Rückgang bei regulären Jobs IG Metall prangert Missbrauch von Leiharbeit an

Reinigungsgewerbe: Gewerkschafter fordern Mindestlohn für Zeitarbeiter
Foto: ALESSANDRO DELLA VALLE/ APFrankfurt am Main - Befristete Arbeitsverträge, schlecht bezahlte Teilzeit- und Leiharbeit - so sieht für immer mehr Beschäftigte in Deutschland die Arbeitswelt aus. Der Anteil klassischer Beschäftigung ist dagegen in den vergangenen zehn Jahren deutlich gesunken. Dies geht aus einer Untersuchung hervor, die das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Frankfurt vorstellte.
Im vergangenen Jahr hatten demnach 66 Prozent aller Erwerbstätigen einen unbefristeten, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsvertrag mit mehr als 20 Stunden pro Woche. Zehn Jahre zuvor lag der Anteil noch bei 72,6 Prozent.
Andere Beschäftigungsformen wie Teilzeitjobs kamen im vergangenen Jahr auf 22,2 Prozent, zuvor waren es 16,2 Prozent. Als Selbständige gemeldet waren 2008 rund elf Prozent der Erwerbstätigen, von denen mehr als die Hälfte keine Mitarbeiter hatte. 0,8 Prozent entfielen auf sonstige Jobs.
Bei der Bezahlung liegen die klassischen Arbeitsverhältnisse deutlich vorne. Nach der jüngsten verfügbaren Erhebung von 2006 betrug der durchschnittliche Bruttostundenlohn hier 18,04 Euro. Ein Teilzeitbeschäftigter erhielt dagegen nur 15,05 Euro. Auch befristet Beschäftigte schnitten mit 13,08 Euro deutlich schlechter ab. Zeitarbeitnehmer kamen sogar nur auf 9,71 Euro in der Stunde, geringfügig Beschäftigte wie Mini-Jobber auf 8,98 Euro.
Ausschlaggebend für diese Unterschiede sind nach Einschätzung des Amtes unter anderem die Qualifikation der Beschäftigten, die Branchenzugehörigkeit sowie die Berufserfahrung. Den Statistikern liegen nach eigenen Angaben keine Daten vor, die darüber Auskunft geben, ob und inwieweit in den vergangenen zehn Jahren normale Stellen in andere Beschäftigungsformen umgewandelt wurden.
Höheres Armutsrisiko für Männer
Unter welchen Konditionen jemand angestellt ist, hat auch direkten Einfluss darauf, wie stark er von Armut bedroht ist. Auf Grundlage einer EU-Definition waren 3,2 Prozent der Erwerbstätigen mit einem normalen Arbeitsvertrag von Armut bedroht. Bei den Teilzeitbeschäftigten lag der Anteil bei 15,3 Prozent, bei Zeitarbeitern bei 8,5 Prozent. Mitentscheidend sind aber auch andere Faktoren, zum Beispiel ob ein Teilzeitbeschäftigter in einem Haushalt mit einem Normalarbeitnehmer zusammenlebt oder ob er Sozialleistungen bezieht. Männer haben der Studie zufolge ein höheres Armutsrisiko als Frauen, weil sie seltener mit einem Normalverdiener zusammenleben.
Die Studie ruft Protest der IG Metall hervor. Die Gewerkschaft spricht von einem zunehmenden Missbrauch von Leiharbeit. Arbeits- und Tarifbedingungen würden so immer mehr unterlaufen und Dumpinglöhne etabliert, teilte die Gewerkschaft am Mittwoch mit und stellte eine von ihr in Auftrag gegebene wissenschaftliche Studie mit dem Titel "Funktionswandel von Leiharbeit" vor.
Zugleich warnte die IG Metall vor einem massiven Anstieg solcher Beschäftigungsverhältnisse. "Wenn die Politik nicht endlich handelt, ist sie dafür verantwortlich, dass weitere zwei Millionen Menschen eine Perspektive auf eine gesicherte Zukunft und ein gutes Leben verwehrt wird", sagte Detlef Wetzel, Zweiter Vorsitzender der IG Metall in Frankfurt am Main.
Wetzel wies darauf hin, dass die Zahl der Stellen in der Leiharbeitsbranche von Juli 2008 bis zum Mai dieses Jahres von mehr als 720.000 auf nur noch etwas mehr als 500.000 Stellen gesunken sei. Nicht nur dies sei ein Indiz dafür, dass es in der Branche einen "unverantwortlichen Umgang mit Arbeitnehmern" gebe.
Betriebsräte machen sich für Mindestlohn stark
Mit der zuletzt leichten Erholung der Wirtschaft habe sich auch wieder eine Zunahme der Leiharbeiter abgezeichnet. Wetzel warnte davor, dass im Zuge des nächsten Aufschwungs immer mehr reguläre Arbeitsplätze in solche unsicheren Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt werden könnten, so dass dann bei einem Abschwung mit der jetzigen Rechts- und Tariflage bis zu 2,5 Millionen Zeitarbeitsstellen ohne größere Probleme wieder abgebaut werden könnten.
In einem von bislang mehr als hundert Betriebsräten unterzeichneten Mahnruf an die Politik fordert die Gewerkschaft einen Mindestlohn für Leiharbeiter. Zudem sollten diese Arbeitnehmer genauso entlohnt werden wie festangestellte Beschäftigte, die die gleiche Tätigkeit ausüben - gemäß dem Grundsatz "Gleiches Geld für gleiche Arbeit".
Maximal für sechs Monate soll nach dem Willen der IG Metall ein Leiharbeiter an einen Betrieb überlassen werden dürfen. Die Dauer des Arbeitsverhältnisses mit der Zeitarbeitsfirma müsse länger sein als der Einsatz bei einem Entleiher, damit es nicht dazu kommen könne, dass Zeitarbeitsunternehmen Verträge über wenige Tage abschließen. Zudem forderte die IG Metall mehr Mitbestimmungsrechte für die Betriebsräte bei der Leiharbeit.
Wetzel kritisierte insbesondere FDP und Union, die mit ihren Plänen den Weg für Auswüchse in der Branche forcierten. Es sei unerträglich, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu diesem Thema schweige und Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die Leiharbeit trotz aller gegenteiligen Erkenntnisse noch immer als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt feiere.