen, dass Kraftwerke aus dem Markt genommen werden, die netzrelevant sind. Wir haben uns im Übrigen vorgenommen, in Dreijahresabständen den Stand des Kohleausstiegs zu überprüfen und genau solche Fragen zu klären.

SPIEGEL: Bekommt der Bürger beim Zahlen seiner Stromrechnung die Quittung für den Kohleausstieg?

Foto: SPIEGEL ONLINE

Pofalla: Die Kommission hat sich ausdrücklich für einen Ausgleich ausgesprochen, der private Haushalte und Unternehmen von einem möglichen Strompreisanstieg entlasten soll. Eine zusätzliche Umlage oder Abgabe auf den Strompreis soll es nach unseren Empfehlungen nicht geben.

SPIEGEL: Kurz vor Weihnachten sah es so aus, als könnten die drei Ministerpräsidenten aus den Braunkohleregionen des Ostens noch alles platzen lassen, als sie sich bei der Bundeskanzlerin über die Arbeit der Kommission beschwert haben. Haben Sie die Befindlichkeiten im Osten unterschätzt?

Pofalla: Ich kann verstehen, dass es da Ängste gegeben hat. Wir haben auch sicher über die Monate immer wieder vor einer Zerreißprobe gestanden. Das lag daran, dass die Länder deutlich später aussteigen wollten und das hat sogar noch in der letzten Verhandlungsnacht eine Rolle gespielt. Doch alle haben am Ende erkannt, dass wir die Klimaziele und den notwendigen Strukturausgleich zusammenbringen können. Ein Reißen der Klimaziele hätte ganz Deutschland gleichermaßen geschadet. Die Menschen haben von uns erwartet, dass wir zu einem Ergebnis kommen. Letztlich hat das zu der Kompromissbereitschaft in der Kommission geführt. Doch bis es in den Verhandlungen soweit war, wurde uns Vorsitzenden Höchstleistungssport abverlangt.

SPIEGEL: Fürchten Sie jetzt keine Kampagne der AfD, die den Menschen in der Lausitz Angst vor dem Niedergang ihrer Region machen wird?

Pofalla: Wir geben den Kohleregionen durch sehr konkrete Vorschläge eine klare Perspektive. Deshalb darf die Politik keine Zeit verlieren und muss dafür sorgen, dass schon im Herbst konkrete Projekte im Gesetzesblatt durch ein Maßnahmengesetz stehen. Erst sollen neue Arbeitsplätze aufgebaut werden, dann Kraftwerke vom Netz gehen. Damit besteht die Chance, Vertrauen bei den Menschen im Osten zu bilden. Besonders in diesem Punkt wird die Politik an ihrem Handeln gemessen werden.

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